Von Jerusalem nach Marrakesch. Ludwig Witzani
Читать онлайн книгу.war die junge Rachel, Isaaks Frau, bei der Geburt Davids gestorben. Ihr vermeintliches Grab, wenn man es denn glauben wollte, befand sich am Ortseingang von Bethlehem, ein runder schmuckloser Bau, der aussah wie die Grabstätte eines maghrebinischen Marabuts.
Besucht wurde dieses Grab von allen Jüdinnen, Muslima und Christinnen, die auf Nachwuchs hofften. Eine weibliche Brücke über die Grenzen der Religionen hinweg.
Hebron ist die älteste der vier heiligen jüdischen Städte Hier erwarb Urvater Abraham am Ende seiner langen Wanderung aus Mesopotamien von einem hethitischen Kaufmann die Höhle Machpela als Wohn- und Grabstätte. Abraham, Sarah, Isaak, Rebecca und Jakob sollen in Hebron und Umgebung begraben sein, weswegen die Stadt auch für Christen und Araber heilig war. Sie alle pilgerten zur Haram el Khalil, der Grabmoschee des Patriarchen Abraham, der als großer festungsähnlicher Bau Jedermann offenstand. Obwohl man annehmen könnte, dass die gemeinsame Verehrung des gleichen Patriarchen an einem gemeinsamen Ort, der religiösen Verständigung dienen sollte, war in Hebron leider genau das Gegenteil der Fall. Die Juden hatten nicht vergessen, dass die arabischen Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung vor der Gründung des Staates Israel gerade in Hebron besonders blutig gewesen waren. Und die Moslems werden nicht vergessen, dass der radikale jüdischer Siedler Baruch Goldstein aus der jüdischen Siedlung Kirjat Arba während des Ramadans in der Haram el-Khalil trotz der israelischen Militärpräsenz 29 moslemische Pilger erschossen hatte. Während meines Besuches in Hebron war die Haram el Khalil nicht geöffnet. Irgendwo zwischen Hebron und der jüdischen Siedlung Kirjat Arba war es zu einem Zwischenfall gekommen, so dass sich die Armee entschlossen hatte, den Zugang zum Patriarchengrab zu sperren. „Versuchen Sie die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen“, sagte der Offizier, als er mir meinen Pass zurückgab.
Als ich von der Hamid el Khalil zum Busbahnhof lief, waren die meisten Türen und Fenster verschlossen. Manchmal erblickte ich von einem der Dächer der Häuser eine Person, die mich zu beobachten schien. An einer Kreuzung hatte eine Kohorte israelischer Soldaten mit zwei Gefechtsfahrzeugen alle Durchgänge gesperrt, um jeden Passanten einer Leibesvisitation zu unterziehen. Ich hatte den Kontrollpunkt noch nicht erreicht, als moslemische Jugendliche begannen, aus den Eingängen der Häuser heraus Steine auf die Soldaten und Fahrzeuge zu werfen. Ein ganzer Steinhagel prasselte auf die Gruppe der Soldaten nieder, die sofort in Deckung ging. Ich beobachtete einen kleinen Araber, nicht älter als acht oder neun Jahre, der sich von hinten an einen israelischen Soldaten heranschlich und ihm aus nächster Nähe einen stattlichen Wackerstein ins Kreuz warf. Er traf nur ungenau, doch der Israeli sprang herum, entsicherte sein Gewehr und einen Augenblick glaubte ich, er würde das Kind auf der Stelle erschießen. Es handelte sich um einen jungen Wehrpflichtigen, vielleicht um die zwanzig Jahre alt, mit Erschrecken und Wut im Gesicht. Mit zwei, drei Sätzen hatte er den davonlaufenden kleinen Araber eingeholt und trat ihm derart in den Hintern, dass der Junge einen Meter durch die Gegend flog. Doch das Kind landete wie eine Katze auf dem Boden, rollte sich ab und verschwand im Zickzacklauf in einer Seitengasse. Nun wurde es noch turbulenter, die Wehrpflichtigen schossen in die Luft, doch der Steinhagel hörte nicht auf. Allerdings waren es nur Kinder und Jugendliche, die die Steine warfen. Ohne die Gefahr zu realisieren, in der sie sich begaben, sprangen sie aus ihren Deckungen und warfen alles, was sie in ihre kleinen Hände bekamen, gegen den israelischen Soldaten. Als ich in einem Hauseingang in Deckung ging, sah ich zwei Erwachsene, die den Angriff der Kinder koordinierten. Als einer der beiden, ein Gemüsehändler, mich bemerkte, rief er mir zu, ich solle Fotografien machen, damit die Welt sähe, wie die Juden die Moslems in Hebron knechten würden. Er war ein hagerer, mittelalter Mann mit so tiefen Furchen im Gesicht, als hätte der Hass seine Züge versehrt. Kurz darauf stellten die Kinder ihren Steinangriff auf ein Zeichen der Erwachsenen hin ein und verschwanden. Als die Soldaten anschließend mit entsicherten Waffen durch die Straßen liefen um nach den Angreifern zu suchen, saß der gleiche Gemüsehändler unbeteiligt auf einem Holzstuhl vor seinem Laden.
Die Reise zum Mosesberg
Durch den Süden Israels zum Sinai
Am nächsten Tag fuhr ich mit einem arabischen Bus zum Toten Meer. Kaum hatten wir Jerusalem auf der Schnellstraße 90 verlassen, wurden wir von einer israelischen Militäreskorte angehalten. Fünf Soldaten umstellten den Bus mit gezogenen Waffen, ein Soldat kontrollierte im Bus die Ausweise. Der Soldat trug eine schusssichere Weste, einen Helm mit Sprechvorrichtung, einen Patronengurt und ein Funkgerät am Gürtel. Seine Gesten waren wachsam und misstrauisch, sein Ton herrisch, als wisse er, dass Freundlichkeit in diesem Bus verlorene Liebesmühe war. Als er meinen Ausweis kontrollierte, fragte er mich auf Englisch, warum ich einen arabischen Bus nähme. Weil er gerade da war und losfuhr, antwortete ich. „Seien sie vorsichtig“, sagte er, als er mir meinen Pass zurückgab.
Nach einer weiteren Kontrolle kurz vor hinter Nabi Musa war das Tote Meer erreicht, das mit etwa vierhundert Metern unter dem Meeresspiegel tiefgelegendste Gewässer der Erde. Der erste Anblick des Toten Meeres war gespenstisch: ein abflussloses Becken, das die Gewässer des Jordan aufnahm und das nur aus zwei Farben zu bestehen schien: dem tiefen Blau von Meer und Himmel und dem Gelbbraun der Wüste. Wie schon am See Genezareth hatten sich die Temperaturen innerhalb kürzester Zeit abrupt erhöht.
Der Süden des Toten Meeres im Umkreis von El Gedi präsentierte sich wie aus der Zeit gefallen. Seifiges Wasser vor einer lebensfeindlichen Wüstenlandschaft, in der nicht einmal die viel beschworene Fliege überleben könnte. Geradezu surreal wirkten die Touristen, die sich unter der Aufsicht ihrer Fremdenführer in das Wasser des Toten Meeres legten und sich daran ergötzten, wegen des hohen Salzgehaltes nicht unterzugehen. Scharfe Schatten zwischen den Felsen, als die Sonne tiefer sank, vor allem aber große Fläche von Salzablagerungen im Uferbereich, die darauf hinweisen, dass das Tote Meer immer weiter schrumpfte. Dieser Schrumpfungsprozess hatte sich beschleunigt, seitdem Israel immer größere Mengen von Jordanwasser für die eigene Wasserversorgung abzweigte. Inzwischen lag der Wasserspiegel des Toten Meeres bereits 421 Meter unter dem Meeresspiegel.
Im Kibbuz El Gedi verlangte man für ein Zimmer mit Vollverpflegung stolze 155 Dollar In der benachbarten Jugendherberge buchte ich ein Bett in einem Sechserzimmer für 35 Dollar. Ich notierte: Israel ist kein Land für klamme Backpacker. Bei der Anmeldung der Jugendherberge traf ich den rachitischen Österreicher wieder, dessen Röcheln mir in Jerusalem den Schlaf geraubt hatte. Er flog gerade aus der Jugendherberge heraus, weil er sein Bett nicht mehr bezahlen konnte. „Scheiß Juden“, brüllte er, als er das Gelände verließ.
Wo zehn Menschen zusammenkommen, bildet sich eine Gemeinde, sagen die Juden. Wo sechs Menschen in einem Schlafsaal schlafen, ist mindestens immer ein Schnarcher dabei.
In der Nähe von El Gedi befanden sich in den Felswänden von Nahal Hever einige Höhlen, in denen sich Simon bar Kochba beim letzten Aufstand der Juden im Jahre 135 verschanzt haben soll. Da in El Gedi sonst nichts gebacken war, spazierte ich in der Hitze des Tages nach Nahal Never, entdeckte aber nichts weiter als einige Höhlen in den Felswänden, in die man nicht hineinklettern durfte und einen Wasserfall, aus dessen Becken die Ziegen tranken.
Die Festung Massada wurde zwei Generationen vor Jesus von Herodes dem Großen auf dem abgeflachten Plateau eines gigantischen Felsens errichtet. Abstürze zwischen einhundert bis vierhundert Metern und gut gefüllte Vorratsspeicher machten diesen Riesenfelsen praktisch uneinnehmbar. Am Ende des jüdischen Krieges, als die Römer bereits das gesamte Land und alle Städte in ein Meer von Blut getaucht hatten, verschanzten sich die letzten Aufständischen in der Festung. Da wegen der enormen Vorratshaltung in Massada ein Aushungern der Festung nicht in Frage kam, erbauten die Römer eine gigantische Rampe, auf der sie Belagerungsmaschinen hochbeförderten, die so große Breschen in die Bergmauern schlugen, dass die Römer endlich zum Sturm ansetzen konnten. Doch die Eroberer fanden nur Leichenberge. Fast eintausend jüdische Männer, Frauen und Kinder hatten sich noch vor dem Angriff der Römer in der Festung selbst den Tod gegeben.
Inzwischen waren nur noch Torbögen, Brunnenreste, und Mauerfragmente auf dem Felsplateau von Massada erhalten, ein grausandiges Ruinenfeld im Abendlicht, dem