Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

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Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler


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vor würzigem, stark gesüßtem Pfefferminztee und ließen es sich von Herzen schmecken.

      »Ach, tut das gut,« seufzten beide ein über das andere Mal, schauten in die Runde und vergaßen beinahe ihre Sorgen.

      »Die Leute sehen eigentlich ganz freundlich aus, meinst du nicht auch, Caspar? Es muss doch wohl möglich sein, einen Fischer zu finden, der uns mitnimmt und zur französischen oder sardinischen Küste bringt. Dafür wird unser Geld schon reichen. Und wir können ja auch anbieten, ein bisschen beim Fischfang Hand anzulegen. Wir haben zwar keine Ahnung von diesem Gewerbe, aber das brauchen wir nicht gleich zuzugeben. Kräftig genug zum Zupacken sind wir allemal.«

      Als sie wieder aufbrachen, mündeten die Gassen sternförmig auf einen größeren Platz. Sie hatten den Obst- und Gemüsemarkt erreicht. Da weiteten sich ihre Augen ob der Vielfalt von Farben und Formen der Früchte, Knollen und Blätter, die sie weder von zu Hause kannten, noch in den Bauernhöfen um ihr Ordenshaus je gesehen hatten. Vieles, was da auf niederen Ständen oder auf Tüchern, direkt auf dem Boden ausgebreitet lag war so verführerisch und interessant, dass sie sich aufs Neue vergaßen und zwischen den ausgelegten Waren umherschlenderten. So wie die Menschen angezogen waren und mit ihren derben Händen, mussten das die Bauern selbst sein, die ihre Ware zum Markt gebracht hatten. Die Mannigfaltigkeit war kaum zu fassen. Das sollte ihre Mutter gesehen haben. Die Liebe, Gute war schon froh, wenn Kartoffeln, Möhren oder Kohl auf den Tisch kamen. Solche Gemüsearten gab es hier natürlich auch in Hülle und Fülle, aber daneben all das andere, die frischen Gurken und Bohnen, große weiße Rettiche und diese nie für möglich gehaltenen, riesigen Zwiebeln!

      »Sieh doch, Caspar, diese Zwiebel muss wenigstens drei Pfund wiegen! Und die wundervollen Melonen und Aprikosen!«

      »Was sind denn das für rot-gelbe Früchte?« Caspar deutete auf sie und schon war der Händler zur Stelle die potentiellen Käufer zu bedienen. Er nahm eine der kleinen ovalen Früchte und schnitt sie vor ihren Augen in zwei Hälften, die er ihnen zur Verkostung reichte. Das Innere der Frucht beherbergte viele Samen, umgeben von einem grünen Gallert. Nicht unbedingt ansprechend für sie. Zögerlich nahmen sie die Probe und bissen hinein. Dabei tropfte der Saft über ihre Hände. Brrr, diesen süßsäuerlichen, leicht bitterlichen Geschmack hatten sie nicht erwartet. An ihrem Gesicht konnte der Bauer unschwer erkennen, dass er da keine Käufer gefunden hatte. Einen Tag später wurde ihnen die Frucht als Pomme d’or vorgestellt. Im darauffolgenden Jahr, in einem ganz anderen Kontinent, fand Cornelius dieses Gemüse in vielen verschiedenen Formen und Färbungen wieder. Da nennen die Einheimischen die Frucht 'Xitomatle', was Tomate heißt und dort seit langem angebaut wird.

       3 Flucht nach Frankreich

      Die Dämmerung setzte ein, als sie endlich ihren Weg zur Mole gefunden hatten. Da waren nur einige Männer mit dem Reparieren der Netze beschäftigt. Nach einigem Fragen mussten sie feststellen, dass die Fischer gewöhnlich erst mitten in der Nacht den Hafen verließen, um im Morgengrauen die Netze weit draußen auszulegen. Es blieb nichts anderes übrig, als entweder hier am Hafen stundenlang herumzulungern noch müder zu werden oder sich irgendwo eine billige Schlafstatt zu suchen. Sie hatten allerdings nicht die geringste Ahnung, wie sie das anstellen sollten. Ziemlich bedrückt, schlurften sie in den Ort zurück.

      Irgendwie musste die Körperhaltung ihre Gemütslage verraten haben. Sie sahen nicht wie Landstreicher aus, aber auch nicht respektabel genug, um eine gute Herberge bezahlen zu können.

      »He, ihr zwei, wohin so spät? Ihr seid doch nicht von hier? Ihr solltet um diese Zeit nicht mehr in der Stadt herumwandern. Das hier ist mein Teppichlager, ein vorzüglicher Platz zum Schlafen. Wenn es Euch beliebt, kommt herein, morgen ist wieder ein neuer Tag.«

      Diese Einladung kam wie gelegen. Sie überquerten die Straße, denn das Lagerhaus lag an einer geräumigen Kreuzung außerhalb der winkeligen Innenstadt. Vor ihnen stand ein drahtiger, hochgewachsener Mittfünfziger, der sie mit aufmerksamen Blicken musterte. Sein angegrauter, wohl getrimmter Spitzbart ließ sein langes, schmales Gesicht mit der Hakennase, den tiefliegenden Augen und den vollen Lippen noch länger erscheinen. Er hatte seine Hände in die weiten Ärmel seiner indigoblauen Djellaba gesteckt, ein Wollmantel, ganz ähnlich ihrem weißen Burnus, aber viel edler gewebt. Sein Kufi-Hut saß ihm keck auf dem Hinterkopf und unter dem langen Gewand schauten die gelben, weichen Babouche-Lederslipper hervor. Die gesamte Erscheinung war vertrauenerweckend.

      »Wo kommt Ihr her, ihr jungen Fürsten? Diese Anrede hatte aus seinem Mund nicht einmal etwas Spöttisches. Ich sehe schon, Berber seid Ihr nicht, auch keine Araber, he, vielleicht Söhne eines französischen Regierungsbeamten? Ihr seid doch nicht von zu Hause abgehauen? Schwierigkeiten kann ich überhaupt nicht ausstehen.«

      Er hatte sie gleich in fließendem Französisch angesprochen, obwohl er selbst Berber zu sein schien, seiner Kleidung nach vielleicht sogar aus Marokko.

      Sie wichen seiner direkten Frage aus.

      »Nein, nein, keine Sorgen. Wir sind Brüder und unsere Eltern schicken uns in geschäftlichen Angelegenheiten zu unserem Onkel nach Frankreich. Wir hatten einen faulen, unzuverlässigen Eseltreiber. Unser Wagen kam einfach nicht von der Stelle. Dadurch haben wir unser Schiff nach Marseille verpasst. Wir müssen nun ein anderes Boot suchen. Aber jetzt ist es spät geworden. Euer Gnaden, Ihr habt wirklich ein gutes Gespür, denn wir sind ortsfremd und wissen tatsächlich nicht, wo und wie wir die Nacht verbringen können.«

      Es wäre für den Teppichhändler unhöflich gewesen, die beiden weiter nach ihren Geschäften auszufragen, oder mit welchem Schiff sie nach Marseille kommen wollten. Und so dämpfte er seine Neugierde und ließ es fürs Erste bewenden. Cornelius und Caspar wurden ins Lager geführt wo ein großer Stapel schöner Berberteppiche lag, grob geknüpft mit braunen und schwarzen, einfachen Mustern auf weißer, wundervoll naturbelassener Schafwolle. Ware, die der Händler im Umkreis bei der Landbevölkerung zum Knüpfen immer wieder in Auftrag gab und die Teppiche nach Fertigstellung aufkaufte. Wirklich ein prächtiges Bett, das noch immer nach Schaf roch und zur bequemen Ruhe einlud.

      »Da, die Teppiche, auf die Ihr euch für die Nacht legen könnt, gehen morgen früh mit meinem Boot genau an den Ort, wo Ihr hin möchtet. Wollt Ihr nicht mitkommen? Dann habt Ihr für euer Fortkommen ausgesorgt. Es ist Platz genug für uns alle. Es wäre mir eine Ehre Euch als meine Gäste zu begrüßen.«

      »Bei Gott, das ist ja das reinste Geschenk des Himmels!« stimmten sie freudig zu.

      Müde waren sie tatsächlich. Ein Glück, dass sie am Nachmittag ein wenig gegessen hatten. So knurrte ihr Magen nur ein klein wenig, und der Schlaf ließ nicht lange auf sich warten. Sie hörten nicht einmal in der Dämmerung des Morgens den Muezzin vom Minarett der nahen Moschee zum Gebet rufen.

      Sie wurden erst von den Arbeitern aufgeweckt, die die Teppiche abholten und ins Boot verladen sollten. Der Hausherr war auch schon zur Stelle um alles selbst zu überwachen. Seine französischen Kunden waren ihm sehr wichtig. Er wollte deren Liebe und Bewunderung für seine schönen Berberteppiche nicht enttäuschen.

      Es war nun Zeit sich gegenseitig vorzustellen.

      »Ich bin Habib Belhadji, zu euren Diensten. Hab es schon gestern Abend angeboten, wäre mir eine Freude Euch freie Überfahrt anzubieten. Da wird mir wenigstens die Reise nicht langweilig. Mit den Seeleuten lohnt sich eine Unterhaltung sowieso nicht. Ihr aber scheint mir gute Kurzweil zu versprechen.«

      Natürlich konnten sie ihre wahre Identität nicht preisgeben. »Ich bin Pierre und das ist mein jüngerer Bruder Jean,« sagt Cornelius schnell, «unsere Familie sind die Le Beaus. Wir stammen aus dem Elsass. Unsere Aussprache verrät das vielleicht.«

      »Aber nein, aber nein, Ihr sprecht ein so schönes Französisch. Ihr wisst doch, wie hart diese Leute hier diese melodische Sprache aussprechen. Aber ihr könnt noch nicht lange bei uns in Algerien sein?«

      Da konnten sie halbwegs bei der Wahrheit bleiben.

      »Wir sind erst vor sechs Monaten angekommen, direkt aus Frankreich. Aber es ist hier einfach nicht genügend für uns zu tun. Zum Glück wohnt unser Onkel in Marseille. Er hat uns eingeladen.«

      Habib


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