Gefängnistagebuch 1944. Ханс Фаллада

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Gefängnistagebuch 1944 - Ханс Фаллада


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sagte der Führer dann mürrisch und schob den Zettel in den Aufschlag seines Uniformärmels zu eventueller weiterer Verwendung. »Ich werde diese Sache noch später überprüfen. Jetzt werden wir erst die anderen Räume durchsuchen.« Sie taten es gründlich, aber nicht mit übermäßiger Geschicklichkeit. Mit einigem Vergnügen stellte ich fest, daß ein Hausbesuch, den wir hatten, eine jüdische Dame, ohne allzu große Mühe sich den Herren von Zimmer zu Zimmer entziehen konnte; sie bekamen sie überhaupt nicht zu Gesicht, obwohl meine paar Zimmer doch eigentlich von SA wimmelten. Einmal sah ich die Dame in einem Winkel auf dem Balkon sitzen. Ich nickte ihr mit den Augen zu, und sie nickte lächelnd zurück: ich war doch froh, daß sie nicht entdeckt wurde, ihretwegen und auch ein wenig meinetwegen. Eine Jüdin im Hause wäre doch wieder eine zusätzliche Belastung gewesen.

      Auch die Durchsuchung der übrigen Räume gab nicht das geringste Belastende: in mürrischem Schweigen wurde auf den Boden gestiegen und dort eine Durchsuchung unserer leeren Koffer und Kisten vorgenommen. Ich stand an dem einen Bodenfenster, am nächsten standen der SA-Führer und der Gendarm im Gespräch. Plötzlich hörte ich den Gendarm entschieden sagen: »Es hat sich nicht der geringste Anhalt ergeben. Ich kann den Mann nicht verhaften.«

      Der Führer sagte hitzig: »Aber es ist so – wir haben die bestimmtesten Nachrichten. Sie müssen ihn festnehmen.«

      Der Gendarm stülpte sich den Tschako auf den Schädel und zog an seinem Koppel. »Ich kann es nicht und ich tue es nicht«, sagte er wieder mit Entschiedenheit. »Dann nehme ich ihn eben fest!« rief der SA-Führer giftig. »Tun Sie, was Sie wollen. Aber ich habe damit nichts zu tun!« antwortete der Gendarm und verließ den Bodenraum. Mit ihm ging die »Legalität« aus dem Hause, so also sah es mit der Befolgung der Göringschen Verordnungen aus! Bis zu dieser Minute hatte ich das Ganze noch für ein etwas lästiges, aber doch auch belustigendes Spiel angesehen: die Brüder konnten mir gar nichts wollen! Ich war unschuldig. Jetzt begriff ich, daß es darauf gar nicht ankam, wenn sie mir ernstlich an den Kragen wollten. Ich begriff, daß ich wirklich in Gefahr war, und daß es für mich besser sein würde, das Ganze nicht als eine »Lappalie« anzusehen. Ich würde vielleicht all meine Kraft und meinen Mut brauchen, um heil aus dieser Affäre herauszukommen!

      Ich wurde in mein Arbeitszimmer zurückgeführt und dort unter der Bewachung von zwei SA-Leuten zurückgelassen, die übrigen, auch der Führer, zogen ab. Wenn ich aus dem Fenster schaute, sah ich aber, daß auch an der Gartenpforte zur Straße ein SA-Posten stand. Wahrscheinlich würde auch hinter dem Hause, nach der Spree zu, solch ein Posten stehen. Ich schien ihnen wirklich sehr kostbar zu sein. Ich horchte in das Haus: alles war totenstill. Dieses Warten war qualvoll. Was hatten sie mit mir vor? Warum ließen sie mich hier? Ich sah in die Gesichter meiner beiden Bewacher und zog es vor, sie nicht zu befragen. Es waren die rohen Schlägergesichter von Männern, die in hundert Saalschlachten den Worten ihres Führers mit Schlagring und Stuhlbein Nachdruck verliehen hatten, es waren die gemeinen Gesichter bedenkenloser Männer, die auf ein Wort hier jeden Schädel zerschlagen hätten. Ich habe immer gefunden, daß dieses typische SA-Gesicht, dessen Hochkommen wir nach der Machtergreifung erlebten, am stärksten ausgeprägt in der Visage des Gauleiters Streicher war, dieses intimen Freundes des Führers, der das antisemitische Blatt »Der Stürmer« herausgab, ein so schmutziges Blatt, wie kein Intimitätenblatt je schmutzig gewesen ist. Wenn ich je diesen Mann auf einem Bilde sah, stieg der Haß in mir auf, ein Haß, der wahrhaftig nichts mit Politik zu tun hatte. Sondern diese kleinen Augen, die niedrige Stirn, das überentwickelte Kinn, und vor allem dieser Nacken mit seinen sechs, sieben Speckfalten – das charakterisierte so das Böse, den Ungeist, daß ich diesen Mann bei mir den »Henker«getauft hatte. Solche Visagen hatten auch meine beiden Bewacher, Leute, denen man es ohne Weiteres zutrauen konnte, daß sie ein Kind bei den Beinen faßten und mit dem Kopf gegen den Kühler ihres Autos schlugen, bis es tot war. (Das haben mir später Augenzeugen von des Führers Leibgarde, der SS erzählt, von dieser Elite-Formation, die auf solche Weise die Judenfrage löste!)

      Zwei, drei Stunden verstrichen über diesem Warten. Ich verstand es nicht. Später habe ich erfahren, daß die SA Schwierigkeiten gehabt hatte, für meinen Abtransport einen geeigneten Wagen aufzutreiben. Schließlich fuhr er aber doch vor, der älteste Wagen, in dem ich je gefahren bin, ein devastiertes, rumpelndes Gefährt von anno dazumal, das noch nicht einmal einen Starter hatte, sondern von vorn angekurbelt wurde. In dieses Gefährt, dessen Polster vollständig zerfetzt waren, wurde ich zwischen zwei SA-Leute gezwängt, vorn saß der Führer, der selbst chauffierte, mit einem weiteren SA-Mann. Wir fuhren los, in Richtung nach Berlin. Ich sah nach dem Haus zurück. Es war ein schöner Frühlingstag. Die Sonne spiegelte sich in den Scheiben, wenn ein Gesicht mir nachschaute, ich sah es nicht. Ich wagte nicht zu winken. Aber ich sah wohl, daß der Posten an der Gartentür auch nach meiner Abfahrt nicht eingezogen war, er wanderte weiter auf der Straße hin und her – bewachten sie nun auch meine Frau? Das Herz wurde mir schwer.

      Wir klapperten durch das Dorf, fuhren dann zwischen Feldern und kamen in den Wald, monotonen, dürren, jungen Kiefernwald, der bezeichnend für diese sandige Gegend ist, eigentlich nur dünne Stangen mit etwas Grünem oben drauf.

      Der Führer war jetzt merkwürdig höflich zu mir, immer wieder wandte er sich zurück (der Wagen hatte übrigens ein Stundentempo von höchstens zwanzig Kilometern), er forderte mich auf, doch zu rauchen und erkundigte sich sogar, ob wir nicht zu eng säßen. Sein so verändertes Wesen machte mich stutzig. In seiner Freundlichkeit lag soviel Gezwungenes, ja, etwas, das fast wie Angst war, jedenfalls war der Mann sehr aufgeregt. Ich war sehr auf meiner Hut, ich fühlte: er hat etwas vor. Vielleicht ist die Entscheidung ganz nahe.

      Plötzlich hielt der Wagen, mitten im dürren Walde, die Straße war ganz leer. Die beiden SA-Leute stiegen aus, auch vorne die beiden stiegen aus. Ich blieb sitzen. Ich sah zu, wie die vier an den Chausseerand traten und ihr Geschäft verrichteten. Dann blieben sie da stehen, zündeten sich Zigaretten an, sprachen leise miteinander, einer rückte an seinem Koppel, schob die Pistolentasche mehr nach vorn. Meine Unruhe stieg von Sekunde zu Sekunde … Der Führer ging über die Straße auf mich zu. Seine Stimme klang merkwürdig leise und erregt, als er sagte: »Wenn Sie vielleicht austreten möchten? Bitte sehr!« Sein Gesicht sah sehr bleich aus. Er sagte weiter an: »Wir werden noch eine ganze Weile fahren müssen, und diese olle Kaffeemühle schafft ja nichts!« Er versuchte zu lachen.

      Ich sagte kühl: »Danke vielmals. Ich brauche nicht auszutreten. Danke wirklich.«

      Er bestand darauf: »Nein, nein, erledigen Sie das bitte lieber jetzt. Nachher soll ich in einem Augenblick halten, wo es gar nicht paßt. Diese Kaffeemühle ist schwer wieder in Gang zu bringen. Also bitte sehr!« Das klang schon mehr wie ein Befehl.

      Aber während er so sprach, hatte ich immer die Überschrift einer vor kurzem gelesenen Zeitung vor Augen: »Auf der Flucht erschossen«. Wie gut das paßte: die stille Straße, der gleichförmige einsame Wald – sie würden mich meiner Frau ins Haus bringen: »Auf der Flucht erschossen. Tut uns leid, daß er so töricht war …« Nein, sie würden ihr einfach meine Sachen schicken, mit dem Vermerk: »Auf der Flucht erschossen!« Bedauern unnötig.

      Ich sagte kühl: »Ich danke wirklich! Ich muß nicht austreten, ich halte es noch Stunden aus!« Sein Gesicht rötete sich vor Zorn. Er sah zu seinen Leuten hinüber, die verstummt waren und zu uns hin sahen, die Zigarette im Munde. »Also machen Sie jetzt keine Geschichten!« sagte er grob. »Sie treten jetzt aus, ich befehle es Ihnen. Ich will keine Scherereien mit Ihnen haben!«

      Ich sah ihn fest an. »Und ich steige nicht aus diesem Wagen!« rief ich dann und klammerte mich mit den Händen in die Polster. Ich schrie ihm ins Gesicht: »Sie werden mich nicht auf der Flucht erschießen! Wenn Sie mich erschießen wollen, müssen Sie mich schon in Ihrem Wagen erschießen! Und wenn die Polster noch so zerfetzt sind, man wird es doch sehen!«

      Einen Augenblick sahen wir uns beide stumm an. Sein Gesicht war schneeweiß, wie wohl auch das meine. Plötzlich wandte er sich scharf um und rief zu seinen Leuten hinüber: »Ihr da, kommt mal her!« Ich klammerte mich noch fester, ich zitterte an allen Gliedern. »Sie sollen mich nicht hinausschleppen«, dachte ich. »Nur im Wagen sollen sie mich erschießen!« All mein Wille war nur darauf konzentriert, im Wagen erschossen zu werden, das wollte ich. Daß ich erschossen werden würde, das interessierte mich


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