Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler
Читать онлайн книгу.hellen Burnusse ihres Ordens, der Kleidung der einheimischen Bevölkerung angepasst, waren nach der langen Karrenreise verstaubt, dies war aber nicht ungewöhnlich bei Reisen auf sandiger Landstraße. Sie hatten aber bisher vermieden, ihm zu erzählen, wo sie herkamen, wo die Eltern lebten. Und es schien ihn auch nicht besonders zu interessieren.
»Wir brauchen nicht auf das Verladen der Teppiche zu warten. Lasst uns schon zum Schiff gehen. Dort ist es gemütlicher als hier, und der Koch hat bestimmt schon etwas angerichtet. Überhaupt, wie unhöflich von mir, Ihr habt doch bestimmt noch nicht gefrühstückt?«
Sie konnten es einfach nicht fassen, wie viel Glück sie da gefunden hatten, sozusagen, auf offener Straße.
Der Einmaster war kein sehr großes Schiff. Der wichtigste Raum war im Inneren für die Fracht bestimmt. Auf Deck gab es einen Aufbau mit einer einzigen geräumigen Kabine, die ganz offensichtlich für Habib reserviert war. Besondere Möbel sahen sie keine, alles spielte sich auf dem Boden ab, der mit einem dicken Berberteppich ausgelegt war. Natürlich waren Schuhe in diesem Raum tabu. Sie setzen sich auf Kissen und vor ihnen wurden allerhand Häppchen aufgebaut. Ein Gericht schmeckte ihnen besonders gut, kleine frittierte Bällchen, die sie zusammen mit frischgebackenen Brotfladen munter mit den Fingern in den Mund schoben. Auf ihre Frage erklärte ihnen ihr Gastgeber, das sei Falafel aus Kichererbsen mit Cumingewürz. Da erinnerten sie sich an den Kräuterhändler vom Vortag, der ihnen das Gericht mit dem typischen Gewürz so warm empfohlen hatte. Besonders ließen sie sich große Stücke frischer Melonen und Orangen schmecken. Ovale, dünn aufgeschnittene und geröstete Gemüsescheiben, die nur gesalzt in Olivenöl lagen, vermieden sie lieber nach der ersten Kostprobe. Ihr Gastgeber nannte das Gemüse „Auberginen“. Den stark gesüßten, duftenden Pfefferminztee mochten sie dagegen sehr. Er erwärmte so schön den Magen. Es war um diese Tageszeit auf dem Wasser noch immer recht kühl. Cornelius und Caspar hatten so richtig bei diesem Frühstück geschwelgt.
Das Essen hinterließ Spuren auf ihrer Kleidung. Sie waren nicht so geschickt wie der Berber, der mit den Brotfladen Gemüse und Fleisch umhüllte, in Soße tauchte und zum Mund führte. Die Tropfen vom Essen begannen bereits bei den Schüsseln vor ihnen und zeigen in ihre Richtung. Das störte sie aber wenig. Der erste Hunger war gestillt und Habib übersah mit Nachsicht die Flecken. Nach einer Malzeit war der Tisch sowieso nie mehr sauber. Später wurde alles beseitigt und aufgeräumt. Nachdem nun das Mahl zu Ende war, glaubte der hagere Mann das Schweigen brechen zu können.
»Ihr seid jung und könntet meine Söhne sein. Sagt mir, Pierre und Jean, was ist für euch das Wichtigste im Leben? Vielleicht Reichtum, Macht, Ruhm, Erfolg, Ansehen, Glück oder was sonst? Mich beschäftigt diese Frage immer wieder. Ich könnte mir vorstellen, dass so etwas von Juden, Christen oder Muslimen unterschiedlich beurteilt wird. Hier in unserem Land sind ja alle drei Religionen zu Hause. Ich bin ein Anhänger des Propheten Muhammads - Friede sei mit ihm - und ich nehme an, Ihr seid Christen?«
„Der Berber scheint für Überraschungen gut zu sein, das könnte eine interessante Segelpartie werden“, dachte Cornelius. Er hielt sich, als der Ältere von beiden, für zuerst angesprochen, zumindest blickte Habib gespannt in seine Richtung.
»Unser Leben ist viel mehr wert, als was wir wirklich daraus machen. Ich suche in erster Linie die Zufriedenheit, damit spielt Reichtum, Macht, Ruhm, Erfolg, Ansehen, oder was Ihr sonst noch meint, gar nicht mehr eine so herausragende Rolle. Wahre Zufriedenheit kann nur von Gott kommen.«
Caspar nickte heftig zur Bestätigung in Richtung seines Bruders. »Ja, und wenn man zufrieden ist, dann spielt eigentlich alles andere keine Rolle, oder es kommt von selbst. Bruder, du hast vollkommen Recht, alles liegt in Gottes Hand und darum sollen wir ihn und seinen Sohn über alles lieben.«
Habib saß vor ihnen in der Hocke. Er beugte seinen Oberkörper nach vorne und schien gleich umzufallen, so gespannt war er.
»He, ich muss gestehen, das ist eine gute Einstellung. Ehrlich gesagt, das hätte ich von so jungen Leuten, wie Euch, nicht erwartet. Was in unseren Moscheen, und wahrscheinlich ebenso in den Synagogen der Juden und auch in Euren Kirchen gesagt, gelesen und gehört wird, ist immer von Gott gekommen. Ja, ja, wir müssen sein Wort nur richtig auslegen und befolgen, jeder in seiner eigenen Religion und wir alle zusammen.«
Auf langem Hals wog sein schmaler Kopf mit dem kecken Kufi hin und her, was ein wenig komisch ausschaute. Offensichtlich dachte er angestrengt nach.
Cornelius erwartete wieder ein 'He' zur Einleitung seines nächsten Satzes, aber dieser Ausruf kam diesmal nicht.
»Ich möchte Euch von einer Sufi-Heiligen und deren Liebe zu Gott erzählen: „Man sah R?bi ah al-Basr? in den Straßen von Basra mit einem Eimer in der einen Hand und einer Fackel in der anderen. Gefragt, was das bedeute, antwortete sie: „Ich will Wasser in die Hölle gießen und Feuer ans Paradies legen, damit diese beiden Schleier verschwinden und niemand mehr Gott aus Furcht vor der Hölle oder in Hoffnung aufs Paradies anbete, sondern einzig und allein aus Liebe zu Ihm“.«
Das Schiff hatte in der Zwischenzeit unbemerkt abgelegt, die Segel waren gebläht und man kreuzte kräftig gegen die Wellen. Der Tag verlief im Nichtstun. Habib Belhadji blieb in seiner Kabine. Eine Unterhaltung mit der Mannschaft war nicht möglich, wie sie schnell herausfanden, denn die sprachen nur Arabisch. Also versuchten sie sich den Strahlen der Sonne so gut es ging zu entziehen, indem sie ihre Position immer wieder in den Schatten des Segels verlegten. Der frische Wind spendete angenehme Kühle.
Erst am frühen Abend wurden sie in die Kabine gerufen, in der inzwischen eine Laterne für ausreichend Licht sorgte und Gemütlichkeit verbreitete. Diesmal war vor ihnen auf dem Boden ein niederer, ausladender Messingtisch aufgestellt worden, auf dem in der Mitte mehrere bunt bemalte, noch geschlossene, tönerne Schüsseln standen. Sobald die hübschen, pagodenförmigen Deckel abgehoben wurden, verbreitet sich ein köstlicher Duft im ganzen Raum.
Fröhlich verkündete der Gastgeber: »Lasst Euch unsere Tajine, den leckeren Couscous und den Lahn Labou schmecken.« Dabei deutete er von einem Gericht zum anderen. »Es ist genug für uns alle da.« Er merkte, wie die beiden jungen Männer neugierig den Inhalt der Schüsseln beäugten und begann sich über deren Verhalten zu wundern, was an diesen, für ihn so alltäglichen Gerichten, so besonderes sein sollte. Auch Cornelius und Caspar fühlten sich nicht ganz wohl, denn ihre Gaumen waren nicht wirklich auf Überraschungen eingestellt. Sie realisierten immer deutlicher, wie eingesperrt sie im Ordenshaus gewesen waren. Die eintönige Küche dort hatte keine landestypischen Kulinarien hervorgebracht.
»Ihr benehmt Euch gerade so, als ob Ihr unsere einfache, einheimische Küche nicht kennt. Wie kann das denn sein?« Das Gesicht des Berbers spiegelte eine gelinde Mischung von Ungläubigkeit, Verwunderung, ja sogar einen Hauch von Misstrauen, was er sich allerdings nicht so recht erklären konnte.
»Also wisst Ihr« versuchte Cornelius zu erklären, »wir sind ja erst so kurz in Eurem schönen Land und unsere Eltern waren schon komische, altmodische Menschen, die glaubten, nur das Beste kommt aus der Heimat. Französische Küche geht ihnen über alles, vom Rest würde man, ihrer Ansicht nach, nur krank. Wir haben schon gemerkt, werter Herr, Ihr seid wirklich ein Menschenkenner. Euch bleibt auch gar nichts verborgen.«
Cornelius hatte die Augen gesenkt, denn er schämte sich seinen groß-zügigen Gastgeber fortwährend hinters Licht führen zu müssen. Er war nahe daran mit der ganzen Wahrheit herauszurücken. Beide mussten sich richtig hüten, dass sie sich nicht verrieten oder noch schlimmer, in einer überschwänglichen Stimmung, einem Anflug von Sentimentalität, ihre wahre Identität preisgaben.
Wenn sich auch Cornelius und Caspar etwas seltsam benahmen, was das Essen betraf, so waren sie Habib für ein gutes Gespräch doch zwei willkommene Gäste. Sie legten eine gewisse Lebensklugheit an den Tag und waren überraschend gut in religiösen Angelegenheiten bewandert. Freilich ahnte er nicht, dass vor ihm zwei auf Probezeit, durchgebrannte und frustrierte Ordensbrüder saßen.
Habib hatte Lust an das gemeinsame Gespräch vom Morgen anzuknüpfen und da war für ihn die Person Jesu ein favorisiertes Diskussionsthema besonders mit Christen. Er blickt seine beiden jungen Tischgenossen aufmerksam an und begann:
»Warum winkt Ihr Christen