Die Sozialdemokratie. Karl Glanz

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Die Sozialdemokratie - Karl Glanz


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wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen... Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die geforderten Kriegskredite." Mit dieser Erklärung gab die Reichstagsfraktion am 4. August die Parole, welche die Haltung der deutschen Arbeiterschaft im Kriege bestimmen und beherrschen sollte. Vaterland in Gefahr, nationale Verteidigung, Volkskrieg um Existenz, Kultur und Freiheit - das war das Stichwort, das von der parlamentarischen Vertretung der Sozialdemokratie gegeben wurde. Alles andere ergab sich daraus als einfache Folge: die Haltung der Parteipresse und der Gewerkschaftspresse, der patriotische Taumel der Massen, der Burgfrieden, die plötzliche Auflösung der Internationale - alles war nur unvermeidliche Konsequenz der ersten Orientierung, die im Reichstag getroffen wurde. Österreich stand vor dem Kampf um Sein oder Nichtsein, vor der Schicksalsstunde, in der es sich weisen musste, ob es überhaupt noch sein kann oder ob es zerfallen muss. Es muss Rechenschaft von Serbien gefordert werden; da ein friedliches Nebeneinander leben, das die Monarchie mit so viel Zähigkeit und Selbstverleugnung gewollt hat, unmöglich geworden war und weitere Duldung eine Gefahr für unsere Besitzstände werden könnte. Franz Ferdinand ist gefallen und die Patrioten, die Gläubigen dieses alten, großen Reiches, rasten vor Wut und glaubten alles, alles verloren. Es war wahr: Österreich ging es schlecht. Serbien war ihnen feind. Das albanische Experiment war missglückt. Rumänien hatte sich abgewendet. Russland erstarkte. Italiens war nie sicher. Ein jeder konnte sich ausmalen, wie die Feinde über Österreich herfallen. Die Grenzen überschreiten und die alte Monarchie in furchtbarem Brande zusammenbricht.. Kein Zweifel, es ging Österreich schlechter, als es ihm je seit Jahrzehnten gegangen war. Das war am 27. Juli 1914, einen Tag später wurde der Krieg erklärt. Am 28. Juli schrieb die Arbeiter-Zeitung: "Die Völker Österreichs stehen an der Schwelle gewaltiger Ereignisse. Österreich steht vor dem Beginn eines Krieges mit aller seiner Gewalt. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich hat seit sechs Jahren vor dieser furchtbaren Gefahr gewarnt. Sie hat seit sechs Jahren alles, was in ihren Kräften stand, getan, um den Völkern das große Gut des Friedens zu erhalten. Heute sehen wir, dass die Kräfte, die zum Kriege drängten, stärker waren als wir. In diesem Augenblick gilt unser erster Gruß unseren Soldaten, unser heißester Wunsch den Arbeitern, die zur Fahne berufen sind. Noch hoffen wir, dass das Schlimmste ihnen erspart bleiben wird. Mit der ganzen Leidenschaft unserer Herzen wünschen wir ihnen, dass es ihnen beschieden sein möge, bald und unversehrt in unsere Mitte zurückzukehren, zurückzukehren in unsere Reihen: zu dem Kampfe der Arbeiterklasse um ihre Befreiung." Kein Wort gegen diesen unnötigen Krieg. "Der Kampf der Arbeiterklasse um ihre Befreiung" kann nicht auf dem Schlachtfeld geschehen, dieser Kampf muss im eigenen Land durchgeführt werden!“ Die Parteivertretung der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei appellierte: "Arbeiter und Arbeiterinnen! Bleibt treu eurer Sache, treu der Sache des arbeitenden Volkes! Dann werden wir nach dem Krieg stark genug sein, dafür zu sorgen, dass das neue Österreich werde, was es sein soll: Heimstätte freier Völker, ein fruchtbarer Boden für die befreiende Arbeit des Proletariats." Die Partei unterstützte zunächst die Kriegserklärung gegen Serbien nach der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie, Herzogin von Hohenberg, in Sarajevo im Jahr 1914. Die Kanzlerrede am 4. August "Uns treibt nicht Eroberungslust" - hieß es in der Thronrede - "uns beseelt der unbeugsame Wille, den Platz zu bewahren, auf den Gott uns gestellt hat, für uns und alle kommenden Geschlechter. Aus den Schriftstücken, die Ihnen zugegangen sind, werden Sie ersehen, wie Meine Regierung und vor allem Mein Kanzler bis zum letzten Augenblick bemüht waren, das Äußerste abzuwenden. In aufgezwungener Notwehr, mit reinem Gewissen und reiner Hand ergreifen wir das Schwert." Bethmann Hollweg erklärte: " Meine Herren, wir sind jetzt in der Notwehr, und Not kennt kein Gebot... Wer so bedroht ist wie wir und um sein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durch haut... Wir kämpfen um die Früchte unserer friedlichen Arbeit, um das Erbe einer großen Vergangenheit und um unsere Zukunft." Das ist genau der Inhalt der sozialdemokratischen Erklärung: 1. wir haben alles getan, um den Frieden zu erhalten, der Krieg ist uns aufgezwungen worden von anderen, 2. nun der Krieg da ist, müssen wir uns verteidigen, 3. in diesem Kriege steht für das deutsche Volk alles auf dem Spiele. In der Thronrede hieß es in bezug auf Russland bedauernd: "Mit schwerem Herzen habe ich meine Armee gegen einen Nachbar mobilisieren müssen, mit dem sie auf so vielen Schlachtfeldern gemeinsam gefochten hat. Mit aufrichtigem Leid sah ich eine von Deutschland treu bewahrte Freundschaft zerbrechen." Die sozialdemokratische Fraktion hat den schmerzlichen Bruch einer treu bewahrten Freundschaft mit dem russischen Zarismus in eine Fanfare der Freiheit gegen die Despotie umstilisiert, und so in dem einzigen Punkt, wo sie Selbständigkeit gegenüber der Regierungserklärung zeigt, revolutionäre Überlieferungen des Sozialismus gebraucht, um den Krieg demokratisch zu adeln, ihm eine volkstümliche Glorie zu schaffen. Dies alles leuchtete der Sozialdemokratie, wie gesagt, ganz plötzlich am 4. August ein. Alles, was sie bis zu jenem Tage, was sie am Vorabend des Ausbruchs des Krieges sagte, war das gerade Gegenteil der Fraktionserklärung. So schrieb der "Vorwärts" am 25. Juli, als das österreichische Ultimatum an Serbien, an dem sich der Krieg entzündete, veröffentlicht wurde: "Sie wollen den Krieg, die gewissenlosen Elemente, die in der Wiener Hofburg Einfluss haben und Ausschlag geben. Sie wollen den Krieg … Sie wollen den Krieg- das österreichische Ultimatum an Serbien macht es deutlich und aller Welt offenbar… Weil das Blut Franz Ferdinands und seiner Gattin unter den Schüssen eines irren Fanatikers geflossen ist, soll das Blut Tausender von Arbeitern und Bauern fließen, ein wahnwitziges Verbrechen soll von einem weit wahnwitzigeren Verbrechen übertroffen werden!... Das österreichische Ultimatum Serbien kann der Fidibus sein, mit dem Europa an allen vier Ecken in Brand gesteckt wird! Denn dieses Ultimatum ist in seiner Fassung wie in seinen Forderungen derart unverschämt, dass eine serbische Regierung, die demütig vor dieser Note zurückwich, mit der Möglichkeit rechnen muss, von den Volksmassen zwischen Diner und Dessert davongejagt zu werden… Am 29. Juli 1914 versammelten sich führende Sozialdemokraten Europas zur vom Internationalen Sozialistischen Bureau (ISB) nach Brüssel einberufenen Sitzung. Dort stießen die Aussagen Viktor Adlers die Teilnehmer vor den Kopf. Denn er hatte erklärt, dass seine Partei dem Krieg Österreichs gegen Serbien aufgrund des Ausnahmegesetzes vom 25. Juli 1914 nichts entgegensetzen und nur darauf bedacht seien könne, die bestehenden Arbeiterorganisationen zu retten. Wenige Tage später erinnerte Adler an den Verlauf der Sitzung des ISB in Wien, dort hatte man noch gehofft, den Krieg hintanzuhalten. Er sprach über den furchtbaren Konflikt, der den deutschen und österreichischen Proletariern auferlegt sei, denn man könne den Millionen von Proletariern im Feld jene Mittel nicht verweigern, um sich selbst zu wehren und zu verhindern, dass der Krieg auf eigenem Boden geführt werde. Im Rückblick, kann gesagt werden, dass das Unvermögen der europäischen Sozialisten, vor allem der österreichischen, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten, ein wahres Verhängnis gewesen ist. Hätten die Österreicher die Zweite Sozialistische Internationale rechtzeitig gewarnt, dann wäre es vielleicht möglich gewesen, eine gemeinsame mächtige Widerstandsbewegung gegen die Kriegsgefahr zu entfesseln. Bald darauf wurde klar, dass der Krieg katastrophal und unhaltbar wurde.

      Die andere Seite in der Haltung der Sozialdemokratie war die offizielle Annahme des Burgfriedens, das heißt die Einstellung des Klassenkampfes für die Dauer des Krieges. Die Gewerkschaftsführer veranlassten sofort die Einstellung aller Lohnkämpfe und teilten dies ausdrücklich unter Berufung auf die patriotischen Pflichten des Burgfriedens den Unternehmern offiziell mit. Der Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung wurde für die Dauer des Krieges freiwillig aufgegeben. Der Klassenkampf war also von der Sozialdemokratie mit dem 4. August 1914 und bis zum künftigen Friedensschluss für nicht existierend erklärt.

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      Es werde Sache der Behörde sein, das Publikum gegen jede ungerechtfertigte Preissteigerung zu schützen. Man möchte meinen, dass dies auf die verschiedenen Händler und Verkäufer in günstigem Sinne eingewirkt hätte, aber die Tatsachen lehrten ihnen das Gegenteil. Man bedenke nur, dass es Geschäftsinhaber gab, welche sich nicht scheuten, den Preis für ein Kilogramm Mehl auf 59 Heller hinaufzutreiben. Das Schönste aber ist, dass im betreffenden


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