Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler
Читать онлайн книгу.das abwertende Argument zur Hand, wir halten ihn ja doch nur für einen von vielen Propheten und nichts anderes. Aber das stimmt ganz und gar nicht. Er bekam als einziger in unserem Heiligen Koran in nicht weniger als 15 Suren einen ganz besonderen Namen und Titel.«
»Da habt Ihr vollkommen Recht, pflichtete Cornelius alias Pierre bei. Ich weiß, Jesus ist bei Euch ein 'Rasul', ein Gesandter Gottes, wie Noah, Abraham, Moses und auch Muhammad, und nicht nur ein 'Nab?', ein Prophet.«
Habib schaut ihn erstaunt an. Cornelius hatte sich redlich mit dem Islam, dem Koran und der Geschichte Muhammads beschäftigt, nicht nur während seines Theologiestudiums, sondern weil ihn das Thema interessierte und besonders, seitdem er sich auf seine Aufgaben in Algerien für die Missionierung der Muslime vorbereitete.
»Was ist denn der Unterschied zwischen einem 'Nab?' und einem 'Rasul'?« wollte Jean alias Caspar wissen. Habib und Cornelius tauschten Blicke aus, so als wollten sie von einander wissen, wer antworten sollte. Dann fühlte sich aber Habib doch für den Autorisierteren.
»'Rasul', das ist der besondere Übermittler einer Botschaft. Ein 'Nab?' ist kein 'Rasul', denn er verbreitet nur eine Botschaft Allahs - gepriesen sei sein Name. Ein 'Rasul' ist immer ein 'Nab?', aber nicht jeder 'Nab?' ist ein 'Razul'. ?s? ibn Maryam, Jesus, der Sohn Marias ist ein 'Rasul', denn - Allah - gepriesen sei Er - hat ihm die Botschaft Eueres Evangeliums als besonderes Buch übergeben. Für uns Muslime ist es allerdings wichtig, dass unsere Heilige Schrift, der Koran, eine direkte, göttliche Offenbarung an Muhammad - Segen und Friede auf ihm – ist. Damit wurde unser Buch direkt von Gott selbst geschrieben und uns als sein wahres Wort übergeben. Im Gegensatz dazu sind die Thora und eure Evangelien nur von Gott inspiriert aber von Menschen geschrieben.«
Und Belhadji, der offensichtlich gut im Koran bewandert war, fuhr fort:
»Allah - der Barmherzige und sich Erbarmende - hat in seinem Heiligen Buch, unserem Koran ihn, ?s? ibn Maryam, als einzigen, Gottes Geist genannt. Da unser Koran das wahre und direkte Wort Gottes ist, wird das von uns niemals angezweifelt. Abraham ist der Freund Gottes, Moses, der von Gott Angesprochene und Muhammad – Friede sei mit ihm - der letzte Gesandte. Nur Isa wurde durch den Geist und das Wort Gottes erschaffen und war Maryam durch den Engel Gabriel verkündet worden. Er ist Gottes einmaliges und unmittelbares Geschöpf. Er wurde, wie Adam, nicht von Menschen, sondern von Gott geschaffen, um seine besondere Botschaft allen Menschen zu vermitteln. Er wollte für sein Volk, die Juden, der letzte 'Nab?' und 'Rasul' sein, um sie zurück auf den rechten Weg zu bringen. Unabhängig davon, werden wir alle durch die Worte und Taten ?s?s aufgefordert, uns bedingungslos Gott hinzugeben und ihm zu dienen. ?s? gebührt tatsächlich der Ehrentitel 'Sohn Gottes', denn er ragt heraus aus den vielen Söhnen und Töchtern Gottes, die Allah - gepriesen sei Er - im Himmel anbeten. Darum verehren auch wir Muslime ?s?, nur in einer anderen Weise als Ihr Christen, denn der Koran macht ihn für uns durch seine Botschaft der bedingungslosen Liebe zu Gott, zu einem einmaligen und besonderen Gesandten Gottes.«
Cornelius hob seine Hände, er hatte seine Handflächen wie im Gebet nach oben gewandt und murmelte kaum hörbar: »Kein einziger Nachkomme Adams wurde geboren, ohne dass ein Dämon ihn im Augenblick seiner Geburt berührte. Wen der Dämon berührt, der stößt einen Schrei aus. Darin hat es nie eine Ausnahme gegeben, außer bei Maria und ihrem Sohn.«
Habib saß da wie Cornelius, hatte aber die Augen geschlossen, der schmale Schädel war auf seine Brust gesunken, in der sich sein Spitzbart vergrub. Er sprach wie zu sich selbst: »Ihr habt recht, junger Freund und Gelehrter im Herrn diese Aussage Muhammads – alle Weisheit mit ihm – kennen wir alle. Es ist ein Hadith in unserer Sunna.«
Cornelius war in diesem Augenblick ziemlich stolz auf sein fabelhaftes Gedächtnis und genoss im Geheimen die Verwirrung, die er bei Habib mit seiner Kenntnis des Islam ausgelöst hatte. Belhadji schwieg ein Weile, so als ob er müde geworden war. Als er dann wieder sprach, war es wie ein Abendgebet:
»Meine lieben jungen Freunde, es ist spät geworden. Lasst uns den Abend beschließen und gemeinsam bekennen: »Es existiert keine Macht, die es wert ist, angebetet zu werden, außer Gott. Morgen früh ist ein neuer Tag, in š? All?h. Beim Frühstück haben wir vielleicht Lust unser Gespräch fortzusetzen?«
Die aufgehende Sonne stand noch tief unten am Horizont, ihre ersten Strahlen flimmerten flach über das Wasser und reflektierten sich in jeder kräuselnden Welle. Eine atemberaubende Kulisse, wie sie nur die ungehinderte Weite des Meeres erlaubt. Es fröstelt Cornelius und Caspar, obwohl sie sich während der Nacht in ihre wollenen Burnusse auf dem dicken Teppich eingerollt hatten. Sie rieben sich die Augen und hörten ein leises Murmeln vom Vordeck. Aus den Augenwinkeln sahen sie Habib Belhadji, der mit seiner Mannschaft, gen Osten blickend, tief gebeugt auf den Knien, das erste Tagesgebet verrichtete. Bald vernahmen sie ein leises Glöckchen, das sie in die Kabine rief. Da war das Frühstück aufgetischt, nein, das war ein wahres Frühmahl, so reichhaltig, vielseitig und lukullisch verlockend. Der Koch hatte an diesem Morgen mehr Zeit zum Zubereiten gehabt als am Tag ihrer Abreise. Er war ihnen noch nie bewusst zu Gesicht gekommen, musste aber schon sehr früh aufgestanden sein. Duftender Reis, würziges Safranhühnchen, allerlei Gemüse, natürlich frischgebackene Brotfladen und sogar wieder ihr geliebtes Falafel. Zur bekömmlichen Verdauung wurde aus bauchiger Messingkanne Tee mit langer Zotte wundervoller Ceylontee überschwänglich in feine Becher gegossen. Cornelius und Caspar konnten kaum glauben, dass sie auf einem kleinen Segelschiff irgendwo auf dem Mittelmeer trieben. Wo war nur der Platz für solch eine Küche, wo all diese Köstlichkeiten zubereitet werden konnten. Sie sahen immer nur den Adlatus des Kochs, der in einer Ecke der Kabine saß und möglichst unauffällig zu bleiben versuchte, aber immer zur Stelle war, wenn er gebraucht wurde. Dafür hatte er, ohne gerufen zu werden, ein Gespür.
Sie ließen sich über eine Stunde Zeit mit dem Frühstück bei oberflächlicher Konversation. Als dann die Überreste des Mahls mit den kleinen Tischen beiseite geräumt waren, man sich bequem in seinen Kissen zurückgelehnt hatte, nahm Belhadji ein Buch zur Hand, das die ganze Zeit schon neben ihm gelegen haben musste, und schlug es auf. Er knüpfte tatsächlich an den Gesprächsfaden des vergangenen Abends wieder an. Seine sonst ebenen Gesichtszüge legten sich in gespannte Falten.
»Ich habe schon gestern Abend feststellen dürfen, dass Ihr einen festen Glauben mit konkreten Vorstellungen habt. Darum denke ich, dass wir über den Tod und die Auferstehung Eures Herrn Jesu disputieren können, so wie darüber in unserem Heiligen Buch, dem Koran berichtet wird, allerdings ganz anders, als in Euren Evangelien. Ich denke, diese andere Version wird Euch interessieren und unser Gespräch anregen. So wurde es uns von Allah persönlich - dem Barmherzigen und Erbarmenden sei Ehre und Dank - durch Muhammad mitgeteilt - Friede sei mit ihm. Ich zitiere Euch aus Sure 4: „Sie hatten ihn aber nicht getötet, und sie hatten ihn nicht gekreuzigt, sondern es erschien ihnen eine ähnliche Gestalt. Diejenigen, die über ihn uneins waren, waren im Zweifel über ihn. Sie hatten kein Wissen über ihn, außer dass sie Vermutungen folgten. Und sie hatten ihn mit Gewissheit nicht getötet, sondern Gott hat ihn zu sich erhoben. Gott ist mächtig und weise“. Ich merke an Euren Gesichtern, Ihr seid mit dieser Wahrheit nicht einverstanden. Bevor wir darüber diskutieren, bitte ich noch den Inhalt einer anderen Sure lesen zu dürfen, die sich auch mit ?s?s Tod beschäftigt. Diese Aussagen werden uns bestimmt hilfreich sein: “Ich werde Dich abberufen und zu mir erheben und Dich von denen, die ungläubig sind, rein machen“. Ihr hört, hier wird berichtet, dass ?s? ibn Maryam nicht gestorben ist, sondern im Gegenteil von Gott erhöht wurde. Allah – gepriesen sei Er – hat damit ein weiteres Wunder an ihm bewirkt, wie schon bei seiner Geburt. Ich muss aber gestehen, dass diese Textstelle bei vielen unserer Schriftgelehrten über die Jahrhunderte für Verwirrung gesorgt hat und ganz unterschiedlich ausgelegt wird.«
Für eine sehr lange Weile lag eine große Stille im Raum, nur der Wind knatterte in den Segeln und die Wellen rieben sich am Bug. Das Schweigen schien in diesem Moment beinahe zu erdrücken. Das stöhnende Atmen Caspars war für die Umsitzenden nicht zu überhören. Cornelius fiel kein Konsens mehr ein, wie er das noch am vergangenen Abend schaffte. Natürlich kannte er diese, für die Christen kritischen Sätze aus dem Koran. Das machte die Aussage aber nicht einfacher, milderte nicht die Schwere dieser unglaublichen Provokation, die er und, wie er wusste, auch Caspar aus tiefstem Herzen empfanden. Diese Passagen, die er während des Koranstudiums