Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace

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Edgar Wallace - Gesammelte Werke - Edgar Wallace


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zufrieden bin? Ich habe hier in der Riesenstadt neue Freunde gefunden, und mit dem Geld, das mir Torrington gab, habe ich ein ganz einträgliches, kleines Geschäft gegründet. Nach Jahren, wenn alles vergessen ist, werde ich zu dir zurückkehren.‹«

      Vorsichtig legte er das dünne Blatt wieder zusammen und schob es in die Tasche.

      »Nein, ich habe keinen Grund, Torrington zu lieben«, sagte er, »aber viel Grund, ihn zu hassen.«

      »Haß ist Furcht«, murmelte Lacy. »Du fürchtest ihn auch.«

      Unruhig ging er im Zimmer auf und ab.

      »Mrs. Elton sagt, sie hätte einen hinkenden Mann gesehen –«

      »Ach was! Solche Damen sind immer nervös und sehen alles mögliche –« Er unterbrach sich plötzlich, denn es klopfte dreimal gedämpft, aber deutlich an die Wand.

      Lacy blieb stehen und wurde totenbleich.

      »Was – was ist das?« flüsterte er mit zitternden Lippen.

      »Ach, irgendein Gehämmer. Vielleicht hängt der alte Mann Bilder auf.«

      Lacy feuchtete seine trockenen Lippen mit der Zunge an und riß sich zusammen.

      »Du kannst gehen. Heute nachmittag mußt du aber nach Paris fahren.«

      »Nach Paris? Was soll ich in Paris – ich kann doch kein Wort Französisch, und Seefahrten bekommen mir nicht. Schicken Sie doch jemand anders!«

      »Es muß ein Mann sein, auf den ich mich verlassen kann. Ich werde Croydon anrufen, damit sie ein Flugzeug bereithalten. Dann kannst du noch vor Einbruch der Nacht zurück sein.«

      »Flugzeuge sind auch nicht mein Geschmack! Wann komme ich denn zurück – wenn der Fall überhaupt eintritt?«

      »Um zwölf fliegst du ab, um zwei bist du in Paris, gibst den Brief ab, und um drei bist du schon wieder auf der Rückreise.«

      »Na, wenn es sein muß –« knurrte Tonger. »Wo haben Sie den Brief?«

      »In einer Stunde kannst du ihn dir holen.«

      Als Lacy allein war, meldete er erst ein Gespräch nach Paris an, ließ sich dann mit Stormers Detektivagentur verbinden und ersuchte, Mr. Willitt sofort zu ihm zu schicken. Darauf setzte er sich an den Schreibtisch und hatte seinen Brief gerade geschrieben und zugesiegelt, als Mr. Willitt auch schon gemeldet wurde.

      »Wenn ich nicht irre, sind Sie der Chef der Agentur?« begann Lacy sofort und deutete auf einen Stuhl.

      Willitt schüttelte den Kopf.

      »Nur Stellvertreter. Mr. Stormer verbringt seine Zeit meistens bei unserer New Yorker Zweigagentur. In Amerika nehmen wir eine viel bedeutendere Stellung ein und werden oft mit Regierungsaufträgen betraut. Hier in England –«

      »Ich habe einen Auftrag für Sie«, fiel ihm Lacy ins Wort. »Haben Sie schon einmal von einem gewissen Malpas gehört?«

      »Von dem alten Mann, der nebenan wohnt? O ja! Wir wurden bereits ersucht, seine Persönlichkeit festzustellen – unsere Auftraggeber möchten eine Photographie von ihm haben.«

      »Wer sind die Leute?«

      »Das kann ich Ihnen leider nicht mitteilen.«

      Lacy holte ein Bündel Banknoten heraus, wählte zwei aus und schob sie dem Detektiv hin.

      »Hm.« Der Mann lächelte verlegen. »Vielleicht kann ich dieses eine Mal eine Ausnahme machen. Es handelt sich um einen gewissen Laker, der vor einiger Zeit verschwand.«

      »Laker? Den kenne ich nicht. Sind Sie denn an den alten Mann herangekommen?«

      »Nein, der lebt wie eine Auster.«

      Lacy überlegte eine Weile.

      »Ich wünsche, daß Sie ihn unausgesetzt bewachen. Beobachten Sie das Haus Tag und Nacht von allen Seiten. Stellen Sie auch einen Mann oben auf dem Dach meines Hauses auf.«

      »Dazu würde ich sechs Leute brauchen«, meinte Willitt und zog sein Notizbuch hervor. »Und was sollen sie tun?«

      »Ihm folgen und feststellen, wer er ist. Und wenn möglich, mir eine Photographie von ihm verschaffen.«

      »Von wann ab?«

      »Sofort. Ich werde veranlassen, daß der Mann, den Sie aufs Dach beordern, eingelassen wird. Mein Diener Tonger wird dafür sorgen, daß es ihm an nichts fehlt.«

      Der Detektiv empfahl sich, als sich das Pariser Telephonamt meldete, und Lacy Marshalt gab in geläufigem Französisch eine Reihe von Anordnungen.

      An dem Nachmittag desselben Tages machte Audrey einen Spaziergang im Green Park, wo es um diese Zeit immer sehr still und leer war. Es wehte jedoch ein so eisiger Nordwind, daß sie mitten auf der Brücke plötzlich umkehrte. Als sie an dem See entlangging, kam sie auch an einer Bank vorbei, auf der eine Frau weit zurückgelehnt saß und mit hintenübergebogenem Kopf zum Himmel starrte. Ihre Stellung war so unnatürlich und sonderbar, daß Audrey unwillkürlich anhielt, als auch ein anderer Spaziergänger stehenblieb.

      »Was mag mit der Frau sein?« fragte sie ängstlich.

      Der Mann trat rasch auf die Bank zu, und Audrey folgte ihm.

      Die Frau schien zwischen dreißig und vierzig Jahren alt zu sein. Ihre Augen waren halb geschlossen, Gesicht und Hände blau vor Kälte. Neben ihr lag eine kleine, silberne Reiseflasche ohne Stöpsel, aus der eine Flüssigkeit auf die Bank tropfte. Sonderbarerweise kam Audrey das Gesicht bekannt vor, aber sie konnte sich nicht darauf besinnen, wo sie die Frau schon gesehen hatte.

      Der Mann hatte seine Zigarre weggeworfen und hob den Kopf der Unglücklichen behutsam empor. Im selben Augenblick kam auch ein Schutzmann herbei.

      »Ist sie krank?« fragte er.

      »Sehr krank, fürchte ich«, erwiderte der Mann ruhig. »Miß Bedford, gehen Sie lieber fort.«

      Sie sah ihn verwundert an. Woher kannte er ihren Namen?

      »Gegenüber von der Horseguard-Wache steht noch ein Polizist«, sagte der Beamte zu Audrey. »Würden Sie so gut sein und ihm sagen, daß er die Unfallstation anrufen und dann herkommen soll?«

      Sie eilte davon, und erst als sie verschwunden war, erinnerte sich der Polizist an seine Vorschriften.

      »Ich habe ganz vergessen, nach ihrem Namen zu fragen! Kennen Sie die Dame vielleicht?«

      »Ja, es ist Miß Bedford«, erwiderte Slick Smith. »Ich kenne sie dem Aussehen nach. Wir haben eine Zeitlang im selben Büro gearbeitet.« Er griff nach dem silbernen Fläschchen, hob den Stöpsel vom Boden auf und schloß es sorgfältig. Dann überreichte er es dem Beamten.

      »Sie werden dies brauchen«, sagte er und setzte bedeutungsvoll hinzu: »An Ihrer Stelle würde ich niemand einen Schluck daraus tun lassen, mit dem Sie es gut meinen.«

      »Sie glauben, daß es Gift ist?« fragte der Mann erschrocken.

      »Riechen Sie es denn nicht? Wie bittere Mandeln – die Frau ist tot.«

      »Selbstmord?«

      »Wer weiß! Schreiben Sie sich lieber auch meinen Namen auf: Richard James Smith, der Polizei als Slick Smith bekannt. Ich stehe in den Registern von Scotland Yard. «

      Der andere Schutzmann erschien, und gleich darauf kam auch der Krankenwagen mit einem Arzt. Der Doktor erklärte sofort, daß die Frau durch Zyankali vergiftet und tot sei ...

      Dick Shannon hörte durch Zufall von diesem Ereignis, interessierte sich aber weiter nicht dafür, bis der mit dem Fall betraute Beamte zu ihm kam, um sich nach Slick Smith zu erkundigen.

      »Ja, ich kenne ihn: ein amerikanischer Schwindler und Dieb«, sagte er. »Hier hat er sich aber noch nichts zuschulden kommen lassen. Wer war die Frau?«

      »Unbekannt. Es scheint Selbstmord vorzuliegen.«


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