Die Ketzer von Antiochia. Alexander L. Cues
Читать онлайн книгу.er wohl oder über den Demonstrierenden erlauben, ihr Anliegen vor die Leitung der Spiele zu bringen. Mit ihrem Protest hatten diese allerdings keinen Erfolg. Der Kommandant der Palastwache verkündete den Beschluss des Legaten: „Bei den Wettbewerben des folgenden Tages werden Milon und seine Brüder nicht mehr starten. Die Beleidigung der Götter ist eine schwere Verletzung des olympischen Eides. Das muss bestraft werden. Die Frevler aus Sidon werden auch nicht an der Abschlussprozession zum Apollo-Tempel teilnehmen.“ Als sie erkannten, dass sie nichts erreichen würden, räumten die bitter enttäuschten Demonstranten in dieser Nacht friedlich das Feld. Viele hörten an diesem Abend zum ersten Mal von der Sekte der Christianer, die den Göttern den ihnen zukommenden Respekt verweigerten. Mit gemischten Gefühlen sahen viele dem nächsten Tag entgegen, an dem der olympische Fünfkampf mit Diskus- und Speerwurf, Weitsprung, Kurzstreckenlauf und Ringkampf stattfand. Dies galt eigentlich als Höhepunkt der Spiele, doch ihr Held würde nun nicht daran teilnehmen. Der Sieger dieses Wettbewerbs galt als Sieger der gesamten Spiele. Favorit war Leonidas von Rhodos, der als ausgezeichneter Werfer galt, was sich auch bewahrheitete. Nach den Wurfdisziplinen lag er weit vor seinen Konkurrenten. In den Disziplinen Weitsprung und Kurzstreckenlauf wurde er allerdings nur Zweiter, so dass er erst nach seinem Sieg im Ringen als Gesamtsieger feststand und gefeiert wurde. Bald war bereits der letzte Wettkampftag angebrochen, dem Menachem und Alexander gemeinsam beiwohnten. Auf dem Programm dieses Tages stand zuerst die Pankration, eine Kombination aus Ringen und Boxen. Sieger wurde ein gewisser Theagenes, der den Zuschauern und seinen Gegnern durch seine Statur einen gehörigen Respekt einflößte. Besonders große Begeisterung rief als letzter Wettkampf noch einmal der beim Publikum populäre Langstreckenlauf hervor, der über vierundzwanzig Stadien ging. Hier wurden noch einmal Wetten mit besonders hohen Einsätzen abgeschlossen. Es starteten dreißig Wettkämpfer, von denen aufgrund der extremen Hitze an diesem Tag nur die Hälfte den Zieleinlauf schaffte. Oft kam es auch zu Überrundungen, was die Zuschauer zu lautstarken Anfeuerungsrufen anregte. Es kam sogar zu kleineren Tumulten auf den Rängen, als einer der Läufer einen Konkurrenten durch einen plötzlichen Positionswechsel behinderte, so dass dieser stolperte und zu Fall kam, wodurch sich viele um ihren Wetteinsatz gebracht sahen. Sieger wurde schließlich ein unbekannter junger Läufer Aurelios aus Nikopolis, was einigen wenigen, die auf den Außenseiter gewettet hatten, einen unerwarteten Geldsegen bescherte. Die Spiele fanden ihren Abschluss mit der festlichen Prozession zum Apollo-Tempel in Daphne. Prunkvoll geschmückte Opfertiere – vor allem Böcke und Stiere – wurden zum Opferplatz getrieben. Ihnen folgten die Priester und Kampfrichter. In Sänften wurden Magistratsmitglieder und Angehörige des Adels zum Tempel getragen. Auch Menachem war unter ihnen. Erst dann folgten die Wettkämpfer, angeführt von den Siegern der einzelnen Disziplinen. Von seiner Palastwache eskortiert, folgten die Sänfte des Legaten und seiner Gattin. Danach kamen die Bevölkerung der Stadt und die fremden Besucher der Spiele. Ein unendlich langer Zug von Antiochia nach Daphne und seinem Heiligtum hatte sich auf den Weg gemacht, um dem Gott der schönen Künste die Ehre zu erweisen und wohlgefällige Opfer zu bringen. In Daphne angekommen, lagerte man sich am grünen Hang vor dem Tempel, um der Zeremonie beizuwohnen. Hier hatte man bereits die Altäre vorbereitet, auf denen das Fleisch der Opfertiere verbrannt wurde. Die zahlreichen Besucher machten sich Hoffnungen, vom Opferfleisch etwas abzubekommen, und wurden auch nicht enttäuscht, denn es wurde großzügig bei der Verteilung verfahren. Die besten Stücke waren für die Gottheit, die Priester, die Vornehmen und die Sieger der Wettkämpfe reserviert, die ihre Mahlzeit an vorbereiteten Tischen einnahmen. Das Volk musste sich mit den Resten begnügen, gab sich aber zufrieden, zumal auch Brot, Früchte, Wasser und Wein verteilt wurden. So endeten die olympischen Spiele von Antiochia in jenem Jahr, als Tiberius Claudius Nero im vierten Jahr Kaiser in Rom und Ummidius Quadratus Legat der Provinz Syria war. Die Christusgläubigen schafften Milon und seine Brüder heimlich aus der Stadt, weil sie zuvor erfahren hatten, dass der Magistrat und die Archonten planten, sie festzunehmen. Simon und Silvia wurden nach dem Ereignis des Aufruhrs bezichtigt und mussten dem Stadtrichter erklären, was sich bei der Versammlung zugetragen hatte, in der Milon seinen Glauben bekannte. Trotzdem waren die Ereignisse während der Spiele für die Christusgläubigen ein unerwartetes Geschenk, denn viele Besucher der Spiele trugen die Botschaft des Jesus von Nazareth, den sie in Antiochia den Kyrios nannten, in ihre Heimat.
XVI Menachem hatte der Bitte Alexanders entsprochen und den Zustand des neuen Hauses gründlich geprüft. Jetzt wollten sie alle zusammen den Umzug bewältigen. Berenike hatte mit ihren Geschwistern und den beiden Sklaven Menachems den Hausrat aus ihrer Kellerwohnung auf einen Wagen aus der Werkstatt Alexanders gepackt. Die neue Umgebung und das neue Haus mit einem Garten beflügelten die Gefühle der Geschwister. „Ein richtiger Palast ist das! Wir werden uns hier schnell wohlfühlen,“ meinte Hygieia mit Blick auf die geräumigen Zimmer. „Und die Kolonnaden sind auch ganz nahe,“ pflichtete ihr die Ältere bei. An ihrer Stelle würde nun die Jüngere den Haushalt des Bruders führen. Berenike war in Gedanken jedoch schon bei der Gründung ihres eigenen Hausstandes. Rahel hatte es vorgezogen, mit den jüngeren Geschwistern Menachems eine Wohnung an der Kolonnadenstraße zu beziehen. Das gab ihm die Freiheit, zusammen mit seiner künftigen Frau ein Haus zu suchen, in dem sie sich beide gleichermaßen wohlfühlen würden. Sie mussten allerdings darauf achten, dass es der gesellschaftlichen Stellung Menachems entsprach, denn von nun an kam eine Aufgabe auf sie zu, die für sie noch unbekannt war, nämlich zu repräsentieren. Das hieß, Gäste, Bittsteller und Abhängige zu empfangen. Das würde es auch notwendig machen, weitere Sklaven zu kaufen, die für Haus und Garten zuständig waren. Am Hang des Silpios im Norden der Stadt fanden sie schließlich, wonach sie suchten. Erbauer und Besitzer des Hauses war Minucius gewesen, reicher Großgrundbesitzer und ehemals Sprecher des Magistrats. Als er gestorben war, zog seine Witwe sich nach Daphne zurück, wo sie ein Sommerhaus besaß. Jetzt war ihr ältester Sohn Marcellus mit dem Verkauf des Wohnsitzes in Antiochia befasst. Berenike zeigte sich begeistert von der wunderschönen Lage des Anwesens. Es bot einen Blick nach Westen bis zum Strand von Seleukia, nach Osten auf die Berge, auf die Orontes-Insel und den Palast. Zwei Stufen an der Straße wiesen den Besucher zum Vestibulum mit einem überdachten Eingang. Der schmale Gang dahinter, der an einer Portiersloge vorbeiführte, war durch ein rechteckiges und besonders langes Mosaik geschmückt. Er führte direkt zum Atrium des Hauses, in dessen Mitte sich ein mehrstufiger Springbrunnen mit einem kreisrunden Wasserbecken befand. Im Halbdunkel lagen um das Atrium herum mehrere Räume, die verschiedenen Zwecken dienten, darunter mehrere Speiseräume und kleinere Zimmer für die Hauswirtschaft. Auf seiner Rückseite befand sich das Tablinum mit dem Ehebett des Hausherrn, das durch einen Vorhang abgetrennt war. Vom Atrium aus erblickte man den dahinter liegenden Garten, der Spazierwege zwischen Pflanzen und Blumen aller Art ermöglichte. Das Hochzeitspaar war glücklich, in solch einem schönen Haus wohnen zu können. „Wir brauchen hier nur wenig verändern und keine größeren Umbauten vornehmen,“ meinte Berenike. Menachem war der gleichen Meinung, fügte aber entschieden hinzu: „Den Hausaltar im Atrium und den Schrein neben dem Küchenherd werden wir entfernen.“ Hier hatten die Sklaven dem Genius des Hausherrrn geopfert. Auch einige Wandmalereien mit Darstellungen der Göttin Aphrodite mit ihren Gespielinnen an der Rückseite des Atriums mussten weichen. Endlich konnten sie ihre Hochzeit vorbereiten. Unter normalen Umständen waren die Familien daran mitbeteiligt, aber Berenikes Eltern lebten nicht mehr, und auch Menachems Vater war gestorben. So war denn der Ehevertrag fast ausschließlich eine Angelegenheit der beiden Brautleute. Menachem hatte seinen Onkel, Jakob ben Zakkai, der dem jüdischen Gemeinderat angehörte, um Rat fragen wollen. Der nahm aber zu Menachems Enttäuschung eine ablehnende Haltung ein und machte seinem Neffen klar, dass für ihn die Heirat mit einer Griechin ein Affront war: „Du heiratest eine Fremde, eine Götzenanbeterin. Dein Vater hätte niemals seine Zustimmung dazu gegeben. Wie kann deine Mutter das dulden?“ Menachem wehrte sich: „Die Mutter liebt Berenike wie ihre eigene Tochter. Wir alle sind Christusgläubige und beten zum Ewigen wie unsere Väter.“ „Wer ist denn schon dieser Gesalbte, den ihr verehrt? Ein Aufrührer, den sie hingerichtet haben!“ „Gott hat ihn von den Toten auferweckt. Wir sind sein