Die Sozialdemokratie. Karl Glanz
Читать онлайн книгу.der sozialistischen Stadtregierung und ihres Programms.
Um die Dimensionen des Machtkampfes darzustellen, der geführt wurde um ein “Rotes Wien“ zu ermöglichen, müssen die gesetzlichen Ausgangspunkte dieses Kampfes verdeutlicht werden. Die Auswirkungen der geänderten Rechtsnormen, die unter Druck und mit sehr viel Emotionalität erkämpft wurden, beeinflussen auch heute noch das Selbstverständnis der Wiener Stadtpolitik. Die Stadt Wien ist die Besitzerin der Gemeindebauten, daher ist ihr Selbstverständnis wichtig für das Erfassen der verinnerlichten Weltanschauungen und damit einhergehender Ordnungsstruktur von GemeindebaumieterInnen der ersten und zweiten Generation.
Wien stand vor gewaltigen Problemen: Leere Kassen, ein Heer von Arbeitslosen, eine angespannte Energiesituation, Hunger, schwere Gesundheitsprobleme in der Bevölkerung und nicht zuletzt große Wohnungsnot sind zu bewältigen.
Die Arbeiter standen vor der unerbittlichen Notwendigkeit, mit jeder angebotenen Wohnung vorlieb nehmen und für die einen Preis zahlen zu müssen, der im Verhältnis zu ihrem Einkommen weitaus größer war als der Preis, den Wohlhabende für große Wohnungen entrichteten. Seit diesen ersten demokratischen Wahlen in Wien haben die SozialdemokratInnen bei jeder weiteren demokratischen Wahl in Wien ihre Mehrheit behaupten können.
Bei der Machtübernahme der Sozialisten 1919 war es notwendig, sich zuerst um die Schulden der Stadt zu kümmern, die seit der Amtszeit von Karl Lueger angehäuft worden waren. Zur Schuldentilgung führte der damalige Finanzstadtrat Hugo Breitner neue Steuerprinzipien ein. Nach wie vor kann man auf den Gemeindebauten des Roten Wien die Inschrift lesen: “Wohnhausanlage der Gemeinde Wien, errichtet aus den Mitteln der Wohnbausteuer.“ Diese Wohnbausteuer war die berühmteste aller Steuern des genialen Finanzstadtrats Hugo Breitner, und sie in ihrer sozialen Bedeutung und ökonomischen Wirkung etwas näher zu betrachten, ist für die aktuelle Diskussion darüber, wie fortschrittliche Wohnungspolitik aussehen soll, sehr lehrreich.
Die grundlegenden Änderungen bestanden in der Einführung direkter anstelle indirekter Steuern (z.B.: Wohnbausteuer, ab 1923 zweckgebunden), einer starken Progression für höhere Einkommen, dem Beschluss keine weiteren Schulden zu machen, der Einführung von Luxussteuern (Lustbarkeitsabgaben auf z.B.: Opern, Pferderennen und Ringkämpfe, Kraftwagenabgabe auf private Automobile, Hauspersonalabgabe, Pferde- und Hundeabgabe) und den Verzicht auf Reingewinne aus den städtischen Monopolbetrieben. Im Roten Wien wurden die Baukosten nicht aus Anleihen, sondern über laufende Steuereinnahmen aufgebracht, wodurch die Lösung des Problems der Wohnbaufinanzierung ohne Verschuldung der Gemeindekasse gelang. Die Steuereinnahmen der Gemeinde Wien waren zusammengesetzt aus: a) Erträgen aus eigenen Landessteuern, darunter Steuern auf Luxus und besonderen Aufwand sowie aus der Wohnbausteuer; b) Erträgen aus Zuschlägen zu staatlichen Steuern; und c) Anteilen am Ertrag der Bundessteuern.
In der ersten Republik hatte die Sozialdemokratie mit der so genannten Breitnersteuer, den sozialen Wohnungsbau eingeführt und finanziert.
So wurden in den Jahren von 1923 bis 1934 über 65.000 leistbare Wohnungen für ArbeiterInnen gebaut.
Selbst in Spanien, 1936, hatte man die Stadt Wien als ein besonders gelungenes Beispiel sozialen Wohnbaus herangezogen. Wenn wir uns mit der Geschichte und Zukunft des sozialen Wohnbaus beschäftigen, dann kommt Österreich das Verdienst zu, in seiner Vergangenheit auf ein Beispiel verweisen zu können, das weltweit einzig dasteht. Es sind das die Wiener Gemeindebauten der 1. Republik, die, auch im internationalen Maßstab, eine der größten sozialen Wohnbauleistungen des 20. Jahrhunderts darstellen. Zunächst eine Vorstellung von der zahlenmäßigen Dimension: In den Jahren 1919 bis 1934 wurden 377 Wohnhausanlagen mit 61.175 Wohnungen errichtet, das waren im jährlichen Durchschnitt 25 Anlagen mit 4.078 Wohnungen. 90 Prozent der Objekte und Wohnungen baute man in Form großer, mehrstöckiger Blocks, 10 Prozent in Form von Siedlungshäusern mit Kleingärten. 1919 befanden sich im Besitz der Gemeinde Wien 5.487 Hektar (noch aus der Zeit der christlich sozialen Stadtverwaltung). Bis 1931 erfolgte der Ankauf der Drasche-, Frankl- und Bodencredit-Gründe, sodass sich der Besitz der Gemeinde Wien auf 8.150 Hektar erhöhte (das waren 38,9 Prozent der gesamten Gemeindefläche). Sie spielte damit die dominierende Rollte und konnte daher die städtische Bodenpolitik praktisch ungehindert regulieren. Aber um bauen zu können, braucht es Bauland und das musste erst einmal gekauft werden. Das “Rote Wien“ war aus ganz bestimmten historischen Ursachen in der Lage, die Macht der privat kapitalistischen Bodenspekulation in der österreichischen Hauptstadt zwar nicht völlig zu brechen, aber weitgehend einzudämmen. Nicht nur die Mieterschutzgesetzgebung, die einer privaten Bautätigkeit hemmend im Weg stand, machte für jene, die aus der Zeit vor 1914 Baugrund besaßen, den Besitz unrentabel, sondern auch die städtische Wertzuwachssteuer bewirkte eine Erschwerung gewinnbringenden privaten Weiterverkaufs. Die Hoffnungen mancher Bodenspekulanten auf baldige Beseitigung des Mieterschutzes wurden 1922 endgültig zunichte gemacht; viele Besitzer waren daher froh, ihr angelegtes Kapital frei zu bekommen. Ihr Prinzip lautete: Schonung der Mieter von Kleinwohnungen bei gleichzeitig stärkerer Belastung der Bewohner von teureren Objekten. Das Ergebnis sah so aus: Die 527.731 billigen Wiener Wohnungen und Geschäftslokale (82 Prozent aller Mietobjekte) trugen nur 22,6 Prozent zum Gesamtaufkommen der Wohnbausteuer bei, dagegen die 3.470 teuren Mietobjekte (0,5 Prozent der Gesamtzahl) 44,6 Prozent, also doppelt so viel.
Ein wichtiges Merkmal des “Roten Wien“ war der MieterInnenschutz. Im Jänner 1917 wurde die “kaiserliche Verordnung über den Schutz der Mieter“ erlassen. Diese Verordnung brachte eine Einschränkung des Kündigungsrechtes, bei dem zuvor völlige Willkür herrschte, und schloss willkürliche Mietzinserhöhungen aus. Im Jänner 1918 wurde der MieterInnenschutz mit einer zweiten Verordnung erweitert und dehnte den Schutz gegen Delogierungen aus.
Das Verbot der Mieterhöhung hatte vor allem während der Hyperinflation der Nachkriegsjahre weit reichende Auswirkungen. Der Mietzinsstopp schrumpfte den Zins auf eine verschwindend kleine Summe und brachte damit das Nettoeinkommen von Hausherren quasi zum Verschwinden. Dieser MieterInnenschutz führte in weiterer Folge dazu, dass viele Familien über Jahrzehnte und Generationen hinweg in ein und derselben Gemeindebauanlage wohnen blieben, was sicherlich das Gefühl des Eigentums verstärkte.
Dass zu der Grundversorgung eine leistbare Wohnung zählt, hat seit langem keine Bedeutung mehr. Schon ab den 80er Jahren hat die Wiener Rathaus-SP begonnen, den sozialen Wohnungsbau ein Ende zu setzen. Von der sozialen Idee, aus denen die Gemeindebauten hervorgegangen sind, z.B. dass die Miete für das Wohnen nicht mehr als 20 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens der ArbeiterInnenklasse übersteigen darf, von dieser Gesinnung hat sich die SP Wien abgewandt.
“Die Gemeindebauanlage wurde zu einer geschlossenen Einheit inmitten einer kapitalistischen Stadt, welche die sozialistische Gemeinschaft symbolisierte. Mit der Abgrenzung ‚nach außen’, verbesserte sich die infrastrukturelle Ausstattung der einzelnen Anlagen mit der Ambition ‚autarke Einheiten’ zu schaffen“.
Gemeindebauten waren und sind nicht nur pragmatische oder real-politische Immobilien, sie sind vielmehr Ausdruck einer Ideologie und Symbol einer Ära, der des “Roten Wiens“.
Die SP Wien hat die soziale Wohnungspolitik auf ein einträgliches Profitgeschäft umgestellt. Und zu diesem Zweck hat sie die Kapital-Gesellschaft “Wiener Wohnen“ gegründet. Dass dies ohne einen Kommentar, innerhalb der Sozialdemokratie, über die Bühne ging, zeigt, wie wenig den heutigen Sozialdemokraten an ihrer Vergangenheit liegt.
“Wohnend richtet der Mensch sich in seiner Umwelt ein, gestaltet jenes Miteinander, das wir Heimat oder Lebenswelt nennen, lebt in einer kulturell und sozial vertrauten Umwelt. Dieser Ort des ‘Gehaltenseins‘ kann Identitätsgewissheit, Selbstsein über Begegnen ermöglichen, aber er kann natürlich auch zum ‘Kultur-Kerker’ oder zur ‘Sozial-Zelle’ werden” (Greverus 1995: 9).
“Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen“. Nichts versinnbildlicht mehr als dieses Zitat des ehemaligen Wiener Bürgermeister Karl Seitz, wie der Gemeindebau untrennbarer Bestandteil des Mythos um das “Rote Wien“ ist. Dabei war der kommunale Wohnbau in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ursprünglich die erzwungene Antwort auf die Tatsache, dass das Kapital infolge des von den ArbeiterInnen erzwungenen Mieterschutzes