Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace
Читать онлайн книгу.Ein Mann, der sich nichts aus Plumpudding machte und den Tannenbaum verachtete. Ferdie gab ihm ganz recht. Was für einen Zweck hatte auch das alberne Getue? Wie hieß der Mann doch gleich? Gooch oder Groodge ... Scrooge! Jetzt wußte er es wieder. Ferdie konnte das Weihnachtsfest auch nicht mehr leiden. Er haßte alles, was irgendwie fröhlich oder heiter war.
Mühsam erhob er sich und drehte die Heizung ab, um die Temperatur im Zimmer herunterzubringen, so daß sie in Einklang mit seiner Stimmung kam. Stephen klopfte an die Tür, um sich zu verabschieden. »Frohe Weihnachten.«
»Frohe Weihnachten«, erwiderte Ferdie ironisch durch die Nase. Das hatte er früher nie getan, aber Scrooge sprach doch auch durch die Nase.
»Oh, haben Sie sich erkältet?« Stephen konnte sehr fürsorglich und väterlich sein.
»Nein, ich habe mich nicht erkältet! – Weihnachten! Löschen Sie das Feuer aus! Schließen Sie Brot und Butter fort! Tun Sie es ja, Stephen. Und wenn ein Bettler kommt, soll er nichts erhalten. Ihr Gehalt werde ich heruntersetzen – ich brauche Sie übrigens gar nicht mehr, nächste Woche können Sie gehen!«
Es schmerzte Ferdie, durch die Nase zu lachen; es war so, als ob es ihm nach Champagner aufstieße und sich die Luftblasen auf dem falschen Weg entfernen wollten, aber trotzdem lachte er.
Stephen ging zu dem Dienstbotenraum zurück.
»Nobbins«, sagte er ernst, »wir wollen zusammen für unseren Herrn beten.«
»Ja, wenn es nicht zu lange dauert.«
Und so saß Ferdie in dumpfer Verzweiflung, während Stunde um Stunde verging. Um Mitternacht riß er das kleine Päckchen in dem Silberpapier an sich, zog die Schleife auf und wurde dann nachdenklich. Sorgsam glättete er das Silberpapier und drückte auf den Knopf des kleinen Etuis. Glitzernd und glänzend lag ein großer Diamant an einer Platinkette vor ihm auf dem blauen Plüsch. Das Ding hatte viel Geld gekostet. Und was würde Letty ihm auch schon dafür geschenkt haben? Höchstens eine Zigarettenspitze, einen Spazierstock oder einen Manikürkasten. Nun, das konnte sie jetzt Poggy schenken! Er biß die Zähne aufeinander, daß sie knirschten. Letty würde auch enttäuscht sein, wenn sie kein Geschenk bekäme. Aber nein, so durfte er nicht denken. Er mußte größer sein, erhaben über Kleinlichkeiten. Er mußte ihr das Geschenk noch zusenden und dann gehen. – Leise fortgehen! Wohin, wußte er selbst noch nicht. In irgendeine fremde, ferne Stadt, wo ihn niemand vermutete.
Aber wer würde sich dann noch um ihn kümmern? Er runzelte die Stirn. Stephen würde ihn sicher vergessen und bald einen neuen Herrn finden. Der Steuereinnehmer würde ihn schließlich auch vermissen, und das Finanzamt würde dann an seinen Rechtsanwalt schreiben. Und Letty ...? Die würde kaltherzig durchs Leben gehen. Sie wußte nicht, was sie an ihm verloren hatte. Ja, sie würde sich die Seiten vor Lachen halten, wenn ihr dieser Komponist, dieser Musiker, dieser gemeine Poggy einen abgedroschenen Witz erzählte, dieser blöde Kerl mit dem Affengesicht!
Stephen klopfte wieder an die Tür.
»Wann wünschen Sie morgen den Tee?«
Ferdie biß sich auf die Lippen.
»Es ist möglich, daß ich morgen früh gar keinen Tee trinken mag, Stephen. Ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Vielleicht reise ich weit fort. Kümmern Sie sich nicht um mich. Hüten Sie die Wohnung. Mein Rechtsanwalt wird Ihnen das Gehalt weiterzahlen.«
»Darf ich Ihnen die Post nachschicken?«
Ferdie seufzte vor Ungeduld.
»Ich bin wahrscheinlich längst tot, wenn die mich erreicht!«
»Sehr wohl. Gute Nacht, und ein frohes ... Gute Nacht.«
Auf den Mann hatte er wenigstens Eindruck gemacht, das mußte Ferdie feststellen. Aber auf andere Leute würde er auch Eindruck machen. Er nahm das Kursbuch aus dem Bücherschrank und sah nach, wann der erste Zug nach Bournemouth fuhr.
Aber vor allem, er mußte das Päckchen für Letty noch zurechtmachen. Er mußte ihr auch etwas schreiben, nur ganz kurz selbstverständlich, aber sehr höflich – aber nicht zu höflich, nein, wegzuwerfen brauchte er sich nicht. »In treuer Freundschaft, Ferdinand Stevington.« Oder: »Indem ich ein frohes Weihnachtsfest wünsche« – nein, das wäre doch zu kalt.
Er griff nach einem Briefbogen und seinem Füllfederhalter.
»Meine liebe Letty«, begann er, aber dann nahm er schon ein neues Blatt, da er zu schlecht geschrieben hatte. »Meine liebe, gute Letty«, begann er wieder. Weg damit!
»Meine teure Freundin! Diese Kleinigkeit« – ursprünglich hatte er schreiben wollen »diese teure Kleinigkeit«, aber das ging doch nicht gut – »sende ich Dir mit meinen besten Wünschen ...«
Er durfte sie unter keinen Umständen fühlen lassen, daß sie an allem schuld war. Ritterlich mußte er sein.
»Ich fürchte, ich hübe mich Dir gegenüber sehr grob benommen – verzeih mir!! Ich mache eine weite Reise, und es wäre möglich, daß wir uns nicht wieder treffen –«
Er hielt inne und überlegte sich, ob er schreiben sollte »für einige Tage«. Aber dann kam er zu dem Schluß, daß es besser wäre, nichts Genaues über die Reise mitzuteilen. Es wäre auch zu grausam gewesen, falsche Hoffnungen zu erwecken.
»Ich habe Deinen Ring in einem versiegelten Umschlag in meiner Wohnung im Schreibtisch zurückgelassen. Er wird dann später mit all den anderen kleinen Andenken gefunden werden ... Schließlich war mein Leben doch nicht ganz umsonst. Wer weiß, wo ich ruhn werde in dieser Nacht?«
Sorgsam löschte er die Karte ab und las noch einmal jede Zeile aufmerksam durch. Wie würde ihr das Herz weh tun, wenn sie diese Worte sah! Zögernd legte er den Brief unter das länglich flache Etui und wickelte sorglich das Silberpapier und das blaue Seidenband darum. Dann steckte er alles in ein längliches Kuvert, schlich sich heimlich und leise zu Lettys Haus, öffnete die Klappe des Briefeinwurfs und ließ den Brief hineinfallen. Die Adresse war ganz schlicht gehalten: »An Letty von F.S.«
Er richtete sich auf und holte tief Atem. Er hatte etwas Großzügiges getan. Es war wirklich ein edler Akt der Selbstlosigkeit, das Geschenk war ebenso wertvoll wie der Schenkende. Ferdie wußte, daß er sich nicht falsch beurteilt hatte. Und doch ...
Ferdie saß wieder zu Hause in seinem Lehnsessel.
Und doch ...?
Hatte er sich in ihren Augen nicht zu sehr erniedrigt? War das nicht eine vollkommene Aufgabe seiner Persönlichkeit? War er nicht dauernd im Recht gewesen? Was hatte sie gesagt? Morgen würde er wieder auf dem bunten Teppich vor ihr knien? Er erinnerte sich noch genau an das Muster. Nein, das gab es nicht! Hätte er nicht besser nur eine einfache Weihnachtskarte geschickt? Dort stand noch eine auf dem Kamin. Seine Amme hatte sie ihm gesandt und nur eine gedruckte Visitenkarte zugefügt. Er nahm sie in die Hand und betrachtete sie genauer. Es war eine blaue Landschaft mit einem blauen Häuschen und einem weißen Mond. Boden und Dach waren mit weißem Flitter bestreut, der in dem Schein der Lampe glitzerte und leuchtete.
Aber dann biß sich Ferdie auf die Oberlippe. Am Ende würde sie ihn auslachen und bemitleiden, diesen armen Jungen, der sich so töricht benahm. Nein, so schnell durfte er nicht zu Kreuze kriechen!
Ferdie erhob sich und streifte die Pantoffeln ab.
Natürlich würde sie Poggy das alles erzählen ...
Schnell nahm er die Karte vom Kamin und schrieb darunter: »Frohe Weihnachten. F.« Dann steckte er sie in ein Kuvert.
Irgendwo im Büfett mußte doch eine silberne Eiszange liegen, damit konnte man das Päckchen wieder aus dem Briefkasten herausfischen. Er war wirklich umsichtig, das Zeugnis mußte er sich selbst ausstellen, als er die lange Silberzange in die Manteltasche steckte.
»Wenn es darauf ankäme, würde ich ein gefährlicher Verbrecher werden«, sagte er müde und mit einem bitteren Lächeln.
Draußen hielt er ein Taxi an und fuhr nach Langham Place. Dort entließ er den Chauffeur und ging zu Lettys Wohnung. Es regnete immer