Gefängnistagebuch 1944. Ханс Фаллада
Читать онлайн книгу.von die Bettler des Kanzlers vor mir, mit ’ne Liste in die Flosse. ›Ick komm von’t WHW‹, sagt der Mann, ›und det is nu mächtig uffjefallen, det Sie noch nie ’n Beitrag zu det große Opferwerk von det deutsche Volk jejeben haben. Det Winterhilfswerk nämlich …‹ Und nu red’t er los; ick laß ihn sabbeln, und wie er fertig is, sare ick zu ihm: ›Männecken, sare ick, sparen Se Ihre Puste, ick gebe doch nischt!‹
›Ja‹, sagt er da, ›wenn Sie aber jetzt wieder nischt jeben, trotzdem ick Ihnen persönlich besucht habe, dann muß ick uff diese Hausliste eenen Kreis hinter Ihren Namen machen, und det kann doch sehr unanjehme Foljen for Ihnen haben.‹
›Männecken‹, sare ich wieder, ›wat Sie for geometrische Figuren hinter meenem Namen malen, det is mir völlig schnurz, ick gebe doch nischt!‹
›Mann!‹ drängelt er nu. ›Seien Se doch nich so, stürzen Se sich doch nich mit wissenden Oojen in den Abgrund! Sie jeben mir ’nen Fuffzjer, und ick mache keenen Kreis – klappt der Laden gleich!‹
›Det denken Sie!‹ sare ick. ›Aber een Fuffzjer, det is een janzet Brot, und een Brot, det zählt schon bei mir: ick habe nämlich fünf Kinder.‹
›Wat!‹ ruft der Kerl janz begeistert. ›Sie haben fünf Kinder? Da haben Sie ja janz im Sinne unseres Führers jehandelt.‹
›Jawoll!‹ sare ich, ›bloß, ick mache Ihnen dadruff aufmerksam: all diese Kinder sind vor der Machtergreifung gemacht worden!‹
›Mann‹, sagt er, ›Sie werden ooch im Leben kein juter Nationalsozialist!‹
›Sie haben’s erfaßt, Männecken!‹ antworte ich ihm. ›Ick werde nich mal ’n schlechter Nationalsozialist!‹«
Ich muß es gestehen, diese kleine Geschichte hat einen bleibenden Eindruck auf mich gemacht, und das Wort vom schlechten Nationalsozialisten, der man auch nicht werden soll, hat mir in mancher Lage der kommenden Tage geholfen.
Und wenn ich mich heute frage, ob ich recht oder falsch gehandelt habe, daß ich in Deutschland geblieben bin, so sage ich noch heute: »Ich habe recht gehandelt!« Ich bin wahrhaftig nicht, wie man mir auch vorgeworfen hat, aus Angst um meinen Besitz oder aus Feigheit hier geblieben. Im Auslande hätte ich mehr und leichter Geld verdienen können, hätte ich sicherer gelebt. Hier habe ich unendlich viel Schweres erlebt, viele Stunden habe ich in Berlin im Bombenkeller gesessen, habe die Fenster rot werden sehen und habe, schlicht deutsch gesagt, oft richtig Angst gehabt. Mein Besitz ist jede Stunde bedroht, für meine Bücher wird seit einem Jahr kein Papier bewilligt – und ich schreibe diese Zeilen unter der Drohung des Stranges im festen Hause in Strelitz, in dem mich die Güte des Oberstaatsanwaltes als »gemeingefährlichen Geisteskranken« untergebracht hat, im September 1944. Alle zehn Minuten etwa kommt ein Wachtmeister in meine Zelle, sieht neugierig auf mein Gekritzel und fragt mich, was ich schreibe? Ich sage: »Eine Geschichte für Kinder« und schreibe weiter. Ich verscheuche jeden Gedanken an das, was aus mir wird, wenn jemand diese Zeilen liest. Ich muß sie schreiben. Ich ahne das nahe Ende des Krieges, und vorher noch will ich niedergeschrieben haben, was ich erlebte: nach dem Kriege werden’s Hunderte tun. Nein, lieber jetzt – wenn auch unter Lebensgefahr. Ich hause mit vierundachtzig größtenteils völlig geisteskranken Männern zusammen, die fast alle als Mörder, Diebe oder Sittlichkeitsverbrecher sich strafbar gemacht haben. Aber selbst unter diesen Umständen sage ich: »Ich habe recht getan, in Deutschland zu bleiben. Ich bin ein Deutscher und lieber will ich mit diesem unselig-seligen Volk untergehen, als in der Fremde falsches Glück genießen!«
Ich kehre zu Rowohlt und mir und zu den noch so ahnungslosen Tagen des Januar 1933 zurück. Ja, wir waren arg kompromittiert, und manchmal gestanden wir uns das ein. Aber wir beruhigten uns immer wieder mit dem törichten Satz: »So schlimm wird es schon nicht kommen – jedenfalls für uns nicht.« Wir schwankten haltlos zwischen äußerstem Leichtsinn und einer behutsamen Vorsicht. Eben noch hatte Rowohlt seiner Frau den neuesten Witz über Göring erzählt, und schon brüllte er sie zornerfüllt an, weil sie denselben Witz meiner Frau erzählt hatte. Ob sie das ganze Haus ruinieren wolle? Ob sie alle in ein Konzentrationslager bringen wolle? Ob sie denn ganz wahnsinnig und von allen guten Geistern verlassen sei?! Und dann ging dieser selbe Rowohlt hin und leistete sich das folgende Stückchen: Seine Frau war nämlich eigentlich die viel Vorsichtigere, und da sie gut wußte, daß ihr Hausstand in ihrer dortigen Gegend nicht gerade den besten nationalsozialistischen Ruf genoß, achtete sie darauf, jedermann besonders korrekt mit dem »Deutschen Gruß«, mit »Heil Hitler« zu grüßen. Neben ihr ging dann ihr kleines, wohl vierjähriges Töchterchen, nur »Baby« genannt und grüßte ebenso korrekt wie die Mutter.
Der gute Vater aber, der Rowohlt, der immer voll von Einfällen steckte und der gar zu gerne seiner Frau einen Streich spielte, nahm sich die Baby beiseite, und richtete sie ab und dressierte sie, und als die Mutter das nächste Mal mit ihr auf der Straße ging und brav mit »Heil Hitler« grüßte, hob Baby die linke Faust und sagte mit ihrem hellen Stimmchen: »Rot Front! Ein Arsch ist blond!« Ach, was hat das der Mutter für Tränen, für Verzweiflungsausbrüche gekostet, um dem Kind diesen wirklich nicht ganz zeitgemäßen Gruß wieder abzugewöhnen! Rowohlt aber, der Überängstliche, der Vorsichtige, lachte nur dazu; das Vergnügen über den ausgezeichneten Witz überwog bei weitem die Furcht vor der wirklich großen Gefahr. Denn schon der Gruß »Rot Front« bedeutete mindestens KZ, wahrscheinlich noch sehr viel Schlimmeres.
Oder Rowohlt rief mich in meinem Dörfchen an, wo die junge Dame des Postamtes aus Beschäftigungsmangel immer sehr neugierig auf die Telefongespräche des »berühmten« Schriftstellers war, und begrüßte mich mit einem schallenden: »Hallo, Väterchen! Heil Hitler!«
»Nanu, Rowohlt?« fragte ich dagegen. »Sind Sie jetzt auch in die Partei eingetreten?«
»Aber, Mensch!« rief der Unverbesserliche. »Am Arsche sind wir doch alle braun!«
So war Rowohlt, und wesentlich änderte er sich auch nicht. Und so war auch ich, vielleicht nicht ganz so aktiv, so erfindungsreich und bestimmt nicht so witzig, aber ich entwickelte in diesen Tagen eine recht gefährliche Vorliebe für kleine boshafte Geschichten und Witze über den Nationalsozialismus, ich sammelte sie gewissermaßen in mir und kolportierte sie auch gerne, wobei ich es mit der Wahl der Empfänger oft nicht sehr genau nahm, wenn die Geschichten nämlich sehr gut waren, und sie mir darum auf der Seele brannten. Das konnte nicht lange gut gehen, und es ging auch nicht lange gut. Ehe ich aber zur Erzählung meines ersten Zusammenstoßes mit dem nationalsozialistischen Regime komme, muß ich erst einmal etwas ausführlicher über unsere damaligen Lebens- und Wohnumstände sprechen. Wie schon gesagt, war der Erfolg des Kleinen Mannes rasch verebbt, ich hatte das Geld unsinnig genug ausgegeben, und als meine Frau »Halt« gebot, hatten wir wohl noch einiges aber gar nicht mehr soviel. Um das Verrinnen dieses »Einigen« etwas zu erschweren, wurde beschlossen, auf das Land zu ziehen, wo es keine Versuchungen wie Bars, Tanzdielen und Varietés gibt. Nach einigem Suchen wurde eine Villa am Ufer der Spree in dem Dörfchen Berkenbrück gefunden, wir mieteten uns in ihrem oberen Stockwerk ein und beschlossen, von hier aus noch weiter draußen auf dem Lande einen eigenen Besitz zu suchen, so lange aber hier wohnen zu bleiben. Alles, was wir antrafen, schien übrigens unseren Wünschen auf das Trefflichste zu entsprechen. Die Villa lag ganz am Ende des Dorfes, dem Walde gegenüber, eines der wenigen städtischen Gebäude, die sich an dieses sonst reine Bauerndorf angeschlossen hatten. Nach der kaum befahrenen Straße zu lag der Garten flach, um dann zur Spree, die hier geradlinig reguliert dahinlief, steil abzufallen. Es gab viele Obstbäume, reichlich Wirtschaftsgebäude, und alles war eine Spur vernachlässigt, am Beginn des Verfallens. Das kam daher, daß unsere Wirtsleute vollkommen mittellos waren. Er, Sponar, ein Siebziger, mit einem glatten flächigen Schauspielergesicht und schneeweißem Haar, trug immer Samtjacketts und kleine flatternde Halsbinden, er gab sich für ein Stück Künstler aus. Vom Künstler hatte er jedenfalls das Geschäftsuntüchtige gehabt. Er hatte eine kleine Fabrik in Berlin besessen, in der man nach von ihm gefertigten Entwürfen Alabasterschalen in vielen schönen sanften Farben hergestellt hatte, die als Lampen dienten. Die Fabrik war einmal sehr gut gegangen, als noch solche Alabasterschalen als Lampen Mode gewesen waren, dann hatte sich der Geschmack anderen Arten von Leuchten zugewandt. Sponar hatte sich verbissen gegen diesen Geschmackswechsel gesträubt, immer