Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace
Читать онлайн книгу.irgendeinem Grund für notwendig, Sie zu beseitigen. Übrigens habe ich Sie Tag und Nacht von zwei eifrigen Leuten bewachen lassen. Haben Sie das nicht bemerkt?«
Nachdem er sie ins Hotel zurückgebracht hatte, fuhr er nach Hause und stieß vor seiner Tür auf Mr. Brown.
»Warten Sie hier auf mich?« fragte er.
»Ja, seit einigen Minuten. Haben Sie ihn gefaßt?«
Dick fuhr herum.
»Wen?«
»Nun, natürlich Malpas! Sie vergessen, daß Ihre Kanonade die friedlichen Bewohner von Regent's Park in fürchterliche Angst versetzt und lebhafte Reklame für Ihren Kampf mit dem Teufelskerl gemacht hat.«
»Teufelskerl? Kennen Sie Malpas?«
»Sehr genau, und Lacy Marshalt auch – noch besser als den verstorbenen Laker.«
»Kommen Sie mit mir hinauf«, erwiderte Dick, und Mr. Brown folgte ihm so lautlos, daß er sich umdrehte, um sich zu vergewissern, ob er auch hinter ihm wäre.
»Sie sprachen eben von Laker: wer ist das?«
»Ein Dieb und Trunkenbold. Obwohl er Malpas kannte, war er unvorsichtig genug, ihn in berauschtem Zustand zu besuchen – infolgedessen wurde seine Leiche kürzlich aus der Themse gefischt.«
»Meinen Sie den Mann, der am Embankment ins Wasser geworfen wurde?«
»Ja, das war Laker. Wundern Sie sich, daß es sogenannte Teufel in Menschengestalt gibt, die sich durch Mord einen Ausweg aus ihren Verlegenheiten suchen? Warum auch nicht? Begeht man einen Mord, ohne ihn zu bereuen, so sind alle weiteren nur eine natürliche Folge davon. Ich habe viele Mörder gekannt –«
»Gekannt!« wiederholte Dick bestürzt.
»Ja, ich habe lange Sträflingsjahre hinter mir. Mein eigentlicher Name ist Torrington, und ich war zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt, wurde aber begnadigt, als ich zwei Kindern das Leben rettete, und zwar den Kindern des höchsten Verwaltungsbeamten von Kapstadt. Aus diesem Grund hat man mir auch die Führung eines Passes unter falschem Namen gestattet.« Er lächelte flüchtig. »Ich gehöre sozusagen den privilegierten Klassen an. Und ich interessiere mich für Malpas, noch mehr allerdings für den verstorbenen Marshalt. Aber darüber brauche ich wohl keine weiteren Worte zu verlieren. Malpas ist gefährlich, Captain Shannon. Auf einen Mord mehr oder weniger kommt es ihm nicht an. An Ihrer Stelle würde ich ihn in Ruhe lassen.«
»Ein netter Ratschlag für einen Polizeibeamten!« meinte Dick lachend.
»Es ist ein guter Rat«, erwiderte Brown. »Wo mögen sie nur Marshalts Leiche hingebracht haben?« fragte er dann.
Dick zuckte die Schultern.
»Sie muß noch irgendwie im Haus versteckt sein«, entgegnete er ausweichend.
»Das glaube ich nicht. Ich habe einen Gedanken – aber ich habe schon zuviel gesagt. Kommen Sie mit und trinken Sie bei mir im Hotel noch einen Nachttrunk, Captain Shannon!«
Dick lehnte lächelnd ab.
»Aber dann bringen Sie mich doch wenigstens nach Hause?« fragte Brown. »Ich bin ein schwacher, alter Mann und bedarf des polizeilichen Schutzes.«
Dazu war Dick bereit. Unterwegs sah er, daß Mr. Torrington manchmal weniger hinkte. Es war, als ob er zuweilen vergäße, den Fuß nachzuschleppen. Schließlich machte Dick eine Bemerkung darüber.
»Ich glaube, das beruht auf Gewohnheit«, entgegnete Torrington unbefangen. »Ich hatte mir das Nachschleppen des Fußes so angewöhnt, daß es mir zur zweiten Natur geworden ist.«
Er spähte scharf um sich.
»Erwarten Sie, jemand zu sehen?« fragte Dick.
»Ja, ich sehe mich nach dem Schatten um. Er hat sich heute noch gar nicht blicken lassen.«
Shannon lächelte.
»Sie lieben es wohl nicht, beobachtet zu werden? Alle Achtung, daß Sie es bemerkt haben!«
Torrington schaute ihn groß an.
»Ach, Sie meinen den Polizisten, der mir folgt? Dort an der Ecke steht er. Nein, ich sprach von dem Mann, der auf Ihrer Spur ist.«
»Auf meiner Spur?«
»Wußten Sie das denn nicht? Du lieber Himmel, und ich dachte, Sie wüßten alles.«
23
Slick Smith wohnte in einem altertümlichen Haus in Bloomsbury. Er hatte dort das erste Stockwerk gemietet und nahm an der unmodernen Einrichtung keinen Anstoß. Im Gegenteil, die ewig gurgelnde Zisterne unter seinem Schlafzimmerfenster hatte etwas Beruhigendes und war eine bequeme Stufe für ihn, um über die Hofmauer zu gelangen. Auf diese Weise konnte er die Nebenstraße leichter erreichen, als wenn er die Treppe hinunter und durch die Haustür gegangen wäre. Welches Geschäft er eigentlich betrieb, wußte niemand im Haus. Nachts war er meistens außerhalb, und den größten Teil des Tages schlief er hinter verschlossenen Türen. Wenn ein Besucher kam, klingelte er nicht, sondern pfiff leise auf der Straße, worauf Slick selbst herunterkam und öffnete. Abends ging er im Frack aus und sprach in einer Bar oder einem eleganten Nachtklub vor, ohne eine Spur zu hinterlassen. Nacht für Nacht verfolgten ihn erfahrene Leute von Scotland Yard, aber stets verloren sie ihn an derselben Stelle aus den Augen, und zwar an der Ecke von Piccadilly Circus und der Shaftesbury Avenue, dem am strahlendsten beleuchteten Platz Londons.
An dem Abend, an dem Audrey nach St. Dunstan fuhr, saß Slick Smith in einem Nachtklub. Er lauschte der Musik des Tanzorchesters, als sich ihm ein kleiner Mann näherte und zaghaft einen Stuhl heranzog.
»Slick, im Astoria ist eine Dame mit enorm viel Ware abgestiegen –«
»Sie heißt Levellier und trägt das Zeug auf dem Leib, und jeder Mensch in London weiß es«, fiel ihm Smith ins Wort. »Interessiert mich nicht.«
»Aber im Hotel Imperial wohnt ein steinreicher Mann, der heute eine Diamanten-Tiara –«
»Tiara – ja, für seine Frau. Zwölfhundert Pfund. Er heißt Mollins, trägt einen Revolver und hat eine Bulldogge, die am Fußende seines Bettes schläft.«
Der Zuträger seufzte.
»Das ist alles, was ich weiß. Aber in den nächsten Tagen kommt ein Kerl aus Südafrika mit einem großen Vermögen –«
»Erzählen Sie mir alles, was Sie über den Kunden wissen!« sagte Slick plötzlich in verändertem Ton, legte die Hand auf den Tisch und bewegte sie scheinbar zufällig zu dem Mann hin. Dieser nahm die Banknote, die darunter lag, dankbar an sich.
Bald darauf ging Slick fort. Überall, wohin er kam, wiederholte sich dasselbe Spiel. Als er sich schließlich den Bücken der Leute von Scotland Yard entzog, hatte er nicht viel erfahren. Erst später sollte er neue Nachrichten hören.
Um zwei Uhr nachts schlich sich ein Vagabund zu den Hintergebäuden des Portman Square, und eine halbe Stunde später wurde Dick Shannon durch die Telephonklingel aus dem Schlaf geweckt.
»Hier Steel, Captain ... ich spreche von Nr. 551 aus, bitte, kommen Sie doch her. Hier ereignen sich die sonderbarsten Dinge.«
Eine Viertelstunde später stieg Dick vor Nr. 551 aus dem Auto. Steel und ein anderer Beamter erwarteten ihn in der offenen Haustür.
»Was ist denn geschehen?« fragte er, als sie in der Halle standen und die Tür geschlossen war.
»Um Mitternacht fing es an«, erwiderte Steel leise. »Es klang so, als ob jemand die Treppe hinaufginge. Wir saßen in Malpas' Zimmer und kamen heraus, konnten aber niemand entdecken. Beide können wir uns doch nicht getäuscht haben.«
»Sie haben es auch gehört?« fragte Dick den hünenhaften Polizisten.
»Ja – es lief mir ganz kalt über den Rücken –«
Er fuhr herum und starrte die Treppe hinauf. Auch Dick hörte es und schauderte