Bittere Wahrheit…. Inge Elsing-Fitzinger

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Bittere Wahrheit… - Inge Elsing-Fitzinger


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ernsthafte Frau. Wie viel Schönes hätte sie möglicher Weise erfahren können, wenn dieser zarte Vogel nicht die Tochter eines Fischers gewesen wäre, der seiner sechs Kinder wegen die Älteste als Dienstmädchen an eine reiche Herrschaft verschacherte. Die einzige Herrlichkeit die sie solcher Art erfuhr, waren abgelegte Kleider der Gnädigen, die sie aber so zu tragen vermochte, dass die jeweiligen Männer der diversen Damen plötzlich zu sehr Gefallen daran fanden, und sie am nächsten Ersten wieder kündigen musste. Von ihrem Lohn kaufte sie eines Tages ein Ticket ins Elsass. Dort schuftete sie wie ein Kuli, sieben lange Tage in der Woche. Nie wieder zog sie Kleider irgendeiner Gnädigen an. Dann wurde sie schwanger. Nach anfänglichem Entsetzen ließ die Herrschaft sie weiter ihren Dienst verrichten.

      Die bescheidene Hochzeit mit dem Kutscher des Hauses wurde vollzogen. Fleißig rackerten Beide und sparten jeden Sou, um irgendwann einmal ein unabhängiges Leben führen zu können.“ Bernard verlor sich in Erinnerungen. Immer noch starrte er auf die Fotografie.

      Ich war der Vierte von neun Söhnen, die sie gebar. Not und Elend waren vorprogrammiert. Sechs meiner Geschwister starben. Mutter überlebte die neunte Geburt nicht. Vater war eines Tages spurlos verschwunden. Wir wurden bei Pflegefamilien untergebracht. Ich hatte Glück bei wohlhabenden, kinderlosen Leuten unterzukommen. Mit acht Jahren erlebte damals mein erstes Bad.“ Jetzt lachte er herzlich auf, nahm einen Schluck Rotwein. Alain starrte ihn unverwandt an. Noch nie hatte er den väterlichen Freund so enthusiastisch gesehen.

      „Bis jetzt meist notdürftig in einem hölzernen Zuber abgeleckt, wurde ich von einem dienstbaren Geist in einer Keramikwanne mit duftendem Wasser übergossen. Meine Proteste, mich nicht nackt vor der Frau auszuziehen, wurden kaltschnäuzig abgewimmelt. Kein Zetern, kein Heulen half. Wasser rauschte in meinen Ohren. Die geschlossenen Augen verrieten nichts mehr. Es gelang mir tatsächlich, vorübergehend so einsam zu werden, wie ich es brauchte, um die Wohltat voll auszukosten. Ich ließ mich tief in die Wanne gleiten, um meine Nacktheit zu verbergen, und sie rubbelte und schruppte. Später wurden wir Freunde. Ich durfte alleine baden.

      Eines Tages lauschte ich an der angelehnten Tür. Meine Ziehmutter verkündete mit Freude, guter Hoffnung zu sein. Dieses Ereignis bedeutete für mich größte Gefahr. Alles in mir bäumte sich auf. Ich fürchtete ehrlich um den Fortbestand meiner Anwesenheit in dieser mittlerweile sehr lieb gewonnene Familie. Eine Fehlgeburt nach wenigen Wochen ließ mich wieder hoffen.

      Nach dem Baccalaureat durfte ich das Studium fortsetzen. Mein Ziehvater unterstützte mich großzügig. Auf der technischen Hochschule in Strassburg lernte ich Aristo kennen, den Sohn eines griechischen Reeders.“ Jetzt deutete Bernard begeistert auf das Foto. „Mein neuer Freund hatte Geld wie Heu, wohnte in einem, für meine Begriffe sündteurem Appartement und ließ die Puppen tanzen, dass mir schwindelig wurde. Aristo sah aber auch verdammt gut aus. Der fleischgewordene Traum aller Schwiegermütter“, schmunzelte er amüsiert.

      „Wir schafften beinahe Gleichzeitig unseren Abschluss. Er hatte die letzen Semester in Thessaloniki absolviert. Unseren Sieg wollten wir gemeinsam feiern. Ich wurde nach Athen eingeladen, von der Familie begeistert aufgenommen, und verliebte mich zum ersten Mal. Meine Angebetete war Aristos Schwester Anastasia. Eine Traumfrau, wie du sehen kannst. Rassig, vollbusig, mit blauschwarzem Haar und einem himmlischen Körper. Wir liebten einander mit hingebungsvoller Leidenschaft.“

      Alain saß mit offenem Mund da. Er konnte nicht fassen, den eingefleischtesten Junggesellen aller Zeiten mit solcher Inbrunst und Erregung über ein weibliches Wesen sprechen zu hören.

      „Ich blieb sechs Wochen als Gast bei der Familie Karikiades, wurde verwöhnt und geliebt, wie ein Sohn. Vor meiner Abfahrt hielt ich um die Hand der wunderbaren Anastasia an. Überrascht, doch wohlwollend wurde mein Antrag angenommen. Papa erteilte uns seinen väterlichen Segen, Mama war aufgelöst in einem Tränenmeer. Ein halbes Jahr später heirateten wir. Ana erhielt eine stattliche Mitgift, die wir in den Aufbau einer Firma in Paris investierten. Auch meine Zieheltern waren von dieser Verbindung sehr angetan.

      Das Glück schien vollkommen, als sich nach wenigen Monaten Zuwachs ankündigte. Hektik und Aufregung in Frankreich, wie in Griechenland. Telegramme flogen täglich hin und her, die Telfonleitungen liefen heiß. Anas Familie war in den letzten Wochen der Schwangerschaft herübergeflogen, um nur keinen Augenblick des großen Ereignisses zu versäumen. Auf den Tag genau machte der neue Erdenbürger seine Ankunft mit heftigen Schmerzen und stundenlangen Wehen deutlich, fast vierundzwanzig Stunden lang. Verzweifelt klammerte sich Ana an mich, hielt mich fest, krallte ihre Nägel in meine Haut, schrie.

      „Machen sie sich keine Sorgen“, hörte ich die verbindliche Stimme des Arztes. „Es wird zwar eine schwere Geburt, doch wir schaffen das gemeinsam. Sie müssen sich nur etwas gedulden. Bleiben sie bei ihrer Frau, das wird ihr alles erleichtern.“ Bernards Gesicht wurde unendlich traurig. Die Stimme versagte für Augenblicke.

      „Ana wurde bewusstlos. Unerträgliche Schmerzen hatten sie überwältigt. Plötzlich schien Eile geboten. Ein Stab von Ärzten stob um ihr Bett, drängte uns aus dem Raum. Unter einem Beatmungsgerät wurde sie in den OP gebracht. Anas Mutter erlitt einen Nervenzusammenbruch. Die Sorge um meine geliebte Frau trieb mich fast zum Wahnsinn. Es war kurz nach Mitternacht. Der Chefarzt, seine ernste Miene. Mit gesenktem Haupt und verzweifelter Gestik sprach er aus, was ich in den letzten Stunden immer wieder heftig zu verdrängen suchte.

      „Wir konnten nichts mehr tun. Ihre Frau und das Baby sind vor wenigen Minuten verstorben.“

      Bernard konnte kaum weiter sprechen. Seine Stimme brach, Tränen flossen über sein Gesicht. Starr und bleich saß er da, durchlebte diesen schrecklichsten Moment seines Lebens ein zweites Mal.

      „Ich wollte diesem Stümper an die Gurgel. Aristo hielt mich mit fester Hand zurück. Vater Karikiades fragte übermenschlich gefasst: „Wie konnte das geschehen. Beide waren doch nach Ansicht der Ärzte in bestem Gesundheitszustand?“

      „Vielleicht gerade deshalb. Wir waren überzeugt, einer natürlichen Geburt stünde nichts im Wege.“ Die Wehen hatten das Kind bereits zu tief in den Mutterhals gedrückt. Auch ein Kaiserschnitt konnte keine Lösung mehr bringen. Wir haben wirklich das Menschenmöglichste getan, sie zu retten!“

      „Erfolglos, wie man sieht, ihr Stümper. Ihr Mörder. Ihr habt mir das Liebste auf Erden weggenommen. Einfach geraubt.“ Mit meiner Beherrschung am Ende, brüllte ich all meine Verachtung, meinen Hass auf dieses Unglück, meine Verzweiflung heraus, wie ein weidwundes Tier.“ Bernard schritt langsam zum Fenster, versuchte die Fassung wieder zu erlangen.

      „Begreifst du jetzt, warum ich nie ein Wort darüber gesprochen habe? Vielleicht war es gut, all das noch einmal durchzuleben, zu erzählen, meinem Herzen die Möglichkeit zu geben zu verzeihen. Es war ein Gott gewolltes Schicksal, das mich in diese Seelenpein getrieben hatte. Seit damals haderte ich mit diesem Herrn über Leben und Tod. Ein törichtes Unterfangen, das weiß ich jetzt selbst. Aber die Verzweiflung hielt mich in ihren Fesseln gefangen. Ich dachte sie nie wieder loszuwerden. Jetzt geht es mir besser, ich fühle es.“

      Wortlos lagen sich die beiden Männer in den Armen.

      Bernard fasste sich ziemlich rasch wieder.

      „Als Ehrenmann fühlte ich mich verpflichtet Anas Mitgift zurückzugeben. Dass damit meine neu gegründete Existenz, meine gesamte Zukunftsplanung über den Jordan ginge war mir klar, aber mein Gewissen verlangte es.

      Fast gleichzeitig fingen der verzweifelte Vater und ich zu sprechen an.

      „Du behältst die Mitgift. Ich war sehr stolz auf dich und deine Entscheidung, den Betrieb aufgemacht zu haben. Dieses Werk soll erhalten bleiben. Wir lieben dich doch wie einen Sohn.“

      Ich ließ die bereitgestellte Summe in ein Darlehen umwidmen. Sobald es meine Mittel erlaubten, zahlte ich alles zurück.

      Ja, so war das damals, mein Junge. Ich schuftete wie ein Besessener, versuchte meinen Schmerz mit Arbeit zu kompensieren. Wie wir jetzt dastehen, brauche ich dir nicht zu erläutern. Das weißt du besser als jeder andere. Übrigens, mit Aristo Karikiades bin ich immer noch in enger Verbindung. Es wurde eine Freundschaft fürs Leben, die uns beiden sehr wichtig ist.“ Bernard lehnte sich zurück, hing seinen


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