Der Teufel von Tidal Basin. Edgar Wallace

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Der Teufel von Tidal Basin - Edgar Wallace


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Tidal Basin nimmt in erschreckender Weise zu.« Er machte eine Notiz auf seinem Schreibblock. »Diese Nacht muß ich wieder zu einer Entbindung. Ich soll gleich kommen, aber sie werden mich nicht vor drei Uhr morgens brauchen. Warum soll ich eigentlich Detektivgeschichten lesen?«

      Sergeant Elk nahm einen Schluck Whisky. Er ließ sich niemals zu Erklärungen drängen.

      »Ach, ich wünschte nur, daß so schlaue Zeitungsleute wie Mike Quigley einmal ein paar Monate praktische Arbeit bei der Polizei leisten müßten. Neulich habe ich in einem Kino im Westen einen amerikanischen Kriminalfilm gesehen. Da lernt man zuerst ungefähr zwanzig verschiedene Leute kennen, wird mit ihrem Charakter, ihren Lebensverhältnissen und so weiter vertraut gemacht, und bei einiger Routine weiß man natürlich sofort, daß der am wenigsten Verdächtige den Mord begangen hat. So einfach ist die Polizeiarbeit denn doch nicht, Doktor. Uns stellt man die Leute, die an einem Verbrechen beteiligt sind, nicht vor; wir wissen nichts von ihrem Charakter. Wenn ein Mord passiert, haben wir gewöhnlich nur den Toten. Wer ist er? In welchen Beziehungen steht er zu seinen Mitmenschen? Das müssen wir alles selbst herausbringen. Wir stellen umständliche Nachforschungen an, laden Zeugen vor und verhören sie. Und diese Leute haben alle etwas zu verbergen.«

      »Wieso denn?«

      »Jeder hat etwas zu verbergen«, wiederholte Elk. »Nehmen wir einmal an, Sie wären ein verheirateter Mann, Ihre Frau verreist, und Sie würden mit einer jungen Dame aufs Land fahren ...«

      Marford protestierte.

      »Aber das ist doch nur Theorie«, beschwichtigte ihn Elk. »Dergleichen ist vorgekommen und wird auch immer wieder vorkommen. Am Morgen schauen Sie aus dem Fenster Ihres Hotels und sehen, daß ein Mann dem andern den Hals abschneidet. Sie sind Arzt und können es sich nicht leisten, daß Ihr Name auf diese Weise in die Zeitungen kommt. Würden Sie nun zur Polizei gehen und wahrheitsgetreu berichten, was Sie gesehen haben? Sie können doch unmöglich als Zeuge vor Gericht erzählen, daß Sie mit der jungen Dame eine kleine Spritztour aufs Land gemacht haben? Sehen Sie, so etwas passiert jeden Tag. In einem Mordprozess haben fast alle Leute etwas zu verheimlichen, und deshalb ist es so furchtbar schwer, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Es ist, als ob man von einem großen Scheinwerfer beleuchtet würde. Sie treten als Zeuge auf und werden erst vom Staatsanwalt, nachher vom Anwalt des Angeklagten ausgequetscht. Und einer von beiden will den Geschworenen beweisen, daß Sie ein Mann sind, dem man nicht im mindesten trauen kann.«

      Elk rauchte wieder einige Zeit schweigend.

      »Ist diese Lorna Weston nicht eine etwas geheimnisvolle. Frau?« fragte er schließlich.

      Dr. Marford sah ihn nachdenklich an.

      »Ja, ich glaube. Aber für mich sind alle Frauen mehr oder weniger geheimnisvoll. Wovon lebt sie eigentlich?«

      Elk verzog das Gesicht.

      »Nun ja, Sie wissen doch ...«

      Der Doktor nickte.

      »Ja, so gibt es viele. Ich möchte nur wissen, warum sie sich diese schreckliche Gegend ausgesucht haben. Aber vielleicht ist es hier billiger als anderswo. Ein Mädchen erzählte mir – aber man kann ihnen ja nichts glauben.« Er seufzte schwer. »Man kann überhaupt niemandem glauben.«

      Elk stand auf, trank aus und griff nach seinem Hut.

      »Sie wollte von mir wissen, ob Sie es sehr streng nähmen. Es kommt mir fast vor, als ob sie Morphinistin wäre. Ich weiß es allerdings nicht, ich habe nur eine Ahnung. Wissen Sie, in Silvertown hat ein Arzt damit ein Vermögen verdient. Er hat über tausend Pfund für seinen Rechtsanwalt ausgegeben, als ich ihn abfaßte ...«

      Der Doktor begleitete ihn bis zur Haustür, und sie kamen gerade im richtigen Augenblick auf die Straße.

      Schon in der Diele hörten sie, daß draußen eine Schlägerei im Gange sein mußte, und als Marford die Tür öffnete, sahen sie zwei Männer, die aneinandergeraten waren. Eine große Menschenmenge hatte sich bereits angesammelt.

      Es war ein ziemlich gleicher Kampf, denn die Männer waren beide betrunken. Aber sie kamen zu nahe an die Bordschwelle des Gehsteigs. Der eine Mann stolperte, schlug mit dem Hinterkopf auf, und der graue, staubige Granit färbte sich rot.

      »Hallo – Sie!«

      Elk packte den Sieger. Polizisten bahnten sich einen Weg durch die Menge.

      »Nehmen Sie den Mann fest.« Der Sergeant übergab seinen Gefangenen einem Beamten. »Bringen Sie den anderen in die Klinik – tragen Sie ihn vorsichtig.«

      Mehrere Leute folgten seiner Anweisung und brachten den Bewußtlosen in das Sprechzimmer Dr. Marfords. Der Arzt nahm eine kurze Untersuchung vor, während Elk die Neugierigen wieder auf die Straße trieb.

      »Nun, wie steht es?« fragte er, als er zurückkam.

      »Er muß ins Krankenhaus geschafft werden.«

      Marford legte dem bleichen Mann einen Notverband an.

      »Wollen Sie so gut sein und nach einem Krankenwagen telefonieren?«

      »Er kommt wohl nicht mehr durch?«

      »Ich glaube kaum. Ein komplizierter Schädelbruch. Wir wollen nur sehen, daß er schnell ins Krankenhaus kommt. Vielleicht können sie dort noch etwas für ihn tun.«

      Kurze Zeit später kam das Krankenauto, und der Bewußtlose wurde fortgebracht.

      Der Doktor schloß die Tür hinter Mr. Elk und kehrte zu seinen Büchern und seiner Beschäftigung zurück. In der Nacht sollten zwei Kinder in Tidal Basin geboren werden. Die Hebammen würden ihn rechtzeitig benachrichtigen. Erwünscht waren die kleinen Geschöpfe nicht. Der eine Vater war arbeitslos und hatte auch keine Aussicht auf eine neue Stellung, und der andere saß im Gefängnis.

      Marford dachte plötzlich an Lorna Weston ...

      Natürlich kannte er sie. Sie kam oft genug an seinem Sprechzimmer vorüber, wenn sie einkaufen ging. Ein paarmal war sie auch hereingekommen, um ihn zu besuchen. Sie war schön, obwohl ihr Mund etwas hart und gewöhnlich aussah. Elk gegenüber gab er niemals zu, daß er jemand kannte. Der Mann war ein Detektiv, und man konnte ihm keine vertraulichen Mitteilungen machen, weil er alles beruflich ausnützte.

      Nach einer Weile klingelte das Telefon, und der Sergeant teilte Marford mit, daß der Mann bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus gestorben war.

      »Bei der Verhandlung brauchen wir Sie als Zeugen«, schloß er. »Der Tote ist ein Dockarbeiter aus Poplar – ein gewisser Stephens.«

      »Äußerst interessant«, sagte der Doktor und legte den Hörer zurück.

      Gleich darauf schrillte die Glocke an der Haustür. Er erhob sich müde und ging hinaus. Die Nacht war dunkel, und draußen regnete es.

      »Sind Sie Dr. Marford?« fragte jemand.

      Der Duft eines guten Parfüms schlug ihm entgegen, und die Stimme der Frau verriet Bildung, wenn sie auch ärgerlich klang.

      »Ja. Wollen Sie hereinkommen?«

      Im Sprechzimmer brannte nur eine Leselampe auf dem Schreibtisch, und er hatte das Gefühl, daß ihr das nicht unangenehm war.

      Sie trug einen Ledermantel und einen kleinen Hut. Den Mantel öffnete sie rasch, als ob ihr das Atmen schwerfiele oder als ob es ihr zu heiß wäre.

      Er hielt sie für eine Amerikanerin. Zweifellos war sie eine Dame, die nicht in die Umgebung von Tidal Basin gehörte.

      »Ist er – tot?« fragte sie nervös und schaute ihn furchtsam an.

      »Wen meinen Sie denn?«

      Er war erstaunt und überlegte sich rasch, weicher seiner Patienten dem Tode nahe war. Es fiel ihm aber nur der alte Sully ein, der einen Laden für Marineartikel hatte. Aber der lag ja schon seit achtzehn Monaten mehr oder weniger im Sterben.

      »Ich meine den Mann, der hierhergebracht wurde – nach der Schlägerei. Ein Polizist erzählte mir, sie hätten auf der Straße miteinander gestritten,


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