Die Sozialdemokratie. Karl Glanz

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Die Sozialdemokratie - Karl Glanz


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etwa bei den Wiener Gemeinderatswahlen 1900 erstmals Sozialdemokraten antreten; sie erhielten über 56.000 Stimmen, aber nur zwei Mandate (Christlich-Soziale: 77.000 Stimmen/18 Mandate). 1905 kommt es zu einem 24-stündigen Generalstreik; 250.000 Arbeiter demonstrieren vor dem Parlament fünf Stunden für das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht. 1907 gibt es dann die ersten allgemeinen Wahlen – allerdings nur für Männer. Von 516 Sitzen erhalten die Sozialdemokraten als zweitstärkste Fraktion 87. Beim ersten "Frauentag" in Wien am 19. März 1911 fordern die Frauen mit Nachdruck die politische Gleichberechtigung. 1907 wurde nach einem Generalstreik das allgemeine Wahlrecht gewährt. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Reichsrat konnten die Sozialdemokraten viele Stimmen gewinnen. Von insgesamt 516 Sitzen gewann die Partei 87 Sitze und wurde nach der Christlich sozialen Partei die zweitgrößte Fraktion im Parlament. 1911 wurden die Sozialdemokraten die größte Partei im österreichischen Parlament.

      Bei einer Versammlung standen sie dicht gedrängt, fünftausend Mann. Das war keine Versammlung von Landstreichern und Arbeitsscheuen. Ernste Männer, die ein Leben voll ernster Arbeit verbrachten; zumeist gelernte Arbeiter, Familienväter, Organisierte, die Selbstzucht gelernt hatten und auch die stärkste Erregung zu meistern verstanden. Und doch ging es durch die versammelte Masse wie ein wilder Schrei — ein Schrei der Wut, der sich angehäuft hatte in monatelanger erfolgloser Arbeitsuche: ein Schrei des ohnmächtigen Zornes über das Schicksal, das sie, wahllos über schuldlose Menschen hereingebrochen, so furchtbar befallen hatte; ein Schrei nach Hilfe für sie, für die Frauen, die Kinder, die Säuglinge, die daheim zugrunde gingen, während die Väter in dumpfer Verzweiflung warteten, ob denn Nicht endlich bessere Zeiten kommen! Das war die Situation der Arbeiter im Februar 1914.

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      In Ungarn stand seit der Nationalitätendebatte im Abgeordnetenhaus im Frühjahre 1914 die Deutschenfrage wieder im Vordergrunde der Erörterung. Nach der amtlichen Volkszählung 1910 gab es in Ungarn 1.903.357 Deutsche gegen 9,944.627 Magyaren, 2,948.186 Rumänen, 1.946.357 Slowaken. 464.270 Ruthenen, 461.515 Serben. 194.808 Kroaten und 401.412 Sonstige (Bulgaren, Italiener, Türken, Zigeuner u. a.). Die Deutschen bildeten fast 10.5 vom Hundert der Bevölkerung, die herrschende Nation, die Magyaren, 54.5 vom Hundert.[] Leider taten die herrschenden Magyaren nichts, um die kulturelle Lage der Deutschen zu heben und die nationalen Quälereien, denen die ungarischen Deutschen ausgesetzt waren, vergifteten alle Bemühungen der Herbeiführung eines besseren Verhältnisses zwischen Magyaren und Deutschen in Ungarn. Die Schonung, der sich die Siebenbürger Sachsen erfreuten, beweist gar nichts gegen diese Tatsache, zumal die Sachsen nur 234.000 Seelen betrugen und die Magyaren gezwungen waren.mit ihnen wegen der Rumänen halbwegs Freundschaft zu halten. So war die Stimmung in Ungarn im Frühjahr 1914.

      Die Schüsse von Sarajewo am 28. Juni 1914 dämpfen die sozialistische Vision vom friedlichen Zusammenleben der Völker vorläufig.

      Im Falle eines Krieges der Monarchie in den südslawischen Ländern ein Aufruhrheer entstehe. Die "Narodna Obrana" war derart organisiert, das sie in allen größeren südslawischen Orten Südungarns, Bosniens und der Herzegowina, in Kroatien, Dalmatien, Krain, Montenegro und Nordalbanien Vertrauensmänner hatte. Die Verbindung der "Narodna Obrana" mit serbischen Militärkreisen ist notorisch, mit serbischen Regierungskreisen stand ihre Leitung nur durch Mittelspersonen in Verbindung. Die antiserbischen Demonstrationen hatten sich mit elementarer Kraft wiederholt. Eine große Menge von Kroaten und Moslems wendeten sich gegen die Serben und insbesondere gegen die serbischen Geschäftsläden. Die serbischen Studenten und die Führer der Serben, insbesondere die leitenden Redakteure der serbischen Blätter, so des "Narod" und der "Skrpska Rjetsch", getrauen sich nicht auf die Straße. Es wurde verlautbart, dass zahlreiche Serben aus Angst vor Misshandlungen aus der Stadt geflüchtet waren. Der Demonstrationszug bewegte sich durch die Straßen der Stadt und richtete an einer Reihe von serbischen Lokalen arge Verwüstungen an, ohne dass die Polizei zunächst in der Lage gewesen wäre, den Demonstrationen Einhalt zu gebieten. Der serbische Minister des Äußern Milovanovic sagte damals in der Kammer, der erste Schritt der österreichisch-ungarischen Monarchie aus dem Balkan bestand darin, das Volk zweier serbischer Länder zu Sklaven zu machen. Diese Worte wurden später verwischt oder ganz abgeleugnet. Wer sie zeigten, dass selbst Männer, die eine amtliche Verantwortung hatten und als besonders gemäßigt galten, jeder Rücksicht auf die Monarchie enthoben zu sein glaubten. Die Türkei hatte sich bereits gegen eine Geldentschädigung mit der Annexion einverstanden erklärt. Die Verhandlungen mit den Mächten und besonders mit der Gruppe des Dreierverbandes ließen hoffen, dass die Krise ohne die äußersten Folgen zum Abschlüsse kommen werde. Aber in Serbien wurden die Drohungen immer schlimmer, und die Sprache war dort so heftig, dass die militärischen Vorkehrungen der Monarchie in großem Umfange fortgesetzt werden mussten. Damals ist es geschehen, dass der serbische Ministerpräsident in einem Gespräche sich in der schroffsten Weise zum Großserbentum bekannte., Er sagte: "Es sind nicht die drei Millionen Serben in Serbien und Montenegro, welche die serbische Nation bilden; nein, sie bilden nur den dritten Teil der Nation. Die anderen zwei Drittel, sieben Millionen, sind in Dalmatien, Kroatien, Slawonien., Bosnien und der Herzegowina, die man annektieren will. Diese zwei Drittel wurden gegen ihren Willen vollständig dem habsburgischen Reiche unterworfen. Sie sind österreichische Untertanen. . . Wir zehn Millionen Serben wollen unseren nationalen Charakter bewahren. Wir wollen nicht von Österreich ausgesogen werden Wir wollen frei sein. Wir wollen dieses Ziel aber durch friedliche, gesetzmäßige Mittel erreichen. Deshalb wünschen wir einen Weg, der uns zu unseren montenegrinischen Brüdern führt, von denen wir durch Bosnien getrennt sind, das Österreich heute endgültig zu seinem Gebiete machen will." Da klingt schon der Beginn des I. Weltkrieges durch. Nur einen Tag später, am 13. Juli wurde berichtet, dass die Spannungen zwischen der österreichisch-ungarischen Monarchie und Serbien sich immer fühlbarer geltend machen. Eine Frage schwebte seit der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand im Raum. Warum hatte Serbien bisher amtlich kein Wort gesprochen, um den gegen eine Gruppe von Staatsangehörigen aufkeimenden Verdacht der Mitschuld vor der gesamten Kulturmenschheit durch Anführung von Beweisen zu widerlegen? Wenn die österreichisch-ungarische Monarchie von dem großen Unglück getroffen worden wäre, das; die Vorbereitungen zum Angriffe. auf das Leben eines ausländischen Fürsten hier stattgefunden hätten; wenn böse Zufälligkeiten es gefügt hätten, dass von unserem Lande sechs Mörder mit sechs Bomben ausgezogen wären, um ein blutiges Verbrechen zu begehen, würde die Regierung schon diesen äußeren Zusammenhang wie eine Bloßstellung empfinden. Sie hätte gewiss nicht gewartet, bis die Ergebnisse einer weit aus gesponnenen Untersuchung vorliegen und bis ihr in den kleinsten Einzelheiten mitgeteilt werden kann, wer das Attentat bezahlt hat, aus welchem Gedankenkreise und aus welchen Verbindungen es hervorgegangen ist und welche Persönlichkeiten strafrechtlich oder sittlich verantwortlich sind. Es trat nun das ein, was sich keiner so recht hatte vorstellen wollen: Österreich-Ungarn erklärte Serbien den Krieg, und Kaiser Franz Joseph vertraute in seinem Manifest darauf, dass seine Völker für die Ehre, die Größe und die Macht des Vaterlandes zu schwersten Opfern bereit sein würden. Der Weltkrieg könnte nur durch eine frevelhafte Sünde an der Menschheit entstehen. Der Krieg mit Serbien, dieses Strafurteil, das in einem fernen Winkel von Europa für beispiellose Herausforderung, für amtlich zugelassenen und von Offizieren und Personen im Staatsdienste veranstalteten Mord und für Alle seit Jahren begangene Niedertracht vollzogen werden soll, ist nichts was die anderen Großmächte näher berühren, den Wohlstand der Völker zerstören und Jammer über die Erde verbreiten müsste.

      "Die Feinde jubeln. Wir aber sind gebrochen, ratlos, irre, führerlos, ohnmächtig. Die Quelle aller zukunftsfrohen Energien ist versiegt. Er war der Brennpunkt, in dem sich alle Hoffnungen auf ein großes Österreich vereinigten... Das Vaterland ist in Gefahr. Rings rüsten die Feinde. Wir stehen in naher Zeit vor einem Kampfe um Sein oder Nichtsein." So schrieb ein Blatt der österreichischen Offiziere. Und so raunten es die Patrioten überall. "Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Uns drohen die Schrecken feindlicher Invasionen. Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel... Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der Besten des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht


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