Bittere Wahrheit…. Inge Elsing-Fitzinger
Читать онлайн книгу.erfüllte mich ehrliche Reue, ihr Vorhaben so rüde torpediert zu haben. Wie wunderschön sie war, wenn auch nicht gerade im Augenblick. Wie sehr liebte ich ihren zarten Körper, ihre festen Brüste, ihre weiße Haut.
Gott ergeben ging ich zum Garderobeschrank, fingerte einen Koffer aus dem obersten Regal. Unwillig warf ich einige Kleidungsstücke hinein. Golfdress, Reitanzug, Abendanzüge. Ein leichter Hoffnungsschimmer glimmte in mir auf, diese Tage könnten wieder so schön werden wie das Jahr zuvor.
Ich Narr! Es war wohl der heimliche Wunsch, Verlorengegangenes zurückzuholen. Ich wollte etwas erzwingen, was schon lange nicht mehr existierte. Ein Fiasko war unausbleiblich. Ein beschämendes Fiasko. Diese fiesen Laffen, mit dem Ausdruck siecher Mondkälber in den versoffenen Augen. Laszive Kommentare, die allseits in Lachorgien ausarteten. Banale Konversation, skandiert und äußerst geheimnisvoll. Grauenhaft. Ich fühlte mich vom ersten Augenblick an völlig überflüssig. Ein lästiges Anhängsel, das man notgedrungen duldete. Auf Maries Anwesenheit wollte man sichtlich um keinen Preis verzichten. Sie genoss ihre Beliebtheit.
Dazu kam das miese Wetter. Pechschwarze Regenwolken, Gewitter, ein tosender Sturm. Die aufgemotzte Gesellschaft drängte sich in den weitläufigen, Rauch verquollenen Räumen. Eine Schar Hammeln in ihrem Pfuhl von Selbstgefälligkeit und Verderbtheit.“ Alain war auf die Terrasse gegangen, schien den Freund völlig vergessen zu haben.
„Reichlich frustrierst war ich am nächsten Morgen hinausgerannt in eine trostlose Landschaft. Ein trauriger Ostermorgen. Ich sah kaum zehn Meter weit. Dichter Nebel hatte sich über die Wiesen gelegt, der mir feucht und stickig fast den Atem nahm. Ich wollte allein sein, Ruhe und Frieden finden. Mühsam, Laubkränze an den Schuhen, bewegte ich mich auf das nahe Wäldchen hin. Dicke Tropfen fielen mir in den Hemdkragen, katapultierten mich aus den Wahnsinnsvisionen zurück in die Realität. Nur fort, möglichst weit fort, um keiner dieser unsympathischen, falschen Gestalten zu begegnen, die mich mit süffisant gespielter Liebenswürdigkeit und gekünsteltem Charme umgaukelten. Ein Albtraum. Der Hausherr, ein hässlicher Mensch, der mit gespielter Nonchalance jede Peinlichkeit zu vertuschen versuchte. Fleischige Lippen, fliehendes Kinn, viel zu hohe Stirn. Ein mit Goldzähnen gefüllter Mund. Wenn er grinste wirkte er noch wohlhabender, als er tatsächlich war. Ein Ekelpaket der übelsten Sorte.
Eine hirnverbrannte Idee, Marie-Louise hier her zu begleiten? Der Karren war verfahren. Unsere Beziehung steckte in einem bodenlosen Sumpf, sank bei jedem Versuch dies zu ändern tiefer und tiefer. Es gab kein Entrinnen mehr. Stand Isabelle dann vor mir, zerfloss all meine Courage wie Sahne auf heißer Schokolade. Ich wurde zum zahmen Lamm, dankbar für jede gönnerhaft geschenkte Liebkosung. Ein Hund, der bettelte nicht verstoßen zu werden, einen Krümel ihres Wohlwollens abzubekommen. Sie triumphierte und verspottete mich, wenn auch nicht mit Worten, so mit Taten.“ Ein trauriges Lächeln begleitete Alains Lamento.
„Mein Gemüt hatte sich durch den weiten Spaziergang wieder ins Gleichgewicht geschaukelt. Plötzlich wusste ich was zu tun war. Zurückfahren nach Paris. Vielleicht würden es doch noch schöne Ostern werden. Alleine, gute Musik, ein köstliches Glas Bojaulais, in Frieden und Stille. Mit einem Schlag war ich wieder der alte, fröhliche Alain, den ich viel mehr mochte als diesen Griesgram, der mit Gott und der Welt haderte.
Wer ist dieses Regennixlein?
Wie aus dem Nichts stand da ein junges Mädchen im hellen Regenmantel vor mir. Auf dem Kopf ein buntes Tuch. Die zierlichen Füße steckten in roten Gummistiefeln. Etwas ängstlich starrte sie mich mit unendlich traurigen Kinderaugen an. Diese seidene Makellosigkeit, die durchscheinende Haut der Jugend. Dieses Leuchten von Innen. Erinnerung an Marie vor langer, langer Zeit schmerzte plötzlich.
„Na was gibt es, mein Kind! So Gott verlassen? Hast du Kummer? Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte ich sie überrascht.
Hastig begann sie zu sprechen. „Wenn sie nach Paris fahren, nehmen sie mich dann bitte mit?“
Verblüfft schaute ich sie an. Wie konnte sie wissen, was ich selbst erst vor wenigen Minuten beschlossen hatte. Reichlich verwirrt antwortete ich nicht sofort. Träumte ich? War ich schon völlig durchgeknallt? Existierte dieses Regennixlein gar nicht? Ich versuchte einen Schritt weiter zu gehen. Sie vertrat mir den Weg, hob flehend die Hände und bat nochmals, noch inständiger als vorher.
„Sie fahren doch! Jetzt gleich! Nicht wahr?“
„Ja!“ Meinte ich etwas zögerlich. Wenn sie unbedingt mitkommen wollen! In zehn Minuten bin ich bei der Nebeneinfahrt.“ Ich konnte ehrlich nicht sagen, ob ich wach war oder träumte. Eigentlich war es mir auch völlig egal. Es fühlte sich als Realität traumhaft an, als Traum wunderbar real.
Lautlos startete ich den Wagen. Der riesige, reinrassige Schäferhund, der nachts immer frei herumlief, fand meine Abreise sichtlich in Ordnung. Nicht einmal e r versuchte mich zurückzuhalten. Beim Nebentor stand zusammengeschrumpft mein Fahrgast nach Paris.
Als wären des Königs Häscher hinter uns her, raste ich davon. Der gelbe Mittelstreifen der Straße flog uns entgegen. Der Gefahrenzone entronnen verringerte ich die Geschwindigkeit. Erstmals schaute ich bewusst zu meiner Begleiterin. Stumm kauerte sie neben mir, blickte mich mit wunderschönen Augen an, lächelte schüchtern, schwieg jedoch beharrlich.
„Na, sehr amüsant bist du ja gerade nicht!“ Ich duzte sie, was mich selbst verblüffte.
„Entschuldigen sie. Ich bin so verwirrt. Ich wollte sie nicht beleidigen“, versuchte ich meinen Fehler wieder gut zu machen.
„Das macht doch nichts. Wenn es ihnen Spaß macht, können sie mich ruhig weiter duzen. Alle Menschen duzen mich. Ich weiß auch nicht warum.“
Sie sagte es mit solch kindlichem Leichtmut, dass ich richtig fröhlich wurde. Aus dem Radio dröhnte der Wetterbericht. Schlagartige Aufhellung, Temperaturanstieg. Nachmittags Sonnenschein.
„Fein“, hörte ich die zarte Stimme neben mir. „Dann werden es doch noch richtige Ostern.“
„Wo wollen sie hin? Wo darf ich sie absetzen?“
„Ach bitte, duzen sie mich weiter, das klingt so freundlich. Dann komme ich mir gleich nicht mehr so verlassen vor.“
Ihre Worte klangen kläglich. Hatte man auch sie gekränkt und beleidigt? Ich hatte sie nicht bemerkt in den vergangenen Tagen. Wo hatte sie gesteckt? Was hatte sie nach Vallouchon verschlagen? Sie sprach ein wunderschönes, fast perfektes Französisch, war aber Ausländerin.
„D’accord! Ich heiße Alain.“
„Merci“, flüsterte sie. „Ich heiße Isabelle!“ Gleich darauf fiel sie wieder in lethargisches Schweigen. Sie hatte etwas unglaublich Beruhigendes, strahlte Wärme aus, die ich schon lange nicht mehr gefühlt hatte.
„Was machst du in Paris? Studierst du da? Wo wohnst du?“
„Ich wohne noch nirgends. Ich weiß auch noch nicht, was ich machen werde. Ich war noch nie in Paris.“
„Woher kommst du denn?“ Ich kam mir richtig lästig vor, doch dieses seltsame Geschöpf hatte meine Neugierde geweckt.
„Von weit her“, lispelte sie verträumt. „Ich hoffte mein Ziel endlich gefunden zu haben. Hier wollte ich gerne bleiben.“
„Mal sehen“, lachte ich überrascht, und trat erneut aufs Gas. Wir erreichten die Vororte von Paris. Ich hatte noch immer nicht das Geringste über sie erfahren. Nicht einmal, wohin ich sie bringen sollte. Paris ist groß.
„Na, wohin fahren wir jetzt?“
„Ich weiß nicht! Ich habe nichts vor. Ich liebe Überraschungen! Entschuldigen sie, wenn das aufdringlich geklungen hat“, hörte ich ihre Stimme wieder, „…aber ich habe wirklich keine Ahnung, wo ich hin soll. Nach den Feiertagen werde ich weitersehen. Ich bin alleine, muss für mich selbst sorgen.“
Was mich plötzlich dazu bewog sie einzuladen, weiß ich bis heute nicht.
„Meine Frau kommt erst nach den Feiertagen zurück. Wenn du willst und mir vertraust, kannst du die ersten Nächte