Auf zum Nullarbor. Hermine Stampa-Rabe
Читать онлайн книгу.radle ich auf das nächste angefahrene und getötete Känguru zu. Dieses hat einen gehörigen Schlag abbekommen. Hierbei ist nicht auf den ersten Blick feststellen, ob es sich um ein weibliches oder männliches Tier handelt. Die Eingeweide liegen überall herum. Es sieht grauenvoll aus. Wer wird diese toten Tiere von der Straße nehmen oder auffressen?
Dann mache ich rechterhand voraus auf einem Feld ein einzelnes großes Tier aus. Ich vermute ein Känguru. Nein, es stellt sich heraus, dass es sich um einen Emu handelt. Den fotografiere ich und rolle weiter. Die Hitze ist noch auszuhalten. Bald muss ich doch ankommen!
Ja, die Kreuzung erscheint und mit ihr das Hinweisschild Wilmington. Meine Augen nach dem Schild für den Caravan-Park aufreißend, radle ich in den Ort hinein und folge dem Hinweisschild. Aber zuvor halte ich an einem kleinen Kaufmannsladen, um mich dort vielleicht ein wenig ausruhen zu können. Draußen herrschen schon 42°C. Drinnen ist es angenehm kühl. Meine Augen saugen sich an einem großen Stück einer Wassermelone fest. Die möchte ich haben und lasse sie mir samt Messer, Gabel und Löffel geben. Es befindet sich hinter der Eingangstür ein Bord, vor dem zwei Stühle stehen. Draußen las ich ja auch die Bezeichnung CAFE für dieses Geschäft. Also setze ich mich dort hin und labe mich an der herrlichen Frucht. Ein einziges Gedicht!
Mir gehen die beiden toten Kängurus nicht aus dem Kopf und frage den Kaufmann: „Wer holt sie von der Straße, oder werden sie dort stinkend vergammeln und austrocknen?“
„Nein“, sagt er. „Das erledigen in ganz kurzer Zeit unsere Vögel und der Fuchs.“
Die junge Verkäuferin empfiehlt mir den Beautiful Valley Caravan Park. Der andere liegt weiter im wilden Binnenland. Nein, dahin zu fahren, habe ich kein Interesse.
Es dauert nicht lange bis zu meinem Tagesziel. Der Besitzer weist mir freundlicherweise einen großen Aufenthaltsraum mit drei Tischtennistischen und einem Fernseher zu. Auch darf mein Rad mit hinein. So brauche ich kein Zelt aufzubauen. In dem wäre ich auch geröstet und alles in meinen Packtaschen durchgebacken worden. Und das Thermometer zeigt mir im Raum 38°C an.
In meinem Notebook erhalte ich zwischen meinen Emails einen Tipp, wie ich mich trotz der Bullenhitze abkühlen kann: meinen Kopf unters Wasser halten und die Nase dünn mit Vaseline von außen und innen bestreichen, dann von der Apotheke rehydriertes Wasser mit Salz und Nasal saline Spray für die Nasenschleimhäute kaufen.
Aber ich bin mal wieder von der Hitze – wenn auch fünf Grad weniger als draußen – wie erschlagen und lege mich auf das von dem Besitzer ausgeklappte Sofa. Als ich wieder aufwache, reiss ich mich zusammen, ziehe mich ausgehfertig an und habe vor, zur Apotheke zu gehen, um mir den Nasen-Spray zu kaufen. Da dieser Caravan-Park aber 1,5 km außerhalb des Ortes Wilmington liegt und ich zu faul bin, umsonst in den Ort zu gehen, betrete ich das Office und frage meinen Wirt, der ein weißes Pony als Freund hat, nach einer Apotheke.
„Nein, hier gibt es keine, aber morgen in Orroorroo. Machen sie ein Taschentuch nass und legen es sich um ihr Genick. Hier werden die kleinen Kinder schon zum Schutz vor der austrocknenden Hitze so erzogen: Die Eltern suchen sich kleine, runde Steinchen, kochen sie aus und geben jedem Kind eins davon in den Mund, wo es immer bleiben muss. Damit wird dafür gesorgt, dass immer wieder neuer Speichel gebildet wird und die Mundschleimhaut nicht austrocknet. Genial, nicht wahr?“
Wie ich diese Bullenhitze die ganzen Monate hier aushalten soll, ist mir schleierhaft. Außerdem kann ich auch keine so weiten Strecken am Tag zurücklegen, wie ich es mir vorgenommen hatte. Meine Fahrradtour wird ein Brief mit sieben Siegeln.
Es ist 16.00 Uhr. Hier im großen Aufenthaltsraum, in dem ich einquartiert bin, herrschen jetzt auch schon 40°C. Mal sehen, wie heiß es nun draußen ist. Draußen herrscht im Moment dieselbe Hitze, weil einige Wolken aufgezogen sind und die Sonne verdecken. Eigentlich ist es nicht zum Aushalten!!
Darum fasse ich mir ein Herz, gehe zu meinem Caravan-Wirt und frage ihn: „Gibt es für ihre Gäste keinen kühlen Aufenthaltsraum?“
„Nein, gibt es nicht.“
„In meinem großen Raum, wo ich schlafen darf, herrschen 45°C. Das ist nicht zum Aushalten. Gibt es hier im Ort ein Restaurant, in das ich mich bis zum Abend setzen darf?“
„Nein, ein Restaurant gibt es nicht, nur ein Hotel. Wollen sie da schlafen?“
„Nein, ich bin nicht reich. Ich werde in dem großen Raum schlafen, wenn es kühler geworden ist.“
„Kommen sie mit. Ich bringe sie in einen kühlen Raum.“
Und damit wandere ich hinter ihm her bis zu einem seiner kleinen Gästehäuser, in das er hineingeht und mich mitnimmt. Sofort stellt er die Aircondition an. Nach einer ganzen Zeit ist die Temperatur auf 33°C gefallen. Mein kleines WIFI funktioniert hier wieder. Der Akku lädt sich auf. Was für ein Glück.
Montezuma schlägt zu
18.01.2013: Wilmington – Orroorroo: 54 km
Ach ja, mein Tachometer funktioniert heute früh wieder. Er verträgt die Hitze also auch nicht. Habe eben an meinen Verwandten, Hans in Melbourne, geschrieben, ob es für mich besser wäre, auf Tasmanien oder Neuseeland zu radeln. Ich warte auf seine Antwort. Auf jeden Fall ist es nicht zumutbar, bei 50°C mit dem bepackten, schweren Rad durch die sengende Sonne zu radeln.
Plötzlich trifft mich Montezumas Rache. Und keine Toilette ist weit und breit! Welche Katastrophe! Von Schlafen kann in dieser Nacht nicht die Rede sein. Die sich hier angesammelte Hitze lässt meinen Schweiß in Strömen fließen. Das sehe ich als Schlankheitskur an und wälze mich von einer Seite zur anderen. Um 4.30 Uhr klingelt mein Wecker. Ich staune, dass ich ihn so laut höre, obgleich er etwas weiter entfernt auf einem kleinen Tisch steht. Werden meine Ohren auf dieser Fahrradtour durch die Hitze vielleicht auch wieder gesund?
Als ich aus der Tür trete, staune ich nicht schlecht: Gestern noch stand das Kreuz des Südens klar und deutlich am schwarzen Nachthimmel. Und heute früh? Wolken rasen am Himmel entlang. Das Wetter hat umgeschlagen, genauso wie es von meinen facebook-Freundinnen vorangekündigt wurde. Nur traute ich da dem Frieden noch nicht. Aber es stimmt! Heute kann ich also getrost ganz bis Orroorroo, meinem heutigen Etappenziel, radeln. Es stürmt sehr.
Die Giftspinne in den sanitären Räumen, in denen ich mich duschen möchte, kann mich gar nicht mehr erschrecken. Sie sieht aus wie ein kleiner Weberknecht, der am Verhungern ist nur mit dem Unterschied, dass sie kürzere Hinterbeine und einen länglichen, orangefarbenen Körper aufweist. Sie verschwindet unter der Bank in der Dusche. Gestern habe ich eine von dieser Sorte plattgemacht. Lohnt sich gar nicht. Es gibt davon sicher unendlich viele.
Wieder zurück in meinem Quartier, verfärbt sich der Horizont in helles Gelb. Mein Wasser-Körner-Frühstück ausgelöffelt, alles gepackt, das Fahrrad hinausgeschoben und mit den Packtaschen behängt, schiebe ich zu meinem Wirt. Er saugt gerade seinen Teppich. So verabschiede ich mich von ihm und sage: „Ich kann meine Fahrradtour gen Osten fortsetzen.“
Regentröpfchen benetzen meine roten Packtaschen. Deshalb ziehe ich mir meine rosa Windbluse an. Falls es noch richtig regnen sollte, würde die Windbluse reichen; denn es sind 23°C. Alles würde vom Sturm schnell wieder trocknen.
Zwischen den am Himmel entlang rasenden, dunklen und helleren Wolken erscheint hellblauer Himmel. Bald wird wohl auch die Sonne hindurch lugen. Aber der Sturm macht mir doch sehr zu schaffen. Er drückt von rechts ordentlich gegen meine Packtaschen. Von zu Hause weiss ich, dass ich nur dann nicht umgeblasen werde, wenn ich in möglichst hoher Geschwindigkeit fahre.
Die Straße fährt sich gut. Sie ist nicht durch Frostschäden beschädigt. Es wird immer heller. Aber einen Sonnenaufgang wie sonst gibt es aufgrund der ziemlich dichten Wolkendecke nicht. Um 6.30 Uhr starte ich, weil es erst dann hell wird. Wie lange werde ich heute brauchen, um anzukommen, falls mich der Sturm später noch von vorn erwischt? Aber ich denke positiv und sage mir meinen biblischen Spruch auf: Fürchte dich nicht. Denn siehe, ich bin bei dir alle Tage bis an der Welt Ende.