Feldforschung. epubli GmbH
Читать онлайн книгу.würde sagen, erst einmal ein paar Arbeitseinheiten absolvieren um zu sehen, ob Ihnen auch die Arbeit im Garten gefällt.“ Wolle war der einzige, der nett und kommunikativ war.
„Ich komme aus einer Familie, die von der Landwirtschaft lebt...“
Fast hätte er angefangen, von dem Garten seiner Mutter los zu schwärmen, aber dann wären die Typen hier beleidigt gewesen.
„Darf man denn anbauen was man will?“, lenkte er also seine Gedanken in eine andere Richtung, von der er angenommen hatte, dass sie unverfänglich sei. Er wollte eigentlich dem Vorstand die Gelegenheit geben, seine Kenntnisse des Kleingartengesetzes zum Besten zu geben, aber die allgemeine Reaktion war verblüffend. Blitzschnelle Blicke wanderten von einem zum anderen, außer zu Wolle, der mit seinen langen Schritten vorweg marschierte und mit ausholender Geste zu reden ansetzte: „Ja, also...“
„Wir haben jetzt Mittag!“ grätschte Kalle dazwischen. „Wolle, deine Olle wartet.“ Der Angesprochene drehte sich um, sah auf das Grüppchen und dann auf die Uhr.
„Ja, hast recht, Tschüss, bis um drei.“ Weg war er.
Die anderen schoben Gianni regelrecht mit einer Wand von Misstrauen und Schnaps-Fahne zur Anlage hinaus.
„Woher kennen sie den Klaus-Jürgen eigent... aua!“ Jupp, der Fragesteller krümmte sich plötzlich und rieb sich den Fuß, der mit seinem Flip-Flop dem massiven Gartenstiefel des Lauten wenig entgegenzusetzen gehabt hatte.
„Ok, ich bin dann mal weg“, sagte Gianni so naiv wie er konnte, ging flott zu seinem Auto und fuhr los. An der nächsten Ecke hatte seine Idee Form angenommen. Das Feld mit der Scheune musste doch auch von einer anderen Seite zu erreichen sein. Er ließ also seinem Orientierungssinn freien Lauf und parkte dann am Fuße der Halde, die er vorhin von weitem gesehen hatte. Jetzt schaute er über das Feld zu den Gärten hinüber - absolute Mittagsruhe, niemand zu sehen. Geduckt rannte er auf die Scheune zu, die letzten Meter schlich er, dann lehnte er sich, über sich selbst amüsiert, an die Scheunenwand.
„Dat daaf nich wahr sein, ach du Scheiße!“ Der Laute. Gianni zuckte zusammen, ihm standen die Haare zu Berge. Er spielte also doch nicht mit sich selbst Räuber und Gendarm.
„Kuck ma, alles vergammelt, dat sind Tausende, die da den Bach runter gegangen sind. Wieso sind die Lampen nich an, und die Bewässerungsanlage au nich!“
„Ich habe es ja gleich gesagt.“ Der Leise konnte offenbar doch sprechen. „Wir hätten dem Kiffer niemals die Hanfplantage überlassen dürfen. Und dann noch der Typ mit der schwarzen Lederjacke, wer weiß, von wem der kam.“
„Ja, und gez?“
Gianni schlich um die Scheune herum zu dem offen stehenden Tor. Er sah zwar nur aufgeschichtete Stroh-Ballen, aber es roch ganz eindeutig nach Gras, die Plantage musste hinter dem Stroh versteckt sein.
„Alles abfackeln, und zwar sofort. Gib deine Schnapsflasche.“
„Bist du bescheuert? Der gute Bommerlunder.“
Gianni rannte.
Eine halbe Stunde später traf Gianni Franzi Schneider im Cafè. „Stell dir vor, ich habe Klaus-Jürgen am Bahnhof getroffen. Er sagte, er muss auf unbestimmte Zeit weg, ein Verwandter sei plötzlich sehr krank geworden.“
„Aha?“
„Jetzt muss ich tatsächlich die Feldstudie allein weiterführen.“
„Hm.“
„Was meinst du denn so, sind die eher grün oder eher braun?“
„Ich würde sagen, eher blau.“
Grabgeschichte
Marina Büttner
Ich liebe diese Stadt, könnte anderswo nicht leben. Doch die Stadt tut nur gut, wenn es dir gut geht. Geht es dir schlecht, beginnst du sie zu hassen. Du siehst plötzlich all das mit andern Augen, was dir sonst so gefällt... die Vielfalt der Menschen, das bunte Treiben, die unendlichen Möglichkeiten, die hier auf dich warten, die Verrücktheit, die Schäbigkeit, die stete Bewegung, die Gelassenheit, die üblen Ecken, der ewige Wind, der durch die Straßenzüge pfeift. Alles verkehrt sich dann plötzlich ins Gegenteil... du fühlst dich einsam unter all den vielen Menschen, überflutet vom Lärm und belästigt vom Dreck. Die Stadt geht dir auf die ohnehin angegriffenen Nerven. Du hast jedoch eine Möglichkeit gefunden, dich abzuschirmen gegen die Wucherungen und die Übergriffe der großstädtischen Tentakel. Du hast einen Ort entdeckt, der dich unantastbar macht. Es ist ein Schutzraum, ein Kokon der Stille, der dich von allem Unerträglichen trennt, in dem alle gleich sind: Das Reich der Toten.
Mein Friedhof bietet mir behutsame Ruhe, Naturwelten (wusstest du, dass Eichhörnchen schreien?) und egal an was man glaubt, einen Hauch von Ewigkeit und Seelenfrieden. Der Friedhof ist zu meinem zweiten Zuhause geworden. Ich schreibe dort, ich las die russischen Klassiker dort, die noch in meinem Repertoire fehlten, ich diskutierte über Schicksal und eigenen Willen, meditierte, habe innig geküsst und auch intensiv geschwiegen. Ich habe dort Leute mit Missionen und Visionen vorgefunden. Eine Frau hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich täglich um die liebevoll eingerichteten Futterplätze der Vögel zu kümmern, ein anderer füttert die Eichhörnchen. Ich lauschte wohlklingendem Gitarrenspiel, ganz leise; einmal übte einer Kickboxen mit einem Punchingball, ziemlich laut. Ich treffe oft auf schwarz gekleidete Jugendliche, weihrauchduftend, die sich vor Jugendstilgräbern in Szene setzen, um sich fotografieren zu lassen. Ein Schauspieler übt hier seine Dialoge, eine Sängerin trainiert ihre Gesangsstimme.
Die Menschen, denen du hier regelmäßig begegnest, sind anders als außerhalb der Friedhofsmauern...
Ich habe meinen Job verloren, mein geliebter Beruf ist vom Aussterben bedroht. Mein Freund hat eine andere. Es wird Herbst. Alles Wasser auf die Mühlräder einer Depression, die ich glaubte, für immer hinter mir gelassen zu haben. Ich bin nicht in einem Alter, in dem man einfach mal so mit links wieder neu anfängt. Ich fühle die Verzweiflung heute deutlich und bevor ich zu meinem Beratungstermin erscheinen muss, will ich noch ein wenig zu mir kommen. Ich biege von der Hauptstraße ab, gehe die paar Stufen hinunter und befinde mich in Sicherheit. Sofort umfängt mich Stille. Mein Weg führt mich entlang zwischen den Gräbern zu „meiner“ Bank. Sie steht so, dass der Blick auf das Grab von Rahel von Varnhagen fällt. Kurz stutze ich, denn da ist eine junge Frau beschäftigt an einem der Gräber gleich in der Nähe. Eigentlich möchte ich allein sein. Soll ich meine Richtung ändern, den Weg in den anderen Kirchhof einschlagen? Doch schon tragen mich meine Füße weiter in diese Richtung. Die Sonne erreicht gerade das eine Ende der Bank. Sie steht tief, es ist Herbst, sie wird bald hinter den Bäumen verschwinden, doch sie wird mich einen kurzen Augenblick wärmen. Lange werde ich ohnehin hier nicht sitzen können, bevor ich weiter muss. Ich nehme Platz, schließe die Augen, fühle die Strahlen auf meiner Haut. Versunken.
Wie immer habe ich ein Buch bei mir, doch heute will ich nicht lesen, nur einfach hier sitzen und sinnieren. Ich sehe die Worte auf dem Grabstein. War es damals einfacher zu Zeiten des Literatursalons der von Varnhagen Verleger, Buchhändler oder Schriftsteller zu sein? Darin vergrüble ich mich fast immer, wenn ich hier sitze. Für mich, die ich die Literatur so liebe, ist es ein erschöpfendes Thema. Damals schrieb man mit der Hand, man schrieb noch Briefe (hast du jemals den Zauber von Kafkas Briefen an Felice gespürt oder im Briefwechsel der Bachmann mit Celan geschwelgt?). Vielleicht wäre ich in einer früheren Zeit besser aufgehoben gewesen... Jetzt ist das internationale Netzzeitalter im Gange und nicht mehr zu bremsen. Es wird an kleinen Computern gelesen und ich, die ich noch am Papier meiner Bücher rieche und beim Umblättern der Seiten ein Wohlgefühl verspüre, bin zum Dinosaurier meiner Berufszunft geworden.
Ein Geräusch zieht meine Aufmerksamkeit nach außen. Als ich aufblicke, merke ich, dass die junge Frau sich ans andere Ende der Bank gesetzt hat. Neben ihr liegt zerknülltes Blumenpapier, sie hat einen Strauß auf das Grab gestellt. Nun kramt sie in ihrer Tasche. Einen kurzen Moment überlege ich, ob es mir passt, dass sie hier sitzt. Doch schon weiß ich, es ist okay. Sie fragt, ob es mich störe, wenn sie rauche. Nein, sage ich.