Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace
Читать онлайн книгу.Antwort unverzüglich zu Papier zu bringen.
»Ich danke Ihnen für Ihre Zeilen, die wohl ein Kompliment für mich bedeuten sollen, aber ich bedaure, Ihren Antrag nicht in Erwägung ziehen zu können.
Audrey Bedford.«
»Senden Sie das durch Eilboten ab!« sagte sie zu dem Portier.
Sie hatte einen Entschluß gefaßt, und am Nachmittag fuhr sie zur Curzon Street. Das Dienstmädchen erkannte sie nicht wieder und meldete sie Mrs. Elton als »Miß Audrey«.
Wenige Minuten später standen sich die beiden Schwestern gegenüber. Dora sah die Besucherin zornglühend an.
»Nur ein paar Worte«, sagte Audrey.
»Jede Sekunde, die du in meinem Haus verbringst, ist zuviel! Was willst du?«
»Ich möchte dich bitten, Marshalt aufzugeben, Dora.«
»Um ihn dir zu überlassen?«
»O nein, ich verachte ihn. Ich will nicht predigen, Dora, aber Martin ist doch nun einmal dein Mann, nicht wahr?«
»Ja, er ist mein Mann.«
Das klang so verzweifelt, daß Audrey unwillkürlich Mitleid fühlte und sich ihrer Schwester näherte. Aber Dora wich mit haßerfüllten Blicken von ihr zurück.
»Rühr mich nicht an, du Gefängnisdirne! Du willst, daß ich Marshalt aufgebe, daß ich ihn dir überlasse? Ach, wie ich dich hasse! Von jeher hab' ich dich gehaßt! Marshalt aufgeben? Ich werde ihn heiraten, sobald ich Martin los – sobald es soweit ist. Hinaus mit dir, Audrey Torrington!«
»Torrington!« wiederholte Audrey tonlos. Dann wandte sie sich ab, ging zur Tür hinaus und die Treppe hinab.
Aber nun geriet Dora außer sich.
»Du hinterlistige Diebin!« schrie sie. »Dich will er heiraten! Aber das soll niemals geschehen – nie!« Im Nu hatte sie aus einer an der Wand befestigten Waffentrophäe einen langen Dolch herausgerissen und stieß zu. Audrey duckte sich instinktiv, und der Dolch fuhr in den Türpfosten. Dora zog ihn heraus und stieß wieder zu. In ihrer Todesangst strauchelte Audrey und fiel.
»Jetzt hab' ich dich!« kreischte Dora wie wahnsinnig und hob die Waffe.
Aber plötzlich packte jemand ihr Handgelenk. Sie fuhr herum und starrte in ein Paar belustigte Augen.
»Wenn ich eine Filmaufnahme unterbreche, tut es mir leid«, sagte Slick Smith. »Aber vor Stahl habe ich Angst – richtige Angst!«
Slick Smith führte die fassungslose junge Frau nach oben, brachte ihr ein Glas Wasser und sprach beschwichtigend auf sie ein.
»Daß sich die Frauen doch immer wieder über irgendeinen Mann bei den Haaren kriegen! Und dieses Mädchen scheint so nett zu sein. Sie ging doch ins Gefängnis, um Sie zu retten?«
Erst jetzt kam Dora zum Bewußtsein, daß er ein Fremder für sie war.
»Wer sind Sie?« fragte sie mit stockender Stimme.
»Ihr Mann kennt mich. Ich bin Smith – Slick Smith aus Boston. Verehrte Mrs. Elton – er ist es nicht wert!«
»Nicht wert? Von wem sprechen Sie denn?«
»Von Lacy Marshalt. Das ist ein ganz übler Bursche – das müssen Sie doch schon gemerkt haben. Martin mag ich leiden, und es würde mir verdammt leid tun, wenn er gerade in dem Augenblick gefaßt würde, in dem er den Revolver auf sich selbst richtete. So was kommt vor. Und vielleicht würden Sie im Gerichtssaal sitzen, und er würde Ihnen zulächeln, wenn der Richter die schwarze Kappe aufsetzte, bevor er Elton nach der Totenzelle schickte. Und Sie würden wie gelähmt sein und daran denken, welch ein elender Kerl Marshalt war, und daß Sie beide Männer ins Grab gebracht haben.«
»Hören Sie auf! Sie machen mich verrückt –«
»Sie wissen nicht, was für ein Hundsfott dieser Marshalt ist –«
Sie hob abwehrend die Hand.
»Ich weiß ... bitte, gehen Sie jetzt!«
Als Slick Smith das Haus verließ, kam Elton gerade die Stufen herauf.
»Zum Teufel, was suchen Sie denn hier?« fragte er gereizt.
»Ich wollte Ihnen sagen, daß Sie sich in acht nehmen und nicht so leichtgläubig sein sollten. Das vortrefflich gemachte Geld, das Stanford Ihnen andrehen will, wurde auch mir angeboten. Giovanni Strepesi in Genua verfertigt es und hat schon eine Menge in Umlauf gesetzt, aber – als Nebengeschäft ist Einbruch weniger riskant, und Bakkarat eine wahre Sinekure.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden –« stammelte Martin.
»Und ich sage Ihnen, selbst der Schwindel von Malpas ist besser als Stanfords neue Liebhaberei!«
»Welchen Schwindel betreibt denn Malpas?«
Slick überlegte einen Augenblick.
»Ich weiß es nicht genau. Aber ich rate Ihnen, nie allein zu ihm ins Haus zu gehen! Ich sah ihn einmal – aber er bemerkte mich nicht. Deshalb bin ich noch am Leben, Elton.«
16
Am Sonnabendmorgen saß Marshalt in seinem Studierzimmer am Schreibtisch, als Tonger ihm ein Paket Briefe brachte. Der Millionär sah sie rasch durch.
»Wieder nichts dabei von unserem Freund aus Matjesfontein«, sagte er dann unmutig. »Seit vier Wochen hat der Kerl nichts von sich hören lassen!«
»Vielleicht ist er tot«, meinte Tonger.
»Es könnte ja auch sein, daß Torrington etwas zugestoßen wäre.«
»Sie sind ein Optimist, Lacy!« spottete Tonger, wurde dann aber nachdenklich. »Vielleicht kann er doch nicht schwimmen«, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu.
Lacy blickte rasch auf.
»Was soll denn das heißen?«
»Die Kinder eines königlichen Kommissars sollten eigentlich auch schwimmen können«, fuhr Tonger fort. »Oder wenn sie es nicht können –«
Lacy schwang sich auf seinem Stuhl herum.
»Jetzt hab' ich aber dein Gefasel satt!« rief er ungeduldig. »Sage jetzt gefälligst, was du meinst.«
»Na, vor ungefähr anderthalb Jahren nahmen die Kinder von Lord Gilbury ein Segelboot und fuhren in die Tafelbai hinaus. Hinter dem Wellenbrecher kenterte das Boot, und sie wären ertrunken, wenn nicht einer der Sträflinge, die dort arbeiteten, ins Wasser gesprungen und hingeschwommen wäre. Der hat sie gerettet.«
Lacys Mund stand weit offen.
»War das Torrington?« fragte er leise.
Tonger zuckte die Schultern.
»Ein Name wurde nicht genannt. In den Zeitungen stand nur, daß der Sträfling lahm war, und daß man von einer Begnadigung spräche.«
Wütend sprang Lacy auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Natürlich! So muß es sein!« stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Er ist frei, und seine Rechtsanwälte halten es geheim. Und du hast es die ganze Zeit gewußt, du Hund!«
»Gewußt habe ich nichts«, erwiderte Tonger gekränkt. »Vermutet habe ich es allerdings. Aber glauben Sie, Dan Torrington würde Sie in Frieden lassen, wenn er ein freier Mann wäre? Und warum sollte ich Ihnen mit solchen Gerüchten Angst machen? Ich weiß, daß ich Ihnen viel Dank schuldig bin, Lacy, und ich kenne Ihre guten und Ihre schlechten Seiten. Und ich hab' wahrhaftig keinen Grund, Torrington zu lieben. Wollte er nicht gerade an dem Tag, an dem Sie ihn faßten, mit meiner kleinen Elsie auf und davongehen?« Er griff in die Tasche und holte einen zerlesenen Brief hervor. »Die ganzen Jahre hab' ich ihn mit mir herumgetragen. Es ist der erste Brief, den sie mir aus New York schrieb. Hören Sie zu:
›Liebes Väterchen, ich möchte Dir doch sagen, daß ich ganz zufrieden