Helmut Schmidt. Neue Osnabrücker Zeitung

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Helmut Schmidt - Neue Osnabrücker Zeitung


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Brandt und Helmut Kohl. Dass die drei Vorgänger historisch mehr bewirkt hatten, trat in den Hintergrund. Schmidt bestach bis zuletzt durch scharfen Intellekt und Geradlinigkeit. Hochgelobt erhob er sich als umfassend gebildeter Publizist, gefragter Redner und „Orakel von Hamburg-Langenhorn“ in höchste Sphären der öffentlichen Wertschätzung.

      „Meine Fehler habt ihr verschwiegen, euer Lob habt ihr weit übertrieben“, monierte der Altkanzler 2013 nach seinem 95. Geburtstag. Zu allzu großer Bescheidenheit neigte er aber zeitlebens nicht: „Mir ist der eigene Geltungsdrang durchaus bewusst“, bestätigte er noch als alter Mann.

      Helmut Schmidt habe ihm stets Orientierung gegeben, lobte Gerhard Schröder. Henry Kissinger, der unter anderen für John F. Kennedy gearbeitet hatte, nannte Schmidt „einen der bedeutendsten Männer, die ich kennenlernen durfte“. Und Bundespräsident Joachim Gauck gratulierte zum 95. mit den Worten, Schmidt werde „zu Recht in die Geschichtsbücher eingehen“.

      Die erste große Stunde des Hanseaten schlug, als seine Heimatstadt Hamburg 1962 von einer schweren Sturmflut heimgesucht wurde. Als Polizeisenator riss Schmidt zentrale Entscheidungsvollmachten an sich und koordinierte die Hilfsmaßnahmen. Auch Bundeswehrsoldaten beteiligten sich auf Drängen des Senators an der Rettung von Flutopfern, obwohl solche zivilen Einsätze der Truppe damals rechtlich noch nicht abgesichert waren. O-Ton Schmidt: „Ich habe das Grundgesetz nicht angeguckt in jenen Tagen.“

      Im Bundestag, dem er von 1953 bis 1962 und von 1965 bis 1982 angehörte, machte der Sozialdemokrat sich als Verkehrs- und Militärexperte einen Namen. Entschieden lehnte er eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr ab, scharf attackierte er den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU). „Ich bin der Mann mit der schnellen Schnauze“, sagte er über sich selbst.

      Als „Schmidt Schnauze“ nahm der angriffslustige Sozialdemokrat freilich nicht nur politische Gegenspieler hart an, sondern auch politische Freunde. „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, ätzte Schmidt – ein Seitenhieb auf Willy Brandt. „Es war eine pampige Antwort auf eine dusselige Frage“, so Schmidt Jahrzehnte später in einem Interview.

      Am 16. Mai 1974 übernahm er nach dem Rücktritt von Brandt erstmals das Amt des Bundeskanzlers. Schwere Wirtschaftskrisen und der Terrorismus der Roten-Armee-Fraktion (RAF) wurden zu seinen größten Herausforderungen. Schmidt ging die Probleme mit kühler Konsequenz an. Sein Credo: „In der Krise beweist sich der Charakter.“

      In Fortsetzung der Brandt’schen Entspannungspolitik unterzeichnete Schmidt im August 1975 die Schlussakte der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ in Helsinki. Doch war er auch mit neuen Spannungen konfrontiert: 1979 marschierte die UdSSR in Afghanistan ein.

      Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing begründete Schmidt 1975 regelmäßige Treffen der wichtigsten Wirtschaftsnationen. Diese „Weltwirtschaftsgipfel“ gibt es bis heute. Gemeinsam initiierten beide Staatsmänner auch die Einführung des Europäischen Währungssystems, aus dem die Rechnungseinheit ECU hervorging. Es war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Euro.

      Zu Schmidts schwersten Prüfungen gehörte der Terrorismus der RAF. Die Regierung reagierte mit einer Aufrüstung der Polizei, einem Ausbau der Überwachungsapparate und einem Abbau von Grundrechten. Die Situation eskalierte, als RAF-Mitglieder im September 1977 den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer entführten. Im Gegenzug für dessen Freilassung forderten sie die Freilassung von Andreas Baader und elf weiteren RAF-Mitgliedern. Doch Schmidt blieb hart: „Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht erpressbar.“

      Arabische Terroristen entführten daraufhin am 13. Oktober 1977 die Lufthansa-Maschine „Landshut“, um die RAF zu unterstützen. Nach mehreren Stationen landete sie in Mogadischu in Somalia. Die Bundesregierung setzte die Spezialeinheit GSG 9 ein. Alle Geiseln konnten bei einem spektakulären Einsatz auf dem Flughafen von Mogadischu befreit werden. Für Schleyer, der trotz größter Anstrengungen nicht zu finden war, bedeutete dies das Todesurteil. Die RAF-Terroristen ermordeten ihn.

      Schmidt zeigte sich erschüttert über den Tod Schleyers und übernahm die politische Verantwortung. „Zu dieser Verantwortung“, so sagte er im Bundestag, „stehen wir auch in Zukunft. Gott helfe uns.“ Gesenkten Hauptes kondolierte der Kanzler der Witwe Waltrude Schleyer bei der Trauerfeier in Stuttgart. Erst viele Jahre später machte die Familie ihren Frieden mit Schmidt, der schuldlos schuldig geworden war. 2013 erhielt der SPD-Politiker den Preis der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung – in Anerkennung seiner Verdienste um die „Festigung und Förderung des freiheitlichen Gemeinwesens“.

      Standfestigkeit bewies Schmidt auch im Streit um die Nato-Nachrüstung. In den Jahren 1976/77 begann die Sowjetunion, mit Atomsprengköpfen versehene Mittelstreckenwaffen des Typs SS 20 zu stationieren, die auf Westeuropa gerichtet waren. Die Nato reagierte mit dem „Doppelbeschluss“. Dieser sah die Stationierung eigener atomarer Mittelstreckenraketen – überwiegend in der Bundesrepublik – vor, wenn Verhandlungen mit der Sowjetunion ergebnislos verlaufen würden. Die geplante Aufrüstung spaltete das Land. Eine breite Friedensbewegung entstand. Doch Schmidt verteidigte die Nachrüstung als unverzichtbar und verband sein politisches Schicksal damit. Erst 1987 einigten sich die USA und die Sowjetunion auf Abrüstung der Atom-Arsenale.

      Die Kontroverse um den Kurs der NATO und tiefe Meinungsverschiedenheiten über den richtigen Weg aus der Wirtschaftskrise trieben sowohl den linken und den rechten Flügel der SPD als auch die Sozialdemokraten und ihren Koalitionspartner FDP immer weiter auseinander. Die sozialliberale Regierung versuchte es mit einer Reihe von Konjunkturpaketen. Doch Ölpreisschock und Weltwirtschaftskrise hinterließen auch in der Bundesrepublik ihre Spuren: Die Arbeitslosigkeit übersprang im Lauf des Jahres 1982 die Marke von zwei Millionen. Die FDP ging schließlich auf Distanz zur SPD und zog am 17. September ihre vier Minister aus der Regierung zurück. Am 1. Oktober folgte ein von der Opposition beantragtes konstruktives Misstrauensvotum. Schmidt verlor, neuer Bundeskanzler wurde Helmut Kohl.

      Schmidts große Zeit in der Politik war damit unwiderruflich vorbei, auch wenn er dem Bundestag noch bis 1986 angehörte. Doch still wurde es um ihn nie. Er blieb aktiv als Mitherausgeber und Geschäftsführer der „Zeit“, als Redner, Ratgeber und geschätzter Interview-Partner. Und streitbar, wie er war, eckte er immer wieder an: so etwa mit seiner umstrittenen Haltung zu China. Beim Volksaufstand 1989 habe sich das Militär auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking nur gewehrt, relativierte der Ex-Kanzler das Massaker. Die geschätzte Zahl von 2.600 Toten nannte er übertrieben.

      Der Anerkennung des Sozialdemokraten weit über alle Parteigrenzen hinaus taten solche Einlassungen keinen Abbruch. So schrieb Wolfgang Schäuble (CDU) 2008 anlässlich des 90. Geburtstages: „Schmidts Nüchternheit war angemessen in einem Land, das sich von den Verlockungen einer mörderischen Ideologie hatte begeistern und in den Abgrund führen lassen. […]. Dabei ist er alles andere als prinzipienlos, ringt um die ethische Fundierung seiner Entscheidungen, wobei ihm gute Absichten nie genügt haben. [...] Ein verantwortungsvoller Politiker muss für ihn vor allem für die Folgen seines Handelns einstehen. Schmidt ist einer Verantwortungs-, nicht einer Gesinnungsethik verpflichtet.“

      Hochgelobt: Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt am 13. März 2013 in Berlin bei einem Empfang des Bundespräsidenten anlässlich seines 95. Geburtstages. (dpa)

      1. Schmidts Weg in die Bundespolitik – von Hamburg nach Bonn

      Noch in zweiter Reihe: Helmut Schmidt, damals Innensenator in Hamburg, im Gespräch mit SPD-Chef Willy Brandt am 25.09.1965 in Bad Godesberg. (picture alliance / dpa)

      Hamburger Sturmflut, Wirtschaftskrise und RAF-Terror – in schwierigen Zeiten verschaffte sich Helmut Schmidt im In- und Ausland als Krisenmanager hohes Ansehen. Für viele ist der Sozialdemokrat bis heute Inbegriff des Staatsmanns mit Weitblick, dessen Wort auch nach seiner Zeit als Politiker Gewicht hatte. Der gebürtige Barmbeker hatte sich in seiner Heimatstadt


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