Töchter der Nacht. Edgar Wallace

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Töchter der Nacht - Edgar Wallace


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halte die Bürostunden ein. Das ist etwas anderes als das, was Sie sagen. Wenn Sie diese ganze lange Zeit in England waren und noch nicht entdeckt haben, daß die englischen Geschäftsleute nicht vor zehn Uhr morgens zu arbeiten anfangen, nachmittags um drei bereits zum Tee gehen und um vier Uhr das Geschäft schließen, dann haben Sie allerdings noch nicht viel gelernt.«

      Ein Lächeln blitzte in ihren Augen auf. Im allgemeinen war sie ziemlich ernst, aber die Gegenwart Jim Bartholomews stimmte sie fröhlich und heiter.

      Sie ritten einige Zeit schweigend nebeneinander her, bis Jim sich an sie wandte.

      »Nach allem glaube ich, daß ich Sie nun nur noch ein einziges Mal sehen werde vor Ihrer Abfahrt nach den Vereinigten Staaten?«

      Sie nickte.

      »Und wie lange werden Sie fortbleiben?« fragte er.

      »Ich weiß es nicht«, entgegnete Margot kurz. »Meine Pläne für die Zukunft sind noch ziemlich ungewiß. Im Augenblick hängt alles davon ab, was Frank und Cecile entscheiden. Sie sprachen schon davon, daß sie sich in England ankaufen und ein paar Jahre hierbleiben würden. Frank ist gerade nicht sehr davon erbaut, daß ich allein lebe, andererseits –«, sie hörte plötzlich auf und vollendete den Satz nicht.

      »Nun, was wollten Sie sagen?« fragte Jim interessiert.

      »Andererseits wäre es ja nicht ausgeschlossen, daß ich auch selbst in England bliebe.«

      »Ach ja«, erwiderte Jim leise.

      »Würden Sie es gerne sehen?« fragte sie plötzlich.

      »Nein«, gab er ruhig zu. »Ich glaube nicht, daß ich einen solchen Schritt ihrerseits gern sehen würde. Aber Ihre Anwesenheit hier ist für mich sehr angenehm. Wenn Sie nicht ein so großes Vermögen besäßen, dann wäre es vielleicht bedeutend leichter, endgültig über Ihre Zukunft zu entscheiden.«

      Sie wartete, aber er sprach nicht weiter, und sie wollte ihn auch nicht fragen. Sie hatten die wilde Gegend des oberen Moors erreicht. Fern am Horizont erhob sich Hay Tor und sah fast aus wie eine blaugraue Wolke. Unten im Tal zog sich wie ein silbernes Band der Dartfluß durch die grüne Landschaft.

      »Dies ist der einzige Platz in England, wo man leben kann«, sagte sie und atmete tief.

      »Sie haben unsere Einwilligung«, entgegnete Jim großartig, hielt sein Pferd an und zeigte mit der Reitpeitsche über das Moor hin. »Sehen Sie drüben das weiße Haus? In Wirklichkeit ist es gar keins. Ich glaube, es ist als Jagdschloss für einen Kaiser oder als Irrenhaus erbaut worden.«

      »Ja, ich sehe es«, erwiderte sie und hielt die Hand über die Augen, um die Sonnenstrahlen abzublenden.

      »Es heißt Tor Towers. Haben Sie schon einmal Mrs. Markham getroffen?«

      »Markham?« fragte die junge Dame und runzelte die Stirn. »Nein, ich glaube nicht.«

      »Sie stammt auch aus den Vereinigten Staaten und ist eine ungeheuer reiche Dame.«

      »Ach, eine Amerikanerin?« sagte sie erstaunt. »Merkwürdig, daß wir sie nicht getroffen haben, nachdem wir doch ein ganzes Jahr lang in der Gegend waren.«

      »Ich habe sie selbst auch nur ein einziges Mal gesehen«, gab Jim zu. »Sie ist eine Kundin unserer Bank. Aber gewöhnlich wird sie von Sanderson bedient, wenn sie irgendwelche Fragen hat.«

      »Ist sie jung oder alt?«

      »Oh, noch sehr jung«, entgegnete Jim begeistert. »Und sie ist so schön wie – nun, haben Sie das Gemälde ›Der tote Vogel‹ von Grenze im Louvre gesehen? Sie erinnert mich immer an dieses schöne Bild, und man könnte sich denken, daß Greuze es nach ihr gemalt hätte. Nur die Farbe der Haare stimmt nicht ganz.«

      Sie sah ihn an und zog die Augenbrauen hoch. Ob Erstaunen oder vielleicht auch Belustigung in ihrem Blick lag, konnte er im Augenblick nicht sagen.

      »Nun, das ist ja sonderbar«, entgegnete sie mit spöttischem Ernst. »Diese Begeisterung –«

      »Ach, Margot, so müssen Sie das nicht auffassen«, erwiderte er, wurde aber trotzdem rot. »Ich habe sie nur ein einziges Mal gesehen.«

      »Nur einmal? Sie hat aber allem Anschein nach einen tiefen Eindruck auf Sie gemacht.«

      »In gewisser Weise, ja«, entgegnete er ernst. »In mancher Beziehung auch nicht.«

      »Ich weiß nicht recht, wie ich das verstehen soll.«

      »Wenn man sie zuerst sieht, muß man sie bewundern. Und doch wird man traurig in ihrer Gegenwart.«

      Margot lachte kurz auf.

      »Nun, durch eine gewisse melancholische Stimmung macht man am besten Eindruck auf einen Mann. Wir wollen heimreiten.«

      Sie lenkte ihr Pferd auf einen Weg, der zum Tal des Dart-Flusses und von dort aus nach Moorford führte.

      »Warten Sie noch ein wenig.«

      Jim hielt sein Pferd an. Margot wandte sich um und bemerkte, daß er sie bewundernd ansah. Tiefe Verehrung und Zuneigung lagen in seinem Blick. Ihr Herz schlug schneller.

      »Margot, ich werde Sie jetzt lange Zeit nicht mehr sehen«, begann er etwas heiser. »Sie gehen von mir fort, und wer weiß, wann Sie zurückkommen werden. Und wenn Sie diesen Platz verlassen haben, den wir beide so schön finden, dann ist er nur noch eine entsetzliche Einöde.«

      Sie schwieg und sah an ihm vorüber in die Ferne.

      »Ich muß in der Stadt bleiben und kann nicht von hier fort, denn ich bin an meine Tätigkeit in der Bank gebunden. Und das ist vielleicht die einzige Beschäftigung, die für mich paßt. Womöglich muß ich mein ganzes Leben hier zubringen, bis ich schließlich ein alter Mann von siebzig Jahren bin und einen kahlen Schädel habe. Eigentlich bin ich ja nicht zum Bankdirektor geboren«, sagte er etwas lebhafter, fast sogar schelmisch. »Es stand nicht in den Sternen geschrieben, daß ich in einem Büro an einem grünen Tisch sitzen sollte, um Leuten den Standpunkt klarzumachen, die einen Kredit von tausend Pfund verlangen, wenn ihre Einlage auf der Bank nur fünfhundert Pfund beträgt. Nein, ich sollte zur See gehen«, sagte er halb zu sich selbst, »oder wenn ich schon etwas mit einer Bank zu tun haben müßte, so wäre ich lieber ein Bankräuber. Im Grunde meines Herzens bin ich eigentlich verbrecherisch veranlagt, aber ich habe nicht genug Unternehmungsgeist.«

      »Wozu erzählen Sie mir das alles?« fragte sie und schaute ihn groß an.

      »Das alles führt uns zu der großen wichtigen Tatsache«, entgegnete Jim und richtete sich hoch im Sattel auf, »daß ich Sie liebe. Sie sollen das Land nicht verlassen, ohne daß ich Ihnen das gesagt habe. Warten Sie einen Augenblick«, fügte er schnell hinzu, als er glaubte, daß sie ihm antworten wollte. Aber er konnte Frauen schlecht beurteilen; in Wirklichkeit fiel ihr nur das Atmen schwer. »Ich weiß, was Sie mir erwidern wollen. Sie meinen, ich hätte es nicht sagen dürfen. Aber ich fühle mich freier und wohler, wenn ich Ihnen sagen darf, daß ich Sie liebe. Ich mache Ihnen keinen Heiratsantrag, das wäre nicht recht von mir. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich Sie liebe, und daß ich arbeiten werde – ich will diese langweilige, graue Stadt verlassen ... eines Tages vielleicht ...« Er sprach immer zusammenhangloser.

      Sie lachte leise und leicht, obwohl sie gegen die Tränen ankämpfte, die ihr in die Augen stiegen.

      »Jim, Sie sind ein sonderbarer Mann«, erwiderte sie kurz. »Erst machen Sie mir einen Antrag, und dann lehnen Sie ihn selbst ab. Es bleibt mir nichts zu sagen übrig, höchstens, daß ich Ihnen gegenüber niemals die Rolle der schwesterlichen Freundin spielen werde. Und dann habe ich auch Cecile versprochen, Sie zum Tee mitzubringen.«

      Jim schluckte schwer. Mit einem tiefen Seufzer trieb er sein Pferd an, und gleich darauf war er an ihrer Seite.

      »Also, das wäre erledigt«, sagte er.

      »Nun, ich möchte aber nicht erklären, daß Ihre Ansichten immer meine Ansichten sind. Aber jetzt wollen wir noch recht viel über die schöne Mrs. Markham plaudern.«

      Das


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