Von Jerusalem nach Marrakesch. Ludwig Witzani
Читать онлайн книгу.href="#u0809d2b6-b294-5fee-a032-1a8c3e758818"> Arabischer Frühling – und was nun?
Ein Nachwort
Literaturhinweise
Einleitung
Nichts geschieht jenseits des Mittelmeeres, was Europa nichts angeht. Das war schon immer so gewesen, am Beginn geschichtlicher Zeiten ebenso wie heute. Einer der beiden Paukenschläge, mit denen die Menschheit vor fünftausend Jahren die Bühne der Geschichte betrat, ertönte in Ägypten. Christentum und Judentum, teilweise selbst der Islam, besitzen ihre Ursprünge in Palästina. Und doch hat sich – wenn man den Sonderfall Israel einmal außen vor lässt – am südlichen Ufer des Mittelmeeres ein Zivilisation entwickelt, die in allen ihren wesentlichen Zügen der europäischen diametral entgegengesetzt ist: in der unbedingten Ernsthaftigkeit der Religion, im Verhältnis der Geschlechter, in der Wertschätzung der Familie, im Ausmaß demokratischer Prozeduren und selbst in der Kunst. Nie war dieser Gegensatz so deutlich wie heute, wo sich der Islam nach einer erstaunlichen Revitalisierung einem religiös erschöpften Europa gegenübersieht. So verbinden und trennen Europa mit dem nordafrikanischen Orient starke Bande der Gemeinsamkeit und der Unterschiedlichkeit zugleich - in jedem Land mit einem anderen Akzent und bis aufs Äußerste zugespitzt in Israel, dem kleinen Land, in dem drei große Weltreligionen aufeinanderprallen.
Diese Vielfalt kann mit Büchern alleine nicht begriffen werden. Man muss sie sehen, man muss ihre Geräusche hören, ihre Gerüche riechen und ihre Menschen kennenlernen, und auch dann geht die Gleichung nie ganz auf. Vieles bleibt, was nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen ist.
Von einem gemeinsamen Nenner sind auch die Reisebilder dieses Buches weit entfernt, aber es soll trotzdem versucht werden, ein wenig von der Vielfältigkeit dieses Weltteiles lebendig werden zu lassen. Nicht objektiv, was unmöglich wäre, sondern gebrochen durch die Perspektive eines Reisenden, der sich auf eigene Faust aufmacht, diesen Teil der Welt zu begreifen. Dass dieses Begreifen und die daraus erwachsenden Urteile durch und durch subjektiv sind, braucht nicht eigens betont zu werden.
Grundlage dieses Buches sind insgesamt acht Reisen, die ich im Laufe der Jahre zwischen Jerusalem und Marrakesch unternommen habe. So oft es möglich war, habe ich versucht, die Unmittelbarkeit der Reiseerfahrung vor Ort, die sich in meinen Reisetagebüchern niederschlu,g in den Text zu überführen. Das bringt es mit sich, dass einige der Urteile, die in diesem Buch gefällt werden, direkter daherkommen als in früheren Büchern. Vielleicht aber hat das auch damit zu tun, dass einem manchmal das als besonders fremd erscheint, was einem in Wahrheit sehr ähnlich ist.
Keine Chance,
den Rucksack abzustellen
Akko – Zefad – Tiberias - Nazareth
Gegen keine Fluggesellschaft der Welt wurden bisher mehr Anschlagspläne entwickelt als gegen die israelische Staatslinie El Al. Unzählige Attentate wurden geplant und doch gilt die El Al als die sicherste Fluggesellschaft der Welt.
Wie war das möglich? Ich sollte es bald erfahren.
Es fing damit an, dass jeder Passagier sein Gepäck auf einen Tisch legen, auspacken und seinen Inhalt dem Sicherheitspersonal erläutern musste. Da sich in meinem Pass Einreisestempel aus Marokko, Algerien und Tunesien befanden, wurde ich aus der Warteschlange herausgewunken und in einen separaten Raum geführt, in dem sich zwei Angestellte ausführlich über meine maghrebinischen Reisen informieren ließen. Wieviel Tage waren Sie in Marrakesch? In welchem Reisebüro haben Sie ihr Fährticket nach Tunis gekauft? Wo genau haben Sie sich in der Zentralsahara aufgehalten? Die Antwort auf diese Fragen musste ich auf einen Zettel schreiben und abgeben, ehe ich an ein zweites Befragungsteam weitergereicht wurde, dem ich erklären musste, warum ich so oft nach Nordafrika gereist sei. Ob die Sicherheitskräfte mit meinen Antworten zufrieden waren, wusste ich nicht, denn nun wurde ich einem dritten Befragungsteam übergeben, vor denen ich alle meine Zeit- und Ortsangaben aus dem ersten Gespräch noch einmal wiederholen musste. Hätte ich gelogen oder mir die maghrebinischen Reiserouten nur ausgedacht, wäre ich todsicher aufgefallen. So aber hielt ich mich eisern an die Wahrheit und erhielt nach neunzig Minuten individueller Überprüfung endlich meinen Boardingpass. Ich wusste allerdings, dass damit die Sicherheitsvorkehrungen der El Al noch nicht ausgeschöpft waren. Sollte es einem Terroristen trotz aller Kontrollen gelingen, eine Waffe an Bord zu schmuggeln, würde er sich mit mindestens zwei Sky Marshalls auseinanderzusetzen haben, die äußerlich als normale Passagere getarnt bei allen Elf Al Flügen dabei waren. Sie würden im Ernstfall eingreifen. Und zwar ohne Rücksicht auf Verluste.
So aufwändig das Einchecken auch gewesen sein mochte, der vierstündige Flug von Düsseldorf nach Tel Aviv war unspektakulär. Kein Terroranschlag, keine Turbulenzen, aber auch kein Unterhaltungsprogramm. Wer nach Israel fuhr, würde schon Abwechslung genug erleben. Immerhin wünschte uns der Kapitän auf Englisch, Deutsch und Hebräisch ein frohes Fest, denn wir schrieben den 24. Dezember, und es war Weihnachten.
Da niemand auf dem Flughafen von Tel Aviv landete, der nicht bereits vorher genau geprüft worden war, gingen die Einreiseformalitäten schnell über die Bühne. Um 17.00 Uhr verließ ich den Flughafen und war in Israel. Es regnete, war dunkel und schweinekalt. Mit dem Flughafenshuttle fuhr ich zuerst zum Busbahnhof von Tel Aviv, dann zur gut einhundert Kilometer entfernten nordisraelischen Hafenstadt Akko. Regen und Wind klatschten gegen die Scheiben des Busses, und das Wetter wurde immer schlechter. In Akko nahm ich ein Taxi, das mich zur Jugendherberge brachte, einem uralten Bau direkt in der Umfassungsmauer des alten Hafens. Ich war der einzige Gast und konnte mir mein Bett in einem Vierzig-Betten-Schlafsaal nach Belieben aussuchen. Eine Nachtlampe gab es nicht. Das Abendprogramm bestand aus dem Heulen des Windes und dem Klatschen der Wellen gegen die Ufermauern. Ich war so einsam, dass es fast schon wieder ein Erlebnis war.
Da ich nicht einschlafen konnte, kramte ich meine Stirnlampe aus dem Rucksack und las ein wenig in meinen Reiseführern. Dort wurde Akko als eine der ältesten Städte der Welt dargestellt, als ein Schmerztiegel der Völker, in der sich die antiken Reiche gleichsam die Klinke in die Hand gaben. Ägypter, Phönizier, Syrer und Hethiter, die Israeliten, Assyrer, Perser, Griechen, Römer und Byzantiner hatten nacheinander die Stadt kontrolliert. An die Araber fiel Akko schon im Jahre 636, gerade mal vier Jahre nach dem Tod des Propheten, und ganz gleich, welche Herren später noch kommen sollten - mohammedanisch ist Akko seit dieser Zeit geblieben. In Akko wurden die Schiffe gebaut, mit denen die Araber im achten Jahrhundert Konstantinopel belagerten, Kreta eroberten und die Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer errangen. Akko wuchs und wurde reich, Stadtmauern entstanden und schützen die großen Karawansereien der Stadt. Auch die Epoche der Kreuzzüge vermochte an der moslemischen Prägung der Stadt nichts mehr zu ändern. Akko wurde erobert, ging wieder verloren und wurde neu erobert, doch am Ende fiel die Geschichte wie ein Fallbeil über die Kreuzfahrer nieder – und zwar nirgendwo anders als eben in Akko, das im Jahre 1291 als die letzte Kreuzfahrerfestung der Levante an die Moslems zurückfiel. Zigtausende Christen wurden von den siegreichen ägyptischen Mamluken erschlagen, und wer konnte, floh nach Zypern.
Als ich am nächsten Morgen durch Akko spazierte, war der Himmel aufgerissen. Die Regenwolken hatten sich verzogen und die Sonne brachte einen Hauch von Frühling in die Stadt. Auch nach der Gründung des Staates Israel war die Bevölkerungsmehrheit Akkos arabisch geblieben. Es handelt sich die Nachkommen jener Araber, die im ersten Nahostkrieg vor den anrückenden arabischen Armeen nicht aus Israel