Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace
Читать онлайн книгу.Draht über dem Korken.
Audrey lachte.
»Ich habe lange keinen getrunken«, sagte sie.
»Solchen Sekt hast du wohl noch nie bekommen«, plauderte Dora heiter. »Martin ist ein Kenner.«
Der Propfen knallte, und sie füllte ein Glas, so daß der rosige Schaum überlief.
»Auf unser nächstes vergnügtes Beisammensein!« sagte sie und hob ihr Glas.
Audrey lachte leise und nippte.
»Du mußt aber austrinken!« rief Dora.
Ihre Schwester leerte das Glas mit feierlicher Miene.
»Ach«, sagte sie dann etwas bestürzt, »das schmeckt ja ganz bitter – fast wie Chinin. Aber ich verstehe wohl nicht viel von Wein.«
Eine halbe Stunde später kam das Hausmädchen unerwartet zurück.
»Ich dachte, Sie wollten ins Theater gehen?« fragte Dora scharf.
»Ich habe solche Kopfschmerzen bekommen«, erwiderte die Angestellte. »Leider konnte ich die Eintrittskarte, die Sie mir schenkten, nicht benützen. Aber wenn ich vielleicht bei Tisch aufwarten soll...«
»Wir sind schon fertig mit dem Essen«, entgegnete Dora. »Miß Bedford ist eben gegangen.«
Torrington warf seinem Besucher einen scharfen, prüfenden Blick zu und deutete dann stumm auf einen Stuhl.
»Wenn ich nicht irre, haben wir uns schon gesehen, Mr. Torrington«, begann Martin.
»Ich weiß genau, daß wir uns nie gesehen haben, obwohl ich Sie vom Hörensagen kenne. Legen Sie Ihren Mantel ab, Mr. Elton. Sie baten um eine Unterredung unter vier Augen, und ich habe sie aus verschiedenen Gründen bewilligt. Ich glaube, Sie sind ein Schwager meiner Sekretärin.«
Martin neigte den Kopf.
»Ja, unglücklicherweise.«
»Unglücklicherweise?« Der alte Herr zog die Augenbrauen hoch. »Ach, Sie meinen wegen ihrer Vergangenheit? Das arme Mädchen war ja wohl in einen Juwelenraub verwickelt.«
»Sie hatte die Diamanten bei sich, als sie verhaftet wurde.«
»So? Das ist ja schlimm! Natürlich wußte ich das, als ich die junge Dame anstellte. Sie wollen mich wohl vor ihren Ränken warnen?«
»Nein, ich komme aus einem ganz anderen Grund her, erwiderte Martin, der trotz Torringtons ernster Miene das Gefühl hatte, der alte Mann triebe seinen Spott mit ihm. »Verzeihen Sie mir, wenn ich ein sehr peinliches Thema berühren muß. Sie wurden vor Jahren in Südafrika wegen unerlaubten Diamantenhandels verurteilt –«
»Ja, ich war das Opfer eines der größten Schurken im Diamantengebiet, eines gewissen Lacy Marshalts, der jetzt tot ist.«
»Sie hatten eine junge Frau«, fuhr Martin zögernd fort, »und ein Kind – ein kleines Mädchen, das Dorothy hieß.«
Torrington nickte stumm.
»Ihre Frau war außer sich über die Schande, verschwand aus Südafrika und ließ nie wieder von sich hören, nicht wahr?«
»Doch, einmal schrieb sie.« Die Worte klangen wie ein Peitschenhieb.
»Sie kam mit dem Baby und einer älteren Tochter nach England, nahm den Namen Bedford an und lebte hier von ihrem kleinen Einkommen.«
»Von einer Rente«, verbesserte Torrington. »Ich hatte sie vor meiner Verhaftung in eine Rentenbank eingekauft. Bitte, sprechen Sie weiter!«
Martin holte tief Atem.
»Aus irgendeinem Grund erzog die Frau Dorothy in dem Glauben, daß sie die Tochter ihres ersten Gatten sei, während sie das andere kleine Mädchen für älter ausgab. Aus welchem Grund –«
»Lassen wir das!« fiel ihm Torrington ins Wort. »All dies kann wahr oder unwahr sein.«
Martin wagte nun den entscheidenden Schritt.
»Sie sind der Meinung, daß Ihre Tochter Dorothy tot ist. Das stimmt aber nicht. Sie lebt, und zwar hier in England. Sie ist meine Frau.«
Daniel Torringtons Augen schienen den Mann zu durchbohren.
»Ist das die Geschichte, die Sie mir erzählen wollten?« fragte er. »Daß meine kleine Dorothy noch lebt und Ihre Frau ist?«
Eine lange, drückende Pause entstand.
Endlich brach Torrington das lastende Schweigen.
»Sind Ihnen eigentlich die näheren Umstände meiner Verhaftung bekannt? – Nein? Dann werde ich sie Ihnen einmal erzählen.
Ich saß auf der Vortreppe meines Hauses in Wynberg und hatte mein Baby auf dem Schoß, als ich Marshalt um das Gebüsch herumkommen sah. Ich war überrascht, daß er zu mir kam – bis ich zwei Detektive hinter ihm bemerkte. Er hatte Angst vor mir, Todesangst! Als ich aufstand und das Kind in die Wiege legte, zog er einen Revolver und schoß. Nachher sagte er, ich hätte zuerst gefeuert, aber das war eine Lüge. Ich hätte überhaupt nicht geschossen, aber seine Kugel traf die Wiege, und ich hörte das Kind schreien. Da erst legte ich auf ihn an, und er wäre ein toter Mann gewesen, wenn ich nicht des Kindes wegen in so große Aufregung geraten wäre. Ich fehlte, und sein zweiter Schuß zerschmetterte mir das Bein. Wußten Sie das?«
Martin schüttelte den Kopf.
»Ich dachte mir, daß es Ihnen neu sein würde. Das Kind war verwundet – die Kugel fuhr durch den kleinen Zeh des einen Fußes und zerbrach den Knochen – mich wundert nur, daß Ihre Frau Ihnen davon noch nichts gesagt hat –«
Martin schwieg.
»Meine kleine Dorothy ist nicht tot. Das weiß ich schon seit einiger Zeit, und nun habe ich sie auch mit Hilfe meines Freundes Stormer gefunden.«
»Und sie weiß – ?« fragte Martin totenbleich.
»Nein, sie weiß es nicht. Sie soll es erst erfahren, wenn meine Aufgabe erledigt ist.«
Seine kalten Augen durchdrangen unbarmherzig Martins Gesicht.
»Ihre Frau ist meine Tochter, wie? Sagen Sie ihr, sie möchte herkommen und mir ihren linken Fuß zeigen. Sie können Geburtsscheine fälschen, Elton – aha, das saß – aber kleine Fußzehen, die zerschossen wurden, können Sie nicht nachbilden!«
Er klingelte.
»Bringen Sie den Herrn hinaus«, sagte er, »und wenn Miß Bedford nach Hause kommt, möchte ich sie sofort sprechen...«
Eine Viertelstunde später standen sich Dora und Martin im Wohnzimmer gegenüber, und er berichtete ihr das Ergebnis seiner Unterredung mit Torrington.
»Vielleicht läßt sich alles noch zu unseren Gunsten verschieben. Er wird zahlen, um sie zurückzubekommen, wenn –«
»Wenn -?«
»Wenn sie noch lebt«, erwiderte Dora leise, »und wenn inzwischen nichts anderes passiert ist.«
33
Abends um elf erhielt Slick Smith den Besuch einer Dame. Der Hauswirt, der sehr auf guten Ruf hielt, erklärte unmutig, daß er das zu so später Stunde nicht dulden könnte.
»Es handelt sich um eine äußerst wichtige Botschaft meines Freundes, Captain Shannon. Vielleicht würden Sie so freundlich sein, mir Ihr Wohnzimmer auf kurze Zeit zur Verfügung zu stellen?« erwiderte Slick.
Dazu erklärte sich der Mann bereit.
Nach einer Viertelstunde entfernte sich die Dame wieder, und Slick bedankte sich bei dem Wirt.
Dann ging er in seine Wohnung hinauf, vertauschte den Frack mit einem Straßenanzug, schlüpfte in einen Flauschmantel und steckte allerhand rätselhafte Gegenstände ein. Die Dame, die ihn besucht hatte, wartete noch vor dem Haus auf ihn, und sie gingen zusammen bis zum Marble Arch. Slick bemerkte sehr wohl, daß der unvermeidliche