Die Sozialdemokratie. Karl Glanz

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Die Sozialdemokratie - Karl Glanz


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Eigenschaften einer neuen Staatsgewalt begann, nicht, , durch den Willen der Bewohner und durch einen bewusst und freiwilligen Akt ins Leben trat, sondern das Ergebnis des Nationalismus und der Staatsgründung vom alten Österreich wegstrebender Mächte und Völker war, sondern ein Restbestand des habsburgischen Vielvölkerstaates war. Dazu kam noch als besondere historische Merkwürdigkeit, dass dieser Staat sich im selben Akt, durch den er sich am 12. November konstituierte, auch wieder selbst auflöste und als Bestandteil der deutschen Republik erklärte. Es ist zwar damals nicht zu diesem proklamierten Anschluss an Deutschland gekommen, weil dieser am Veto der Siegermächte, die auch das alte Österreich zum Abschuss freigegeben hatten, scheiterte. Aber in dieser gleichzeitig konstituierenden und sich auflösenden Konstruktion war der Zweifel an der Lebensfähigkeit und Überlebenswürdigkeit des neuen Staates bereits festgeschrieben. Es kam zu einer Koalition zwischen der Sozialdemokratie mit der Christlich sozialen Partei als der führenden Kraft des bürgerlichen Lagers, die nicht einmal zwei Jahre dauerte und anfangs unter der Kanzlerschaft des Sozialdemokraten Karl Renner stand. In dieser Koalition wurden mit vereinten Kräften die Grundlagen des heutigen Sozial- und Wohlfahrtsstaates geschaffen: Mit der Einführung der Sozial- und Krankenversicherung für Arbeiter und Angestellte, der Errichtung von Arbeiterkammern und der Einrichtung von Betriebsräten wurde der längst fällige Nachholbedarf des Prinzips Arbeit gegenüber der Industrie und der Landwirtschaft befriedigt. Es hätte eigentlich der Auftakt für eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen den sozialen und politischen Kräften zum Wohle des Gesamtstaates sein können, aber die bürgerlicher Kräfte wollten sich vom "sozialen Schutt" befreien, die Sozialdemokraten lehnten den bürgerlichen Staate ab, auch in seiner republikanischen Form, und das stand entgegen. Die Sozialdemokratie wurde nicht aus der Nachkriegskoalition hinausgedrängt, sondern verließ sie freiwillig und erleichtert, motiviert von Otto Bauer.

      Was war vor dem 15. Juli 1927 geschehen? Am 30. Jänner 1927 veranstalteten Frontkämpfer eine Versammlung in dem kleinen burgenländischen Grenzort Schattendorf, dessen Bevölkerung zum überwiegenden Teil Sozialdemokratisch war. Als die Schutzbündler davon erfuhren, machten sie ihre Versammlung am selben Tag. Das Gasthaus Moser wurde zum Stammquartier des Schutzbundes, das 500 Meter entfernte Gasthaus Tscharmann das der Frontkämpfer. Die lokale Frontkämpfertruppe war im Verhältnis 30:70 klar in der Minderheit und holte sich deshalb Unterstützung aus den Nachbargemeinden. Am Bahnhof von Schattendorf kam es schließlich zum Zusammentreffen der beiden Organisationen. Die Schutzbündler konnten die Frontkämpfer, die zur Unterstützung kommen sollten, vertreiben und siegreich nach Schattendorf einziehen. Es kam zu Tätlichkeiten im Gasthof Tscharmann. Mit den Worten "Nieder mit den Frontkämpfern, nieder mit den christlichen Hunden, nieder mit den monarchistischen Mordbuben" drangen die Schutzbündler in das Gasthaus ein. Die Gebrüder Tscharmann und Johann Pinter, drei Frontkämpfer, schossen aus dem vergitterten Schlafzimmerfenster des Hauses auf die Straße, als die Schutzbündler allerdings schon vorbeigezogen waren. Der kroatische Kriegsinvalide Matthias Csmarits und der achtjährige Josef Grössing wurden dabei getötet und weitere fünf Menschen verletzt. Am 2. Juli 1927, dem Tag des Begräbnisses der beiden Getöteten, streikten die Arbeiter fünfzehn Minuten lang.

      Der Verlauf des Prozesses wurde in der Öffentlichkeit gespannt verfolgt, denn schon vorher waren Morde an Arbeitern als Kavaliersdelikte behandelt und die Mörder milde oder gar nicht bestraft worden. Die Geschworenen wählten zu ihrem Obmann Josef Seger. Das war jener Geschworene, der gleich am zweiten Tag durch sein Lachen eine Szene provoziert hatte und der auch während des ganzen Verlaufs des Prozesses aus seiner Parteinahe für die Angeklagten und seinem Hass gegen die Sozialdemokraten kein Hehl gemacht hatte. Der Vorsitzende verkündete den Freispruch aller Angeklagten. Sie wurden kurz darauf auf freien Fuß gesetzt. Ströme von Blut sind gestern in Wien geflossen. Niemals hatte es in Wien Ähnliches gegeben. Die Freispruch der Mörder von Schattendorf hatte furchtbarste Erregung hervorgerufen. Darauf folgte der blutige Freitag. Es folgten Demonstrationen in der Wiener Innenstadt, im Zuge derer der Justizpalast in Brand gesteckt wurde. 85 Demonstranten und vier Polizisten wurden getötet. Nach diesen auch Julirevolte genannten Ereignissen war der Glaube an eine gerechte und unparteiliche Justiz in Österreich erschüttert, zudem führten sie zu einer Erstarkung der Heimwehr-Bewegung. Insbesondere nach dem Desaster der spontanen Revolte der Wiener Arbeiterinnen und Arbeiter vom 15. Juli 1927 beschränkte sich die Sozialdemokratie auf eine Defensivpolitik und zog sich auf ihr Aufbauwerk in den großen Städten vor allem im "Roten Wien" zurück. In dem Maß, in dem sich die politischen Voraussetzungen verschlechterten, gewann die Strategie des "antizipatorischen Sozialismus" an Bedeutung. In einem dichten, in sich geschlossenen Netz von Kultur- und Bildungsorganisationen sollte innerhalb der bestehenden Verhältnisse ein "Neuer Mensch" herausgebildet werden. Die Reformpolitik des "Roten Wien" darf in vielerlei Hinsicht als die praktische Umsetzung dieses Konzepts gesehen werden. Die katastrophalen sozialen und politischen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 markierten sehr schnell die Grenzen dieser Strategie. In den Ländern, bei Christlich sozialen, Deutschnationalen und Heimwehren hatte sich unterdessen eine kompromisslose Ablehnung der linken Umverteilungspolitik etabliert - die Stimmung im Land neigte immer mehr zur Gewalt. Die gemäßigte sozialdemokratische Parteiführung geriet immer tiefer in die Klemme: Auf der einen Seite die gewaltbereiten Reaktionäre, auf der anderen Seite die unzufriedenen Massen, die - etwa nach den Morden von Schattendorf - die Zeit des Kampfes gekommen sahen. Das Scheitern des militärischen Aufstands des Republikanischen Schutzbunds am 12. Februar 1934 ist auch das Ende des Austromarxismus; er erlangte nach dem Zweiten Weltkrieg keine Bedeutung mehr.

      19

      Im März 1933 schaltete der christlich soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß das Parlament aus. Der Ministerrat hatte sich mit dieser Frage beschäftigt und auf eine kaiserliche Verordnung aus dem Jahre 1914 verwiesen, welche Strafe vorsah für Betriebsstörungen die durch Eisenbahnbedienstete vorsah. Dieser zweistündige Proteststreik der Eisenbahner von 9 bis 11 Uhr vormittags wurde im ganzen Bundesgebiet lückenlos durchgeführt. Nur in wenigen Fällen gelang es einigen wenigen Streikbrechern, unter dem Schutze von Polizei Züge kurze Strecken zu führen, wo sie dann aufgehalten wurden. Der Streik der Eisenbahner war eine machtvolle Demonstration des Kampfwillens und der Einheit im Kampfe gegen alle jene Anschläge, die die Regierung im Bunde mit dem Auslandskapital auf Grund des Lausanner Tributpaktes an den Eisenbahnern verüben will. Unter dem Druck der Entschlossenheit angesichts der großen Begeisterung der Eisenbahner für die Streikparole, wagte es die Führung keiner der drei Gewerkschaften, von der einmal ausgegebenen Streikparole abzurücken. Dem Proteststreik muss auch der Kampf folgen mit eben jenen Mitteln, die der gestrige Vormittag drohender Regierung gezeigt hat. Nicht nur gegen die dreiteilige Auszahlung der Bezüge und Pensionen, sondern gegen all das, wozu die Dreiteilung der Bezüge nur der Auftakt war, geht der Kampf. Die Genoraldirektion einen Terrorerlass ergehen lassen, der eine große Empörung auslöst hatte. Dieser Erlass sah die schärfsten Strafen für die Teilnehmer am Streik vor. Den Bediensteten der 1. bis 13. Gehaltsstufe sollten Geldbußen von fünf Prozent eines Monatsbezugs auferlegt werden. Gegen die Angestellten der Generaldirektion und die Bediensteten der 11. bis 16. Gehaltsstufe sollte ein Dienstverfahren eingeleitet, Dienstvorstände, Sachwalter usw. Bedienstete der 17. Gehaltsgruppe sollten sofort vom Dienst suspendiert und gegen sie auf Grund einer kaiserlichen Notverordnung vom 25. Juli 1911 der Entlassungsantrag gestellt werden. Bei Aufforderung zum Streik und besonders aktiver Teilnahme ist auch gegen Bedienstete der 1. bis 13. Gehaltsgruppe das Dienstverfahren einzuleiten und im Falle des Freispruches unbedingt eine Ordnungsstrafe zu verhängen. Auch die Staatsanwaltschaft wurde beauftragt, diverse Verstöße zu ahnden. Diese patt ausgehende Abstimmung über die Eisenbahnergehälter und taktisch bedingte Rücktritte der drei Parlamentspräsidenten nutzte Dollfuß, um das Parlament für handlungsunfähig zu erklären und von der Selbstausschaltung des Nationalrats zu sprechen. Versuche, die Geschäftsordnungskrise des Parlaments verfassungsmäßig zu beheben, wurden weder von Bundespräsident Wilhelm Miklas noch von der Bundesregierung unternommen. Im März 1933 streikten die österreichischen Eisenbahner, da ihre Gehälter in drei Etappen ausbezahlt werden sollten. Am 4. März sollte im Parlament über die Vorgangsweise gegen die Streikenden abgestimmt werden. Da jedoch alle drei Nationalratspräsidenten zurücktraten, um mit ihren Fraktionen zu stimmen, war das Parlament nicht mehr beschlussfähig, da die


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