der verstellte Ursprung. L. Theodor Donat

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der verstellte Ursprung - L. Theodor Donat


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nach dem Noviziat sagte, ich sei nun endlich ein Mann geworden. Wie die Rekrutenschule im Militär war das Noviziat eine harte Zeit. Freunde aber habe ich keine gefunden. Und Freiheit genauso wenig. Im Übrigen wurde uns immer wieder eingeimpft, wie gefährlich Freundschaften seien. Man verwendete den Ausdruck „partikuläre Freundschaften“ (amitiés particulières). Du erinnerst Dich an den gleichnamigen Film von Jean Delannoy.

      Es galt, freundschaftliche Beziehungen zu vermeiden, da diese sich doch zu homosexuellen Beziehungen entwickeln könnten. Diesen Zusammenhang verstand ich damals allerdings nicht.

      In Liebe Dein L. Theodor

      1.3. die ersten Jahre als „Bruder“

      Liebe Carole,

      Nach dem Noviziat war der Aufenthalt zu Hause immer kurz bemessen. Die Obern fürchteten wahrscheinlich, dass man „in der Welt“ dem Ordensideal abtrünnig werden könnte. Und doch können Freunde und Eltern ein wesentlicher Grund für den Eintritt in den Orden sein. Und meine Mutter schützte wahrscheinlich meinen Weg – obwohl unabhängig von ihr gewählt – wirksamer als irgendein Oberer.

      Zu Beginn meiner zweiten Studienzeit hatte ich einen Termin beim Verantwortlichen für Bildung der Generaladministration. Er teilte mir mit, dass meine Oberen sich meine Zukunft nochmals überlegt hätten. Ich sollte nun anstatt Englisch Mathematik studieren. Wegen meiner Vorbildung zog ich natürlich die Mathematik dem Englischen vor. „OK“, meinte ich und lächelte ob des guten Einfalls der Vorsehung. Manchmal erscheint uns Gott als sehr entfernt, anderseits gibt es Situationen, in denen man den Eindruck hat, dass der Herr uns millimetergenau folgt und hilft. Letzteres würde ich als Vorsehung bezeichnen. Aber das ist eine Einsicht, zu der ich viel später kam (daRev B 1.6.).

      Ich begann also das Studium der Mathematik. Gemäss Reglement der Fakultät musste ich überdies Experimentalphysik und theoretische Physik belegen. Ein Oberer meinte, Chemie würde als viertes Fach gut dazu passen. Auf meinen Einwand, dies sei eine etwas aufwändige Zusammenstellung, meinte er, meine Zweifel seien der Beweis, dass ich es schaffen könne. Die Unfähigen zweifelten nie. Das scheint wirklich so zu sein, das habe ich später selbst festgestellt. Zusätzlich zu dem schon anspruchsvollen Programm gesellten sich noch Fächer in Psychologie und Pädagogik, da ich mich zusätzlich auf das Gymnasiallehrer-Diplom vorbereiten sollte. Das erste Jahr des Studiums verbrachte ich im Scholastikat der französischen Mitbrüder.

      So kam ich zum ersten Mal mit der grossen Nation („la France, la Grande Nation“) in Berührung. Offenbar ist es Charles de Gaulle u.a. gelungen, den Franzosen ein ziemlich ausgeprägtes Selbstbewusstsein zu vermitteln! Allerdings gehörte es fast zum guten Ton, dass Franzosen ihre Regierung kritisierten. Aber für einen Ausländer ist das weniger ratsam!

      Nun konnte sich der theoretische Gebrauch des Französischen der Mittelschule zum praktischen im täglichen Leben entwickeln.

      Während dieses Jahres meldete sich meine Sexualität in der Form nächtlichen Berührens meines Gliedes. Frustrationen mögen mitgespielt haben, da ich in der Ordensgemeinschaft nur Kollegen, aber keinen Freund fand. Das Studium, das ich mit mehrwöchiger Verspätung begann, war hart. Natürlich betrachtete ich diese einfachen Berührungen als schwerste Sünde. In Wirklichkeit erlebte ich die erste Masturbation 14 Jahre später, mit 34 Jahren. Es war immer eine Qual, nach solchen Nächten, die zwar nicht gerade häufig waren, einen Beichtvater zu suchen, denn ich wollte doch wieder zur Kommunion gehen können. Einen Priester mit Verständnis, der die ganze Sache ins richtige Licht gerückt hätte, fand ich nicht. Ein junger Priester drückte sein Mitgefühl mit meinen „sexuellen Abstürzen“ durch ein freundschaftlich gemeintes, teilnehmendes Schweigen aus. Ich denke nicht, dass es die richtige Reaktion war, da es die „Schwere“ der Angelegenheit eher unterstrich.

      — der Meister

      Einmal musste ich bei unserem Scholastikermeister beichten. Davon wurde im Allgemeinen zwar abgeraten, damit Direktiven bezüglich des äusseren Verhaltens, nicht durch Gewissensgründe beeinflusst würden. Aber ich hatte damals gerade keine andere Möglichkeit. Nach meinem Geständnis sagte er mir, dass er mich nicht zur Erneuerung der Gelübde zulassen könne, wenn ich die Sache mit meiner Sexualität nicht in den Griff bekäme. Mit andern Worten, er würde mich von der Ordensgemeinschaft ausschliessen, die mich vom Ideal her sehr anzog. Ich konnte mir damals gar kein anderes Leben vorstellen. Das war eine Drohung, aber keine Hilfe.

      Du hast sicher bemerkt, dass wir immer in den Händen von Meistern waren, nach dem Novizenmeister war es der Scholastikermeister. Der Letztere schien mir keine rechte Ahnung von der Wichtigkeit der Evangelien zu haben. Er beherrschte aber den hl. Thomas und hatte Astronomie studiert, beides machte ihn sehr selbstsicher. Er brauchte eine besondere Diät und beschrieb uns seine delikaten gesundheitlichen Zustände, aber er hat ein biblisches Alter erreicht. Er schien es zu lieben, Ordensschwestern Vorträge zu halten, etwa über die „affabilité“.

      Freundlichkeit, Leutseligkeit, d.h. die zu trainierende Fähigkeit – aus hoher theologischer Motivation – den Mitschwestern immer ein lächelndes Gesicht zu präsentieren.

      Er redete gern über hochstehende Dinge und gehörte irgendwie zur Aristokratie in den Gefilden der Spiritualität.

      Im zweiten Jahr kam ich erstmals in eine Gemeinschaft der Heimat-Provinz. Dort lebte ich ein Jahr lang in einem kleinen Schlafsaal, zusammen mit dem mir weniger sympathischen Mitbruder aus dem Noviziat. Während er sich mit seiner Arbeit für die Abschlussklasse seiner Mittelschule brüstete, ignorierte er meine Rapporte über Experimente im Physik- und Chemielabor der Universität oder meine Übungen in Mathematik. Das alles bedeutete viel Stress. Dabei ist nicht zu vergessen, dass uns ein rigides Reglement den Tagesablauf diktierte. Aufgestanden wurde um 5 h 30; egal ob man bis Mitternacht hatte arbeiten müssen. Übrigens beanspruchten die sogenannten Übungen (PS 2) jeden Tag über zwei Stunden. Übungen: welcher Name für das Aufbauen und das Leben einer Beziehung zu Jesus! Aber es ging ja eigentlich nicht um Jesus, sondern um einen fordernden Gott. Diese Zeit in der Hauskapelle und die Erfordernisse eines gemeinschaftlichen Lebens waren ein reelles Handicap für einen Studenten wie mich. Da ich aus Zeitmangel nicht immer auf dem Laufenden war, frustrierten mich einige Vorlesungen.

      Die Vorlesungen in physikalischer Chemie verschlief ich fast gänzlich, da sie von 11 h 15 bis 12 h 00 stattfanden. Der Professor sprach langsam mit monotoner Stimme, der Unterricht war eher auf Nichtmathematiker zugeschnitten. Bei meinem Schlafmanko döste ich bald einmal vor mich hin, in Denkerpose, die Stirne mit der Hand gestützt. Und in den wachen Momenten hatte der Mathematiker dann den Faden verloren!

      Frustrierend war überdies die Mentalität des Direktors der Gemeinschaft. Ich glaubte, es sei meine Pflicht, ihn auf Sonntagsspaziergängen zu begleiten. Das Über-Ich, die religiöse Erziehung und die Opfermentalität lassen grüssen. Der Mann trat später aus unserem Orden aus und wurde von Mgr. Levèbre – dem Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X und Idol der Traditionalisten – im Rentenalter zum Priester geweiht. Ein Jahr nach meiner Ankunft eröffnete der besagte Direktor ein Kollegium für Problemkinder, das allerdings nur vier Jahre Bestand hatte. So hatte ich im dritten Jahr nach dem Noviziat einen Teilzeitjob als Mathematiklehrer in kleinen Klassen. Während jener Zeit gab es in der Gemeinschaft einige andere junge Mitbrüder, die an der Uni studierten. Das machte das Gemeinschaftsleben lockererer, ausser bei Tisch, wo vorerst ein gestrenger ehemaliger Vizeprovinzial für Ordnung sorgte!

      Während meines Studiums lernte ich einen Mitstudenten aus Vietnam kennen und ass ein paar Mal vietnamesisch. So begegnete ich zum ersten Mal einer andern Kultur. Mein vietnamesischer Freund ist unterdessen Bürger meiner Heimat und Professor an einer Universität.

      Mit einem der Mitbrüder machte ich die zweitschönste Klettertour meines Lebens. Nach den Jahren ohne Berge war es wunderbar, wieder Höhenluft zu atmen. Auch die Aufenthalte in unserem Ferienchalet begeisterten mich. Sie wären noch schöner gewesen ohne den sehr speziellen Verantwortlichen, der sehr früh aufstand, aber ebenso früh zu Bett ging und beim leisesten Geräusch erwachte und sein Missfallen kundtat. So war an Ausgang kaum und an lustige Ferien-Abende überhaupt nicht zu denken. Als ob es in den Ferien einen kirchlichen Obern gebraucht hätte. Damals


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