Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace

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Edgar Wallace - Gesammelte Werke - Edgar Wallace


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      Aus den Häusern tönte jetzt lustige Tanzmusik. Ohne es recht zu wissen, ging Ferdie im Takt den Bürgersteig entlang.

      Eine nahe Turmuhr schlug zwei.

      Das Haus Nr. 74 war vollkommen dunkel, als er an die Tür herantrat. Im nächsten Augenblick faßte er mit der Eiszange in den Briefkasten, zog ein Päckchen heraus, das ihm bekannt vorkam, und steckte es schnell in die Tasche.

      »Hallo, was machen Sie denn hier?«

      In seiner Aufregung ließ Ferdie die silberne Zange fallen, so daß sie klirrend aufs Pflaster fiel.

      »Ach, ich bitte um Verzeihung«, sagte er. »Vergnügte Weihnachten.« Etwas anderes fiel ihm im Augenblick nicht ein.

      »Ja, und auch ein vergnügtes neues Jahr«, erwiderte der große Polizist, der geräuschlos auf ihn zutrat. »Sie kommen jetzt mit mir nach der Marylebone Lane.«

      »Wenn Sie sich einbilden, daß ich um diese Zeit einen großen Spaziergang mache, dann haben Sie sich aber geschnitten! Im Sommer, bei Sonnenschein und Blütenduft;, blauem Himmel und weißen Wolken, ist das etwas anderes ...«

      »Also, kommen Sie jetzt in aller Ruhe mit?«

      Die Worte klangen drohend, und Ferdie wurde es nun doch seltsam zumute. Er hielt sich an dem eisernen Geländer fest.

      »Sind Sie ein Polizist?«

      »Ja, Sergeant M'Neill. Vorwärts, mein Junge, ich habe Sie schon eine ganze Weile beobachtet.«

      Er packte Ferdie am Arm, und sie gingen beide die Straße entlang.

      »Na, wo ist denn Ihr Spezel Lew?« fragte der Beamte. Ferdie wußte nicht recht, was der Mann meinte.

      Auf der Polizeistation sah er sich einem ärgerlichen Sergeanten gegenüber, der seinen Federhalter niederlegte und den Gefangenen erst einmal von Kopf bis Fuß musterte.

      »Name?«

      »Mein Name ... Smith?«

      »So heißen alle Vögel, die hierherkommen. Vorname ist natürlich John oder William?«

      Ferdie dachte angestrengt nach.

      »Caractacus«, sagte er dann.

      Der Sergeant sah ihn ironisch an.

      »Adresse?«

      »Buckingham Palace. Haha!« Ferdie lachte ärgerlich.

      Der Sergeant kannte solche Witze.

      »Weigert sich, seine Adresse anzugeben – nun, wie lautet die Anklage?«

      »Er hat einen Briefkasten bestohlen. Ich habe ihn auf frischer Tat ertappt, als er sich am Haus Nr. 74 mit Diebswerkzeug an dem Briefkasten zu schaffen machte.«

      Der Polizist legte die Eiszange auf das Pult.

      »Hat er etwas gestohlen?«

      Nun kam auch noch das Päckchen auf den Tisch, und Ferdie kratzte sich das Kinn. Er hatte sein Geschenk doch in ein langes Kuvert gesteckt. Das war aber gar nicht sein Kuvert, und außerdem war es mit einem zinnoberroten Band zusammengehalten.

      »Von Poggy für Letty«, las der Detektiv.

      Ferdie taumelte zur Tür, aber der Polizist hielt ihn fest.

      »Ein Diamentschmuckstück mit Smaragden in Form eines Klaviers«, sagte der Beamte hinter dem Pult.

      »Ein ganz blöder Geschmack!« rief Ferdie empört.

      »Sollen wir jemand benachrichtigen, daß Sie verhaftet worden sind? Sie werden wahrscheinlich drei Tage hierbleiben müssen.«

      »Ein Wort einer Frau könnte mich retten«, erwiderte Ferdie gebrochen. »Aber ich bin viel zu stolz, als daß ich sie darum bitte.«

      Der Gefangenenwärter erschien in der Tür.

      Ferdies Taschen wurden durchsucht; es kamen eine Brieftasche mit vielen Banknoten, ein goldenes Zigarettenetui und verschiedene andere Kleinigkeiten aus Gold oder Silber zum Vorschein.

      »Na, da haben Sie ja heute einen guten Tag gehabt. Wo haben Sie denn all das Zeug zusammengeklaut?« fragte der Sergeant. »Zelle 6, Wilkins ...«

      Die Tür fiel nicht dröhnend zu – sie quietschte nur.

      *

      In der Familie Revel war es Sitte, daß am ersten Feiertag nach dem Abendessen die Geschenke verteilt wurden. Dann waren alle Geber zugegen, so daß man ihnen danken konnte, enthusiastisch – oder nur einfach und schlicht. Der Hausherr, George Palliter Revel, war Mitglied des Parlaments. Er zahlte für alles, und er würdigte auch alles. Lettice Giovanna Revel war seine Tochter; sie gab nur die Anordnungen und sagte, wer zum Abendessen eingeladen werden sollte und wer nicht. Allgemein war sie beliebt; es gab sogar junge Leute, die sie andichteten, auch wenn sie das Dichten nicht verstanden. Sie hatte einen schnellen und eleganten Sportwagen, einen Foxterrier und außerdem eine Fotografie von Douglas Fairbanks mit eigenhändiger Unterschrift. Die hatte sie in Gold rahmen lassen, denn sie liebte die starken Männer, die Charakter hatten und nicht zuviel sprachen, Helden, die junge Damen auf ihre kräftigen Arme nahmen und mit ihnen durch hochgewölbte Buchenwälder schritten. Ferdie hatte sie zwar noch niemals so getragen, höchstens in übertragenem Sinn. Sie liebte ihn, wie eine Mutter ihr hilfloses Kind liebt.

      Beim Abendessen sagte sie das auch.

      »Ferdie ist nicht hier, Papa, weil ich ihm gesagt habe, er möchte nicht kommen.«

      »Aber, mein Liebling, ich dachte, daß ihr beide ...«

      Sie lächelte nachsichtig.

      »Es war nur eine Jugendfreundschaft.«

      Mr. Revel rieb sich das linke Ohr.

      »Wie alt bist du jetzt, Letty?«

      »Etwas über neunzehn und eine erwachsene junge Dame. Manchmal vergißt du das, Papa. Meine Zuneigung zu Ferdie ist rein mütterlich.«

      »Ach so«, erwiderte Mr. Revel milde.

      Er hatte sogar einmal einen Ministerposten bekleidet, weil alle Leute ihn für freundlich und gut hielten.

      »Ja, und nun die Geschenke«, sagte Mr. Revel dann.

      Poggy Bannett wurde melancholisch und traurig.

      »Letty, Sie wissen ja, warum mein Geschenk nicht hier ist. Dieser verdammte Einbrecher hat es doch gestohlen. Ich war schon den halben Tag auf der Polizeistation, um den gestohlenen Gegenstand zu identifizieren, aber sie haben nicht gestattet, daß ich ihn herbringen konnte.«

      »Ach, Poggy, das war wirklich nett von Ihnen, aber es wäre mir viel lieber gewesen, wenn Sie mir eine Ihrer herrlichen Kompositionen mit einer persönlichen Widmung überreicht hätten. Ich kann eigentlich diese kostbaren Weihnachtsgeschenke nicht leiden, sie sind so ... Nun, Sie verstehen mich schon.«

      Poggy nickte. Er hatte ein hageres Gesicht und eine scharfe Adlernase.

      »Von Ferdie kann man natürlich nichts erwarten, der dürfte es auch gar nicht wagen –«

      Dann fiel ihr Blick auf seinen Briefumschlag, und sie runzelte die Stirn.

      »Wenn er mir die Pfeife zurückgeschickt hat, die ich ihm zum letzten Weihnachtsfest schenkte, dann soll er etwas erleben!« Sie riß das Papier auf und holte tief Atem. »Ach, wie wundervoll! Aber das hätte er doch nicht tun sollen! Das sieht ihm wieder ganz ähnlich, Papa. Er hat einen so feinen Geschmack!«

      Mr. Revel sah auf das kleine Preisschildchen, das Ferdie nicht abgenommen hatte, und rechnete dann schnell aus, wieviel zehn Prozent von fünfundneunzig Pfund ausmachten.

      »Um Himmels willen!«

      Poggy sah, daß ihre Lippen bleich wurden. Ohne noch ein Wort zu sagen, schob sie ihm den Brief zu.

      »Ach, das ist doch alles Blödsinn«, sagte Poggy brutal. »Der hat sich doch nur, dem geht es gut. Denken Sie nur ja nicht


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