Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani

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Der asiatische Archipel - Ludwig Witzani


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dann immer deutlichere Sehnsucht nach Zuhause. Wahrscheinlich wirkt das Neue und das Fremde bei den meisten Menschen zunächst mitreißend, dann interessant und schließlich, wenn man nur lange genug unterwegs gewesen war, nur noch anästhesierend gegenüber einem immer drängender hervortretenden Wunsch nach Heimkehr – bis auch diese Wirkung nachlässt und man sich um das Rückflugticket bemüht.

      Rike war zweifellos eine typische „Heimweh-Anfällige“. Man konnte an ihr einen paradoxen Zug beobachten, der mir an Heimweh-Anfälligen schon oft aufgefallen war: ein demonstrativ vor sich hergetragenes Fernweh, das wie eine Beweis dafür benutzt wurde, dass man in Wahrheit mit Heimweh überhaupt nichts am Hut hat. Die Reisen dieser Heimweh-Anfälligen besitzen also eine kompensatorische Motivation, sie gleichen der Weltexplorierung von Kleinkindern, die mit klopfenden Herzen Wohnung und Garten erkunden, ohne die Mutter jemals aus den Augen zu verlieren. Wenn solche Personen dann aber wirklich einmal in Situationen geraten, in denen ihnen die Erlösung vom Heimweh, die Heimkehr, verwehrt wird, reagieren sie hilflos. Wie Max Dauthendey, der bekannteste Heimweh-Anfällige der weltweiten Reiseliteratur, der in Java an Heimweh elend zugrunde ging.

      ***

      Max Dauthendey (1867-1918) war ein extravertierter naturalistisch-impressionistisch veranlagter Autor der Belle Epoche, der kurz nach der Jahrhundertwende Theaterstücke, Novellen und Romane mit einem gewissen Erfolg veröffentlichte. Seine Gedichte wurden von Stefan George gelobt, seine Novellensammlungen „Lingam“ und “Die acht Gesichter vom Biwasee“ werden noch heute gelesen. Trotzdem kämpfte er Zeit seines Lebens mit finanziellen Schwierigkeiten, vor allem, nachdem er das väterliche Erbe durchgebracht hatte (unter anderem durch den Plan einer Kommunegründung in Mexiko, der sofort nach der Ankunft fallengelassen worden war). Wie viele Künstler seiner Zeit war er der Meinung, dass es die vornehmste Pflicht seiner Mitbürger sei, ihn und seinesgleichen materiell so hinreichend zu versorgen, dass sie, die Künstler, ihren Dienst an der Menschheit unbeeinträchtigt weiterführen konnten.

      Das ungefähr war der Hintergrund von Max Dauthendeys zweiter Südseereise, von der er sich neue Anregungen für seine literarische Produktion versprach. Für die Kosten dieser Weltreise kamen sein Verlag und die Reederei auf, eine bescheidene frei verfügbare Reisekasse hatte sich Dauthendey vorher zusammengeliehen.

      Ende April 1914 reiste Dauthendey von Würzburg zum Mittelmeer und schiffte sich in Genua auf dem Dampfer „Goeben“ ein. Erfreut lauschte Dauthendey dem Kapitän, der enthusiastisch die Schönheiten der Südsee lobte. „Man sei abwechselnd in die Steinzeit, gerade in die Urwelt versetzt und dann wieder in der Kultur. Es ist gerade das, was ich so sehnsüchtig suche, ein wenig paradiesische Urwelt ohne Kultur“ berichtete Dauthendey am 30.4.1914 in einem Brief an seine Frau Annie Dauthendey.

      Schon am Ende der ersten Maiwoche durchquerte die „Goeben“ den Suezkanal, am 14. Mai beschrieb Dauthendey seiner Frau die Reiseeindrücke aus Colombo („schwüle, dunstige , schwere Luft aus den laubreichen großen Bäumen.“). Dann erreichte die Goeben in der letzten Maiwoche die große Insel Java, das Herz von „Niederländisch-Ostindien“. Dauthendey gab sich weiter wie ein Feinschmecker, der die Reize der Tropen kostete, er schilderte die Schönheiten der Reisfelder, die Klarheit der Luft nach dem Regen und die pittoreske Absonderlichkeit der Menschen.

      Doch schon kurz nach der Ankunft in Java bedrängen ihn böse Vorahnungen. “Mein Boy in Bavaria im Hotel hatte die Nummer 13“, schrieb Dauthendey an seine Frau. „Mein Touristenbillet hat Nummer 13. Auf der Herreise im Schiff war auch alles 13.“

      Man sieht: Dauthendey war leicht entflammbar und ebenso enttäuschungsbereit. Im Grunde war er ängstlich, zögerlich und sprunghaft. Deswegen kamen ihm schon bald Zweifel an der Sinnhaftigkeit seiner Reise, die er in seinen Briefen immer deutlicher zur Sprache brachte. Die Finanzen bereiteten ihm Kopfschmerzen, dann ereignete sich ein Erdbeben, „bei dem mein Eisenbett mit mir oben im Gebirge rasselnd durchs Zimmer tanzte.“ (11.6.1914). Schließlich verkündet er brieflich seine vorzeitige Rückkehr, nur um sich über Nacht dann doch wieder eines anderen zu besinnen. In einem kurzen Zusatz vermerkt er am 12. Juni: “Ich reise nun doch nach Neu-Guinea weiter und komme erst im Herbst (September) nach Europa.“

      In der zweiten Junihäfte und im Juli hält sich Dauthendey in Papua-Neuguinea auf und ist nicht begeistert, über das, was er sieht. „Außer Menschenfresserdörfern gibt es hier nichts“, bemerkt er trocken in einem Brief am 30.6.1914.

      Zwei Tage vorher hatten serbische Terroristen den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajewo ermordet. Davon wusste zu dieser Zeit noch niemand etwas im fernen Osten.

      Dann aber drangen die Weltnachrichten doch durch und zeigten drastische Folgen. „Ich war auf dem Rückweg von Neuguinea nach Java begriffen, als der Krieg uns am 6. August überraschte“, schrieb Dauthendey am 23. August 1914 an Jenny und Arnold Villinger. Obwohl die Reisegesellschaft zeitweise auf den Molukken festgesetzt wurde, gab sich Dauthendey in seinen Briefen souverän und tat so, als ginge das normale Leben weiter. „Ambonia liegt sehr schön auf einer hügeligen Insel“, schrieb er am 23. Augst 1914. „Wir ankern in einer großen Bucht. Es sind schöne Spazierwege an Land. Der Ort ist nur klein, wie eine liebenswürdige Gartenstadt unter Palmen sieht er aus. Es sind zwei Moscheen und zwei Holzkirchen da, und alle Häuser sind hell und haben nur Erdgeschoss und eine Veranda rundum und liegen in Gärten, die mit gelben und purpurnen Blätterbüschen lebhaft in der Sonne leuchten.“ (ebenda)

      Solche beschreibenden Passagen, in denen sich der Weltreisende Max Dauthendey demonstrativ über sein zagendes Herz erhebt und ganz Geist, ganz Auge wird, sollten bald seltener werden. Sie repräsentieren die erste Phase des Heimwehs, eine sich selbst betrügende Verdrängung, die sich darin gefiel, die Details der Exotik scheinbar wie ein Geist zu notieren, der über den Dingen schwebte.

      Nach einigen Wochen musste Dauthendey die Molukken verlassen. Zu seinem Verdruss wurde er auf der Überfahrt nach Sumatra im September 1914 von holländischen Offizieren schwer angegiftet. Auch das Wetter ging ihm auf die Nerven. „Es ist Regenzeit jetzt auf Sumatra. Und es regnet täglich jetzt grauer und schwerer als es in den Regensommern im Gutenberger Wald geregnet hat. Die Luft ist dabei beengend heiß und feucht,“ notierte Dauthendey am 30.9.2014.

      Dauthendey wartete weiter, besuchte das „Tobameer“ (den Tobasee in der Nähe von Medan in Nordsumatra), delektierte sich an den schönen Javanerinnen und versuchte sich abzulenken, so gut es ging. „Ich kann mit den Schwalben reden und mit den Vögeln und allen Dingen. Ich gehe in die Dörfer zu den Battakern, die noch vor zehn Jahren Menschenfresser waren, und spiele mit ihnen Schach“, berichtete Dauthendey seiner Frau im Herbst 1914.

      Wie es ihm wirklich ging, erfährt man in seinem Tagebuch. „Die gefährlichsten Stunden sind die, wenn die Sterne heranrücken. Die großen, blauen Sterne, die aus dem warmen Himmel herabsteigen, in die Menschenaugen, ins Menschenblut. Dann reden die Sterne alles, was man sich selbst verschweigen möchte. Sie sehen einen tiefer an als Menschenaugen. Man muss unter ihrem ewigen Licht zittern, mit allem Ewigen, was am Tag versteckt vor der Vernunft geruht hat, zittert man und wird erregt, und wer nicht vom Malariaschüttelfrost im Aderwerk eiskalt getroffen wird, wird noch fiebriger, vom Heimweh heiß und kalt durchschauert.“ Dann, nur wenige Zeilen später wird er noch deutlicher: „Oh, in diesen Abendstunden, untätig ins Dunkle gerichtet, voll Willenlosigkeit, voll vom Erwachen des Unbekannten im heranwachsenden Finstern in diesen weiten, unendlich weit ausholenden Stunden bin ich machtlos mich zu beherrschen und mein Heimweh zu verstecken. Die Brust weint mir. Die Zeitung zittert in meinen Fingern.“ Dauthendey spürte erschrocken, wie sich seine Befindlichkeit verändert und fügt hinzu „Es ist ein gefährlicher Überschwang ins Gefühl gekommen. Ungesund, verzehrend wie Malaria, singend fein und blutsaugend wie das Meer der Moskitos, die im Dunkeln schwärmen.“ (15.1.1915).

      Dabei war das Schicksal, dass Dauthenday ereilte ja beileibe nichts Ungewöhnliches. Zehntausende wurden in den Kriegen des Zwanzigsten Jahrhunderts an der Heimreise gehindert und unter oft erheblich härteren Bedingungen als die Dauthendey interniert. Fast vier Jahre saß Heinrich Harrer in einem indischen Gefangenenlager, ehe ihm die Flucht nach Tibet gelang. Fünf Jahre wurde der Orientalist Hans Overbeck während des Ersten Weltkrieges in Australien gefangen gehalten (Im Zweiten Weltkrieg sollte er auf einem holländischen


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