Das NOZ-Magazin 2015. Neue Osnabrücker Zeitung

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„Der vergitterte Himmel“ hat sie dieses unveröffentlichte Werk genannt. Der Tagesablauf in Budweis (Untersuchungshaft): 6 Uhr aufstehen (Sirene), Betten machen, Zelle aufräumen, Frühstück mit einer kaffeeähnlichen Flüssigkeit im Blechnapf und einem Kanten trocken Brot, rumsitzen, Mittagessen, rumsitzen, zehn Minuten Spaziergang in einem schmalen hochgemauerten Hof, der oben mit Drahtgeflecht überspannt war, rumsitzen, Abendessen, 21 Uhr Bettruhe zu viert in drei nebeneinandergestellten Pritschen bei ständig brennendem Licht.

      Die erste Zeit in der Zelle, sie war schrecklich für die Deutsche. Sie war eingesperrt mit Tschechinnen, deren Sprache sie nicht sprach, nicht verstand. „Es gibt nichts Einsameres, als unter Menschen allein zu sein“, erinnert sie sich an ihre damaligen Gefühle. Dazu kamen die Sorgen um die beiden Kinder. Wie mochte es ihnen gehen, wo waren sie? „Es war ganz schlimm.“

      Drei Monate, nach der Verurteilung und Revision kam Irmela Schröck in ein Arbeitslager nach Prag Prahatice. Dort hatte sie zwei deutsche Frauen als Zellengenossen. Manches wurde einfacher. „Wir konnten arbeiten und reden und singen.“ Trotzdem wäre sie manchmal „am liebsten mit dem Kopf gegen die Gitterstäbe gerannt, weil mich diese Hilflosigkeit verrückt gemacht hat“.

      Etwa zur Hälfte ihrer Haft in Prag feierte Irmela Schröck ihren 40. Geburtstag. Feiern kann man das tatsächlich nennen, „denn es war ein besonders schöner Tag. Ich durfte meinen Mann sehen und sprechen. Die Wache hatte die Order bekommen, sich abseits zu stellen, sodass wir Händchen halten konnten und miteinander flüsterten.“ Ihre Zellengenossen hatten kleine Geschenke und „backten“ Kuchen, ihr Bruder ließ ihr durch den Rechtsanwalt Blumen überreichen.

      Knapp fünf Monate sollte es von jenem 24. Juli an noch dauern, bis Irmela Schröck wieder auf freiem Fuß war. Von ihrer Entlassung träumte sie in der Nacht zu dem Tag, an dem diese wahr wurde: „Tags zuvor wurde ich zum Major befohlen, der mir sagte, dass er eine Beurteilung über mich schreiben müsse“. Eine vorzeitige Entlassung käme nur infrage, wenn er darin ein Sehr gut angeben könnte. Das könne er jedoch nicht, weil sie heimlich Briefe an ihren Mann schreiben würde. „Aber wenn Sie mir die Namen nennen von den Mitgefangenen, die auch heimlich Briefe schreiben, könnte das helfen“, sagte der Major. Schröck antwortete, dass sie nicht aufgrund eines Verrats an den Kameraden eher entlassen werden wolle. „Ich möchte auch noch in den Spiegel schauen können!“

      In der Nacht setzte sich im Traum die Unterhaltung mit dem Major fort. Schröck glaubte, der Major wolle ihr sagen, dass sie allein begnadigt werden würde. Sie wachte vor Schreck auf. Ihr war vorher nie der Gedanke an eine getrennte Freilassung gekommen. Unruhe erfasste sie. Am Morgen danach wurde sie von einer Wache geholt, ihr Mann ebenfalls. „Was ist los?“, flüsterte sie ihm zu. „Anwaltsbesuch“, kam es leise zurück. Beide wurden in ein Gebäude geführt, in dem der Major schon wartete. „Der Anwalt ist noch nicht da, Sie können sich solange unterhalten!“, wurde gesagt. Irmela Schröck wollte gern auf ihren Traum zu sprechen kommen und den Major bitten, nicht die Einwilligung zu einer getrennten Entlassung zu geben. Er reagierte unwirsch: „Das können Sie später besprechen, reden Sie jetzt mit ihrem Mann!“ Dann ging er ans Telefon, sprach ein paar Worte, kam zurück und sagte zu ihrem Mann: „Sie haben eine Minute Zeit, um sich zu verabschieden. Ihre Frau wird entlassen!“ Beide umarmten sich, und ihr Mann sagte: „Ich freue mich für dich.“ Dann wurde das Ehepaar auseinandergerissen.

      Jetzt ging alles hektisch und schnell. Irmela Schröck wurde mit einem Pkw und drei Beamten an die bayrisch-tschechische Grenze nach Waidhaus gebracht und den deutschen Behörden übergeben. Freuen konnte sich sie sich über die Entlassung nicht. „Ich dachte, dass mein Mann nun wohl drei Jahre absitzen müsste.“ Die drei Stunden Fahrt bis zur deutschen Grenze weinte sie ununterbrochen. Die 40-Jährige fühlte sich hilflos, einsam. Freunde aus Frankfurt, die ihre 16-jährige Tochter aufgenommen hatten, holten sie dort ab, brachten sie zu ihrer Tochter. „Manchmal glaube ich gar nicht daran, dass ich wirklich wieder zu Hause bin“, sagte Irmela Schröck den Medien damals, die ausführlich über das Schicksal des Ehepaares berichteten. Die Aktion mit Auto und Pässen sieht sie längst als „einfach zu blauäugig“.

      Heute, drei Jahrzehnte nach der vorzeitigen Freilassung, ist Irmela Schröck Hans-Dietrich Genscher und ihrem Bruder Dierk, einem Rechtsanwalt, der die Kontakte zu der Bundesregierung knüpfte, immer noch dankbar. Ihr Mann wurde durch Genschers Fürsprache sieben Monate nach ihr entlassen.

      In Haselünne, wo sie seit 2003 lebt, fühlt sie sich wohl. Sie engagiert sich in verschiedenen Vereinen, ist im Kino- und Kulturverein Hasetor zweite Vorsitzende, arbeitet hier als Künstlerin, hatte diverse Ausstellungen in der Region, kommt viel mit Menschen zusammen. An die denkt sie auch mit Blick auf das gerade begonnene neue Jahr. Die 70-Jährige wünscht sich, „dass sich Menschen mehr für andere einsetzen, dass Menschen hilfsbereit zu Mitbürgern und Nachbarn sind, egal welcher Nationalität und Herkunft.“ Frieden und Harmonie auf der ganzen Welt sollte man „mit gegenseitigem Verständnis und Gesprächen erreichen“, sagt sie. Krieg sei die falsche Waffe für Frieden.

      Eine schwere Zeit erlebte die Wahl-Haselünnerin Irmela Schröck, nachdem sie ihrer Cousine zur Flucht verholfen hatte. (Carola Alge)

      Der Wolf ist zurück – und nun?

      Zwischen Angst und Verklärung: Eine Spurensuche im Emsland

      Von Tobias Böckermannp

       Der Wolf ist nach Deutschland zurückgekehrt und er breitet sich in rasantem Tempo aus. 2013 hat die erste Fähe das Emsland erreicht, und mit ihr begann auch hier eine Diskussion darüber, ob der Wolf willkommen ist oder nicht. Sie lässt sich auf vielen Feldern führen, man kann sie sachlich gestalten oder polemisch.

      Björn Wicks ist Faktensammler und damit eine seltene Spezies Mensch, wenn es um die Rückkehr des Wolfes geht. Denn wenn es um den als Isegrim verunglimpften Wolf geht, steht urängstliche Ablehnung nicht selten romantischer Verklärung gegenüber. Beides ist nicht Wicks Sache. Er ist Förster beim Bundesforstamt und hat sich vor zwei Jahren, als der erste Wolf auftauchte, zum Wolfsberater ausbilden lassen. „Dass er mich bei meiner Arbeit beschäftigen würde, war klar. Und er interessierte mich“, sagt Wicks.

      Seit einem Lehrgang ist er Wolfsberater für die Wehrtechnischen Dienststelle 91 (WTD) und den Bombenabwurfplatz Nordhorn-Range. Regelmäßig macht er sich hier auf Suche nach dem geschnürten Trab, nach noch dampfenden Wolfshaufen oder einem Riss. Je frischer, desto besser, denn dann kann Wicks versuchen, Genmaterial vom Wolf zu nehmen. Am Ende trägt seine Arbeit dazu bei, mehr zu erfahren über das Wanderverhalten und die Verwandtschaftsverhältnisse des jungen deutschen Bestandes. Der Förster sucht Spuren einer Wölfin, die fast unbemerkt schon länger im Emsland und der Grafschaft Bentheim lebt. Und er will wissen, ob sie noch alleine ist.

      Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen – für die WTD zwischen Meppen und Sögel könnte dieses Sprichwort erfunden worden sein. 19200 Hektar umfasst der Schießplatz mit seinen Mooren, Wäldern, Bunkern und Abschussrampen. Und auch wenn in der Mitte die Tinner Dose die Sicht ins endlose Moor freigibt, ist jeder Überblick über das Wolfsland doch nur vorgegaukelt. Björn Wicks jedenfalls hat zwischen Bentgras, Heide und Birkenhain noch keinen einzigen wilden Wolf zu Gesicht bekommen. An diesem Märznachmittag soll sich das ändern, vielleicht. Wicks steuert seinen VW Amarok auf den Schießplatz, mit den Schweißhunden Selma und Edna auf dem Rück- und einem Zeitungsreporter auf dem Beifahrersitz. Los geht es auf eine „Tour de Wolf“, einmal rund um die 3500 Hektar große Tinner Dose.

      „Wölfe können weit laufen“, sagt Wicks, während sein Geländewagen losschaukelt, „die Reviere sind riesig“. Pro Tag sind 70 oder 80 Kilometer drin, ermöglicht durch eine Art Energiespargang, den geschnürten Trab. Wölfe setzen dabei die Vorderfüße direkt voreinander, die Hinterpfoten werden in den Abdruck der Vorderpfote gesetzt. So entsteht eine lange gerade Linie. Diese Gangart unterscheidet den Wolf eindeutig vom verspielten, unsteten Rennen eines Hundes. Nur eine 200 Meter lange Trabspur gilt als Wolfsnachweis, Einzeltatzen nützen nichts.

      Wicks will deshalb gezielt die Sandwege


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