Das NOZ-Magazin 2015. Neue Osnabrücker Zeitung

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Feindbild hatten: Israel, und darüber die Juden allgemein. Dieser Protest kam nicht aus der Mitte der Gesellschaft.

       Neuere Definitionen wie die des israelischen Politikers Natan Sharansky sehen Antisemitismus bereits bei scharfer Kritik an Israel gegeben. Sehen Sie das auch so?

      Sharansky hat analysiert, was die Kritik an Israel häufig ausmacht. Und das ist oft eine Dämonisierung oder Delegitimierung des Staates Israel. Ebenso werden an Israel häufig andere Standards angelegt als an andere Staaten. Antisemitismus kommt zunehmend in diesem Gewand daher.

       Wie ist die Situation von Juden in Deutschland: Müssen sie sich unauffällig verhalten, um in Ruhe leben zu können?

      Wenn wir wirklich so weit wären, dann wäre das sehr problematisch. Aber wir sind es nicht. Es gibt Übergriffe, aber das sind Ausnahmen, in jüngster Zeit übrigens eher von extremistischen Muslimen und nicht mit rechtsradikaler Motivation. Ich sehe keine Notwendigkeit dafür, sich als Jude in Deutschland zu verstecken.

       Aus Frankreich wandern immer mehr Juden nach Israel aus, auch deshalb, weil sie sich im Land nicht sicher fühlen. Gibt es diese Entwicklung auch in Deutschland?

      Die Zahl der Auswanderungen aus Deutschland ist minimal. Ich sehe auch keine Tendenz hierzu wegen einer antisemitischen Stimmung in Deutschland oder aus Gründen der terroristischen Bedrohung. Juden zur Einwanderung bewegen zu wollen ist allerdings aus israelischer Sicht ein legitimer Wunsch, der aus religiösen wie nationalen Gründen besteht. Israel ist schließlich die Lebensversicherung für uns Juden. Wenn es das Land 1933 schon gegeben hätte, wären viele furchtbare Dinge wohl nicht geschehen.

       Wie gestaltet sich heutzutage jüdisches Gemeindeleben?

      Ein schönes Beispiel für die Lebendigkeit jüdischer Gemeinden in Deutschland findet in wenigen Wochen in Köln statt: die „Jew-rovision“, zusammengesetzt aus dem englischen Wort für „Jude“ – „Jew“ – und „Eurovision“. Das ist ein Event, das seit 14 Jahren stattfindet und seit drei Jahren vom Zentralrat ausgerichtet wird. Dort studieren zehn- bis 19-jährige Jugendliche verschiedene Showacts ein, die dann im Stile des bekannten „Eurovision Song Contest“ aufgeführt werden. Das ist sehr beeindruckend, wenn etwa 350 jüdische Jugendliche auf der Bühne stehen und mehr als 1000 Gäste zuschauen. Und es stimmt zuversichtlich für die Zukunft jüdischer Gemeinden in Deutschland.

       Die Pegida-Bewegung richtet sich gegen andere Minderheiten als die Juden, nämlich gegen Muslime und Zuwanderer insgesamt.

      Das ist ein gefährliches Phänomen. Ich erwarte von jedem, der dort mitläuft, dass er sich bewusst ist, welches Gedankengut dort transportiert wird und wem er dort folgt. Da geht es mir gar nicht darum, dass oder ob alle Menschen, die an diesen Demonstrationen teilnehmen, selbst eine radikale Gesinnung haben. Was mich aber sehr positiv stimmt, sind die spontanen Kundgebungen für ein offenes Deutschland, an denen noch viel mehr Menschen teilnehmen als bei Pegida.

       Auch wenn es darum geht, die Ausübung religiöser Bräuche wie die Beschneidung oder das Schächten zu verteidigen, verbindet Sie viel mit Muslimen in Deutschland.

      Eine Debatte über derartige kulturelle Besonderheiten muss möglich sein. Wird sie allerdings agitatorisch geführt und nur, um Ressentiments zu schüren, ist das purer Fremdenhass. Beim Thema Beschneidung haben wir dies selbst aus akademisch gebildeten Kreisen erlebt.

       Seit dem Mittelalter haben Juden in Deutschland unter Pogromen gelitten, später kam der Holocaust. Wenn Sie in die Zukunft blicken: Ist die Gefahr gebannt?

      Derzeit sehe ich diese Gefahr nicht. Aber ich bin kein Hellseher.

      Seit November 2014 ist der Würzburger Josef Schuster Präsident des Zentralrats der Juden. (Imago/epd)

      Am Rand der Welt

      Auf Spitzbergen leben mehr Bären als Menschen

      Von Burkhard Ewert

       Nirgendwo lässt es sich so leicht in hochpolare Breiten gelangen wie auf Spitzbergen. Norwegen will, dass sich auf der Inselgruppe erstmals eine reguläre Siedlung entwickelt, fördert den Tourismus und die Forschung.

      Spitzbergen führt die Menschen seit je her an ihre Grenzen. Da war Willem Barents, der die entlegene Inselgruppe Ende des 16. Jahrhunderts auf der Suche nach einer schiffbaren Asien-Passage entdeckte. Einen Winter lang überlebte er im Eis; kurz vor der Rettung starb er. Da war Fridtjof Nansen, dessen Weg hier endete, nachdem er sich mit seiner Fram im östlichen Polarmeer vergeblich hatte einfrieren lassen, um per Drift den Nordpol zu erreichen. Da war Eis-Legende Roald Amundsen, die von hier aus zum Pol startete und später auf dem Weg zur Insel spurlos verschwand. Und da war die Deutsche Arktische Expedition von 1912, die über Spitzbergen nicht hinauskam und in seinen Fjorden in einem tödlichen Desaster endete.

      Der Lockruf des Nordens wirkt bis heute. Zuletzt machte etwa der britische Prinz Harry auf Spitzbergen Station, als er einen Marsch versehrter Veteranen zum Pol begleitete. In der Zeit dazwischen landeten Walfänger an, zerlegten die Tiere, kochten Tran. Trapper durchstreiften das Land, jagten Robben, erbeuteten Felle. Später bauten Russen, Norweger und Schweden die Kohlevorkommen der Insel ab.

      Neben Entdeckern und Glücksrittern kommen und gehen auf Spitzbergen die Eisbären. Sie sind zahlreicher als die Einwohner: 3500 Bären soll es geben und nur 2500 Menschen. Exakt weiß man weder das eine noch das andere, denn wie die Bären zeichnen sich die Bewohner dadurch aus, dass sie Vagabunden sind. Einheimische gibt es nicht, keiner wird hier geboren, kaum jemand verbringt seinen Ruhestand auf dieser Inselgruppe, die sich im Norwegischen Svalbard nennt. Aber kalt, karg und krass: Was die meisten Touristen Reißaus nehmen lässt, zieht auf der anderen Seite eine seltsame Mischung von Menschen an. Nirgends lässt es sich so bequem in hochpolaren Breiten reisen. Der Nordpol ist nur gut 1000 Kilometer entfernt.

      Vor allem, wer im Winter kommt, liebt den Norden wirklich. Ein Vierteljahr lang geht die Sonne rund um die Uhr nicht auf – Polarnacht. Wochenlang erhellt nicht mal gegen Mittag ein matter Schimmer den Horizont. Sofern der Flug nicht abgesagt wird, sitzt dann vielleicht ein knappes Dutzend Touristen im einzigen SAS-Jet des Tages. Viele davon sind junge Leute aus Nord- und Mitteleuropa, die länger bleiben wollen als gewöhnliche Urlauber. In einer der zahlreichen Bars des 2000 Einwohner zählenden Hauptortes Longyearbyen arbeiten sie dann oder bei Anbietern wie Spitsbergen Travel und Basecamp, die Touristentouren ins Hinterland oder auch professionelle Expeditionen ins Eis organisieren.

      Da ist die Kellnerin Sara zum Beispiel, die aus Åmål im Südwesten Schwedens stammt. Und Timo aus Karlsruhe, Hundeschlittenführer, der weiter nach Grönland will, weil ihm Spitzbergen zu voll ist. Oder Noel, ebenfalls Schwede, der drei Gastro-Jobs zugleich hat und fast rund um die Uhr im Einsatz ist. Alle drei sind Mitte 20, alle werden noch ein paar Monate bleiben, vielleicht auch ein Jahr. Denn Geld und Stellen gibt es reichlich, Flair und Abenteuer auch. Hinzu kommt das Gefühl, wegen der speziellen Örtlichkeit Teil einer exklusiven Schar zu sein, des Backpacker-Jetsets, sozusagen. Anschluss ist jedenfalls schnell gefunden: Bei jedem Schritt vor die Tür treffen sich Gleichgesinnte, und dass auf der Insel so gut wie keine Steuern erhoben werden, macht das Geldverdienen so angenehm, wie es gemeinsam auszugeben.

      Die Inselgruppe wird von Norwegen aus verwaltet, hat aber einen völkerrechtlichen Sonderstatus, den der knapp hundert Jahre alte Spitzbergen-Vertrag regelt. Anders als auf dem Festland ist es spielend einfach, dort zu leben und zu arbeiten, denn der Vertrag gewährt Oslo gewisse Rechte – nicht aber jenes, hier zu regieren. In Longyearbyen wohnen daher Menschen aus gegenwärtig 42 Ländern. Die Norweger stellen nur gut die Hälfte von ihnen. Schweden, Thailänder und Deutsche folgen; in einer weiteren Siedlung auf der Insel (Barentsburg) leben einige Hundert Russen, hinzu kommen einige internationale Forschungsstationen sowie eine Handvoll noch bewohnter Trapperhütten.

      Während die Russen ihre Präsenz drastisch zurückfahren, baut Norwegen sie tendenziell aus. Oslo fördert die Inseln beträchtlich,


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