Blauer Himmelsstern. Bianca Wörter

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Blauer Himmelsstern - Bianca Wörter


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verharrte: "Nein, Don‘kar. Er wird nur das mit mir tun, was ich von ihm erwarte. Wenn ich erwarte, dass er mich tötet, wird er mich töten. Wenn ich erwarte, dass er mit mir redet, dann wird er mit mir reden."

      Woher ich die Gewissheit nahm, konnte ich nicht sagen, doch ich empfand in dem Feuer, das in mir brannte, dass es der Wahrheit entsprach - an diesem besonderen Tag, zu dieser magischen Stunde. In Don‘kars Augen nahm ich wahr, dass er mich nicht verstand.

      „Der Schwarze Drache ist ein Sklave unserer Gedanken. Er ist nicht frei. Er wird nur das tun, was ich mir wünsche oder was ich befürchte."

      "Glaubst du, dass du bei seinem Anblick verhindern kannst, dass du befürchtest er wird dich verbrennen?"

      In Don‘kars Augen blitzte etwas auf und ich schloss nachdenklich die Augen, drang in seine Gedanken ein. Das Bild, das daraufhin in meinem Kopf entstand, war kein Bild, das ich mit meinen eigenen Augen gesehen hatte. Ich sah, wie groß der Drache, wie unglaublich mächtig er war entgegen jeder romantischen Vorstellung eines Drachens auf der Erde. Im Vergleich dazu erschienen die Drachen in Zeichnungen oder Filmen wie Schmuse-Tiere. Auch ich war Sklave meiner Gedanken und Befürchtungen, meiner Bedenken und Wünsche. Ich wusste nicht mehr, ob ich dem Drachen gegenübertreten und alle Ängste beiseitelegen konnte. Ich öffnete die Augen, erkannte die Besorgnis in Don‘kars Blick und wusste, dass ich noch nicht bereit dazu war. Ich teilte Don‘kar meinen Entschluss mit. Dieser atmete erleichtert auf, legte seinen Arm um meine Schultern und wir marschierten schweigend zurück zur Hütte.

      Am Tisch sitzend, den Kopf auf meine Hände gestützt, traute ich mich endlich die Frage zu stellen, die in meiner Seele brannte: „Don‘kar - kennst du ihn?"

      „Er ist der stärkste Drache, den Randor je hatte, er ist böse, weil er in den Diensten der Opferer steht. Jeden Frühling bringen sie ihm Menschen als Opfer dar, damit er sie in den Machtkämpfen über den Sommer hinweg unterstützt."

      Langsam begann ich zu verstehen, dass Don‘kar an die Opferern gedacht hatte, als er mich in der Eiswüste fand. Es war wie in einem Traum: Drachen, Einhörner, Menschen, die andere Menschen opferten. Aber es war kein Traum, es war die Welt, in der ich jetzt lebte! Es war Randor!

      „Der Drache könnte seine Opfer selbst rauben, warum sollte er sich mit den Opferern einlassen? Warum sollte er ihnen eine Gegenleistung bringen?", begann ich laut zu überlegen.

      Don‘kar zuckte mit den Schultern: "Sie haben die Macht über ihn."

      „Du hast gesagt, dass er ist, was er ist."

      „Sein Wesen ist durch die Macht der Opferer gefangen."

      Nun war der Drache also nicht mehr Sklave der Gedanken, sondern eine böse Marionette der Opferer. Den Gedanken konnte ich, obwohl ich es mit aller Macht versuchte, nicht mehr loswerden.

      „Don‘kar, ich muss ihn befreien."

      „Glaubst du, dass du das könntest? Du bist verletzlich, sie würden dich opfern."

      Ich beugte mich über den Tisch und packte ihn bei den Schultern, ich war angefüllt mit Emotionen, die in mir rissen, die mich bis zum Bersten an- und ausfüllten, die mich mit einer Macht erfüllten, wie ich sie noch nie in mir gespürt hatte. Das Mitleid mit dem Drachen rüttelte mein ganzes Bewusstsein durcheinander.

      „Ich kann ihn befreien. Ich werde ihm in der Gestalt des Einhorns gegenüber treten."

      Don‘kar hielt mich an meinen Armen fest, griff massiv zu, sodass ich vor Schmerz beinahe aufgeschrien hätte: "Du bist noch nicht so stark und vertraut mit deiner Macht, um sie sicher nutzen zu können. Die Verwandlung vom Einhorn in einen Menschen hat dich deine ganze Kraft gekostet. Weißt du, wie lange du die Gestalt aufrecht erhalten kannst, ohne dich wieder in einen Menschen zurückzuverwandeln? Wenn du als Mensch vor ihm liegst, kannst du dich nicht mehr wehren. Du bist dem Drachen hilflos ausgeliefert, auch, wenn du deine Angst vor ihm verdrängen kannst. Er würde dich töten, weil er von den Opferern beherrscht wird!"

      Ein dicker Kloß engte meine Kehle so sehr sein, dass ich dachte, ich würde im nächsten Augenblick ersticken. Ich bebte vor Wut, vibrierte vor Schmerz der Erkenntnis. Ich wusste, dass er Recht hatte, dass ich meine Macht noch nicht kannte, dass ich nichts von ihr wusste. Heiße Tränen stiegen in mir auf. Ich riss mich von Don‘kars hartem Griff los, stürmte aus der Hütte und rannte durch den Wald. Während ich rannte, spürte ich, wie ich mich verwandelte, ich konnte auf vier Beinen weiter ausholen und schneller vorankommen, empfand das Brennen an meiner Stirn, als das Horn hervor trat, nahm wahr, wie sich mein Kopf verformte. Als ich die Eiswüste erreicht hatte, blieb ich kurz stehen und tänzelte spielerisch auf meinen vier Beinen. Ich war verwundert, dass die Verwandlung mitten im Laufen geschehen war. Ich stieß einen wiehernden Laut aus und wollte in die Eiswüste hinaus galoppieren, als ich hinter mir die Anwesenheit Don‘kars und Ralins spürte. Er hatte ihn weder gesattelt, noch gezäumt, so schnell hatte er auf meine Flucht reagieren müssen.

      „Wie bist du so schnell hier gewesen?", fragte ich erstaunt.

      „Deine Verwandlung hat dich Schnelligkeit gekostet."

      Ich schüttelte meine Mähne. Jetzt war ich schnell, ich konnte mit dem eisigen Wind fliegen. Ich blickte in Don‘kars vor Ärger verzogenes Gesicht, doch ich konnte nicht bleiben - jetzt nicht mehr. Ich musste hinaus in die weiße Unendlichkeit und dem Drachen gegenüberstehen. Ihm in die Augen sehen und wenn es das Letzte wäre, was ich in meinem Leben getan hätte. Ich drehte mich auf meinen Hinterläufen um und stürmte los.

      Ich hörte hinter mir das lange, schmerzerfüllte „Nein!" von Don‘kar, dann vergaß ich ihn und dachte nur noch an die Begegnung mit dem Drachen in weiter Ferne am Ende des Horizonts. Ich rannte mit und gegen den Wind, dem Horizont entgegen, ließ mich von meinem Gefühl leiten, wollte den Schwarzen Drachen finden. Ich rannte und rannte verbissen weiter. Ich brannte innerlich. Meine Sehnsucht, dem Drachen in die Augen zu schauen, wurde mit jedem Schritt größer. Mein ganzer Körper fühlte durch diese Sehnsucht einen Schmerz, der wie eine einzige, große Wunde schwelte.

      Plötzlich empfand ich seine Nähe.

      Ich blieb augenblicklich stehen, der weiße, stumme Schnee stieb um meine Fessel. Ich witterte in alle Richtungen, drehte meinen Kopf, meinen Hals, schnaubte verzweifelt. Seine Aura war so nah, dass ich es vor Schmerzen der Sehnsucht nicht mehr aushielt. Ich stieß einen langen, gequälten Schrei aus...

      Er tauchte aus dem Nichts auf. Er streckte seinen langen, schwarzen Hals gegen den nun grauen, schneeschwangeren Himmel, ließ seine fledermausartigen Flügel beiderseits des Körpers in die Höhe schwingen, wieder sinken und auf halber Höhe still stehen, nur die Spitzen vibrierten leicht. Sein schwarzer, geschuppter Körper bebte, seine Hinterbeine stampften den Schnee, der fontänenartig vor der Masse wich und vom Wind in alle Richtungen verweht wurde. Was für eine Pracht er im direkten Gegensatz zum weißen Schnee ausstrahlte!

      Seine goldenen Augen fixierten mich: durchdringend, warnend, flehend, hassend, liebend. Ich hielt seinem Blick stand, war mir meines Einhornkörpers durch und durch bewusst, wusste, dass diese klugen, alten, goldenen Augen durch meine Hülle hindurch schauen konnten und erkannten, dass sich in dem Körper des mächtigen Einhorns ein schwacher Körper verbarg. Meine Sehnsucht wuchs, der Wunsch, seinen Blicken nie wieder auszuweichen, wurde übermächtig. Ich konnte mir in diesem Moment nicht mehr vorstellen, dass ich je Angst vor ihm haben würde. Indes, seine Augen warnten mich. Sie flehten mich an zu fliehen. Ich wollte nicht fliehen. Er stand so dicht bei mir, dass ich die Wärme seiner brennenden, schwarzen Haut spüren konnte und wunderte mich, dass der Schnee nicht augenblicklich um ihn herum schmolz. Er schmolz nicht, da der Drache eins mit der Natur war - er war ein Teil davon und konnte ihr mit seiner Anwesenheit nicht schaden, sie nicht verändern, obwohl er als das Gegenteil in ihr auftrat. Sein heißer Atem wehte mir ins Gesicht - er duftete nach der warmen Erde eines herrlichen Sommertages.

      Endlich sprach er zu mir mit einer tiefen, grollenden, dennoch wohltönenden Stimme: "Du bist mutig und ich kenne dich. Flieh vor mir, so schnell du kannst, sonst muss ich dich töten. Ich darf nicht anders. Flieh von mir! Es würde mich schmerzen, wenn ich dich töten müsste!"

      Ich


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