der andere Revolutionaer. L. Theodor Donat

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der andere Revolutionaer - L. Theodor Donat


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Jesus kam. Ich meine, dass es unabdingbar war, aus meiner Heimat und aus festgefahrenen Strukturen wegzukommen. Und wie gesagt, der Besuch des Papstes in meiner Stadt war der Katalysator schlechthin. Andere Schlüsselerlebnisse habe ich in meinem eBuch „der verstellte Ursprung“ beschrieben.

      1.1. Zuhause

      Liebe Carole,

      Als ich bei der Erstbeichte mit neun Jahren bekannte, ich hätte Unkeuschheit getrieben – ich hatte einmal mit etwa 8 Jahren mein Gliedchen berührt –, sagte mir der Pfarrer ohne weitere Erklärung, dass dies nicht möglich sei. Überhaupt war die Erstbeichte eine von vielen, die mir als Skrupulant Angst einflösste.

      Damit war ich so etwas wie ein religiöser Perfektionist, weil ich mich bei Beichte und Kommunion immer fragte, ob ich das betreffende Sakrament eigentlich gültig empfangen habe.

      So wurde ich auf eine eher quälende Introspektion trainiert. Und es war am „sichersten“ vor der Kommunion zu beichten. Aber ja, die Beichte ebenfalls musste gültig empfangen werden! Sehr oft habe ich mich gefragt, ob ich alle „schweren“ Sünden gebeichtet und „wirkliche Reue“ erlangt hätte. Diese Art Waschanstalt funktionierte offenbar nur, wenn ICH alles richtig machte. Jetzt meine ich, dass ich zum Pharisäertum geradezu hingeführt wurde, da es doch vor der Kommunion darum ging, seinen „Stand der Gnade“, gewissermassen seine „Unschuld“ festzustellen!

      Meine Beziehung zu Gott wurde vertieft durch die Weiterbildung als Ministrant. Erste intime und friedliche Momente mit Jesus hatte ich bei den damals üblichen Danksagungen nach der Messe. Aber zu einer freundschaftlichen, ganzheitlichen Beziehung zu Jesus wurde ich nicht geleitet. Es gab keinen spannenden Jesus, er „gehörte“ einfach zur Dreifaltigkeit! Gott war allmächtig und es ging darum, auf dem rechten Weg zu bleiben, indem man sich vor schwerer Sünde hütete. Und es wurde vom Fegefeuer und von der Hölle gesprochen.

      In der fünften oder sechsten Klasse der Grundschule besuchte ich eine Wanderausstellung über die katholische Mission. Unter andern Gegenständen war der Priesterrock eines Missionars ausgestellt, mit einem Schussloch auf der Höhe des Herzens. Da fiel mir einfach ein, dass ich ihn ersetzen könnte.

      Ein Kamerad und ich traten nach der Hauptschule - als Erste unseres Dorfes - in ein Gymnasium naturwissenschaftlicher Richtung ein. Während meines ersten Jahres setzte sich ein sehr autoritärer Mathematiker während der Mittagspause zu mir. Er erklärte mir einen geometrischen Sachverhalt, den ich gerade zu verstehen suchte, auf eine so einleuchtende, nachvollziehbare Weise, dass ich die Angst mehr vor Mathematik verlor und später mit den Höchstnoten abschloss. Das war für mich insoweit eine wichtige Erfahrung, als ich konkret erfuhr, wie durch eine nachvollziehbare Argumentation ganze Gebiete erschlossen werden können.

      Dass der betreffende Lehrer homosexuell war, nahm ich damals nicht wahr. Der Kamerad wurde später Doktor der Mathematik und machte Karriere in der europäischen Raumfahrt.

      Ich sah Mutter oft beten, ziemlich unbequem auf der Eckbank kniend und mit dem Gesicht zur Wand. Dies und die damals herrschende Auffassung: „Opfer bringen Spiritualität“ sowie der individualistische Katechismus prägten meine Einstellung, dass die Beziehung zu Gott etwas eher Schwieriges sei. Im Übrigen wurde in der Familie nie über Religion gesprochen, so klar war es, einfach alles mitzumachen, was in der Kirche verkündet wurde.

      Nach dem Abitur und 10 Tagen in den Dolomiten trat ich in das Noviziat ein. Die Reise dorthin war meine erste Auslandsreise, die ich allein unternahm. Die Ausbildung im Noviziat war recht bescheiden; wir verbrachten viel Zeit mit körperlichen Arbeiten auf dem dazu gehörenden Bauernhof. Die Erklärung unserer Ordensregel ist mir in Erinnerung geblieben sowie der „Weg zur Vollkommenheit“, nach den Schriften unseres Gründers. Dabei war mir überhaupt nicht klar, welchen Einfluss die Geschichte auf die Entwicklung der Sprache hat. Ich nahm jedenfalls alles zu wörtlich und eigentlich wurden wir so trainiert. Die Zirkulare des „Guten Vaters“ faszinierten mich, waren sie doch ein geschickter Mix aus Psychologie, Zeitfragen und Spiritualität.

      „Guter Vater“ war die Anrede unsern Generalobern dazumal. Das ist natürlich so schrecklich wie „Heiliger Vater“, doch das habe ich damals nicht realisiert.

      Wir lernten die Geschichte unseres Ordens und das Leben des Gründers kennen. Jeden Tag mussten wir, in einem besonderen Heft, einen Bericht über die Betrachtung schreiben.

      In dem Bericht mussten wir über die Gedanken Rechenschaft ablegen, die wir nebst den Zerstreuungen bei unserer persönlichen Betrachtung hatten. Diese Hefte wurden vom Novizenmeister im Laufe des Tages mit rotem Stift schriftlich kommentiert. Eine Hausaufgabe über das persönliche Gebet!

      An Allerheiligen 1963 legte ich meine Ersten Gelübde ab. Positiv war, dass meine Eltern und meine Schwester anreisten, mit denen ich dann einen Abstecher in die Hauptstadt des betreffenden Landes machen durfte. Negativ war, dass mir ein Mitglied der Generalleitung bei der liturgischen Feier die Ordensregel übergab mit der Widmung: „Halte diese Regel, denn sie ist Dein Leben!“ Dass nur Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben sein kann, war höchstwahrscheinlich implizit. Es wurde zwar von der Nachfolge Christi gesprochen, aber wir hatten schon damit begonnen, das Evangelium, von dem wir viel zu wenig hörten, durch Regeln und Reglemente zu ersetzen. Wir begannen von Perfektion zu reden anstelle von Freundschaft. Du wirst lächeln: Ich als Idealist und Perfektionist in dieser Umgebung, das konnte heiter werden! Es versteht sich von selbst, dass wir jeden Mädchenkontakt vermieden, denn, so sagte uns der Novizenmeisters, sie seien im Dienste des Teufels, um uns von unserer Berufung abzubringen.

      Fazit, was die Zeit zwischen den ersten Gelübden und die Aussendung in die Mission betrifft: Die ersten sieben Jahre meines Ordenslebens wären frustrierend gewesen, hätte mein jugendlicher Optimismus nicht mitgespielt. Ich hatte allerdings das Revolutionäre der Evangelien noch nicht entdeckt. Dass das Ordensleben eine prophetische Rolle in der Kirche zu spielen hatte, wurde uns theoretisch erklärt, aber es blieb Theorie.

      Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatten viele Ordensleute ihre Gemeinschaft verlassen, darunter einige nette Mitbrüder aus der Heimat-Provinz. Es war wahrscheinlich eine Folge einer beginnenden Öffnung innerhalb der Rkk, die weiter gedacht das Zölibat in Frage stellte.

      Auf der Suche nach Freundschaft war ich nicht weitergekommen, die Freunde aus dem Heimatdorf waren zu weit entfernt. Dass ich ausserdem nach Freiheit suchte, war mir noch nicht bewusst. Aber meine Identifikation mit der Rkk und mit meinem Orden hatte sich gefestigt!

      In Liebe Dein L. Theodor

      1.2. der Transfer

      Liebe Carole,

      Im Sommer 1970 schloss ich ein Master in Mathematik und Physik und ein Diplom für das höhere Lehramt erfolgreich ab. In den darauf folgenden Ferien brachte ich mir noch das Zehnfinger-System für die Schreibmaschine bei. An der Universität hatte ich das System Adler angewendet: zweimal mit dem Finger kreisen und dann zielstrebig auf die Taste! Am 13. September 1970 wurde ich vor meinen Eltern und einigen Mitbrüdern in die Mission entsandt. Als Zeichen der Aussendung erhielt ich ein Kreuz. Das machte man damals so. Es sollte vermutlich einen sachkundigen Einführungskurs in Missionsarbeit und Entwicklungshilfe ersetzen. Zwei Tage später flog ich nach Westafrika und war beeindruckt von der Grösse der Sahara, über die man mehr als drei Stunden düst.

      Der Touristenboom hatte noch nicht begonnen, es flog dorthin nur, wer dies tatsächlich musste. Der Abschied von der Heimat tat mir nicht weh, wollte ich doch einen Jugendtraum verwirklichen. Das Aussteigen aus dem Flugzeug in unserem Gastland, das ich wie das Betreten eines Treibhauses empfand, ist mir noch in Erinnerung. Ich kam ja schliesslich in den Tropen an. Das erste Abendessen war recht herzlich, doch das Zimmer, das man mir zuwies, war düster und muffig, Waschbecken und Dusche fleckig, der blosse Zementboden gewöhnungsbedürftig. Die Leintücher waren feucht und ich sah zum ersten Mal ein Moskito-Netz, dessen Gebrauch man mir in der Folge erklärte. Ich erlebte das frühe Einbrechen der Nacht. Die Geräusche, die zu mir drangen, konnte ich nicht zuordnen.

      Am folgenden Tag machte ich mit einem Mitbruder einen Rundgang in meiner neuen Hauptstadt, unter anderem zeigte er mir den Markt. Spätestens


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