100% Down Under. Wolf Stein

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100% Down Under - Wolf Stein


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nach einen schleichenden aber effektiven Baummord vollbracht hat. Das Resultat war ein bizarr wirkender Koloss aus unzähligen Wurzelsträngen. Vom ursprünglichen Baum darunter war nichts mehr zu sehen. Um uns dieses Meisterwerk der Evolution ansehen zu können, mussten wir den Bruce Highway verlassen und auf den Gillies Highway wechseln, der uns weiter ins Landesinnere brachte. Noch blieben die Distanzen, die wir täglich zurücklegten, im überschaubaren Bereich. Hundert Kilometer erschienen viel. Doch unser Tacho sollte noch einiges vor sich haben. Das letzte Bild vom prächtigen Schmarotzerbaum wurde geknipst und wir gingen zurück zum Auto.

      »So Anne ... und wohin fahren wir jetzt?«

      Wir entschlossen uns, dem matschigen Weg zu folgen, der mit dem gut klingenden Ziel Lake Tinaroo gekennzeichnet war. Diese Route verlangte unserem Ford alles ab. Es war eine einerseits wunderschöne, andererseits extrem anstrengende Fahrt. Sie führte entlang sonnendurchfluteter Wälder. Die Strahlen durchstießen die Kronen der Bäume und zauberten ein Wechselspiel aus Licht und Schatten. Das Schlechte daran: Ich konnte die tiefen Schlaglöcher, die in ausreichender Zahl auf der Waldpiste verteilt waren, kaum erkennen. Eine wahre Schaukelpartie. Für einen kurzen Moment dachten wir daran, lieber umzukehren, doch die Neugier auf das Kommende trieb uns voran. Und plötzlich war es soweit. Eine majestätische Allee baute sich vor uns auf. An deren Ende erspähten wir das im Sonnenlicht funkelnde Wasser. Dort lag er, Lake Tinaroo, ein riesiger See mit nordisch anmutender Uferumrandung. Tatsächlich dachten wir, uns hier nicht in Australien, sondern eher in Kanada zu befinden. Nadelwälder und kleine Berge - ein unerwartetes Panorama. Durch Zufall landeten wir auf einem einsamen Uferarm, der sich einige Kilometer in den See schlängelte. Die vorhandenen Feuerstellen und das Plumpsklo waren eindeutige Zeichen, dass es sich hier um eine gute Stelle zum Zelten handeln musste. Bevor wir jedoch unser Lager aufschlugen, badeten wir. Das Wasser war angenehm kühl, die Sonne trocknete und wärmte die nasse Haut. Wir fühlten uns frei. Am späten Nachmittag hämmerten wir die ersten Heringe in den Boden. Neben uns hatte Margeret ihren Wohnwagen platziert. Sie campte schon mehrere Tage hier.

      Bei Anbruch der Nacht suchten Anne und ich eine versteckt gelegene Feuerstelle am Wasser auf und entzündeten unser erstes eigenes Lagerfeuer. Wir brieten Hühnchensticks und Bouletten, die wir in Cairns gekauft hatten. Dazu servierten wir Folienkartoffeln, die wir vorher in die Glut gelegt hatten. Einige kamen etwas schwarz aus dem Feuer, dennoch schmeckten sie bestens. Es war ruhig um uns herum, kein Mensch in der Nähe. Nur das Knistern des brennenden Holzes, das leise Plätschern kleiner, ans Ufer schlagener Wellen und der ein oder andere quakende Frosch waren zu hören. Romantik pur. Wir erzählten ewig, genossen die Stille und wussten beide, wie gut es uns ging.

      Als ich am nächsten Morgen ziemlich früh den Reißverschluss unseres Zeltes öffnete, glaubte ich zu träumen. Über dem See lag leichter Nebel, die Sonne war gerade dabei, hinter einem Berg hervorzubrechen und ihre ganze Kraft zu entfalten. Es herrschte ein angenehmes Zwielicht und Totenstille. Solche Momente kann man sich nicht kaufen, für kein Geld der Welt.

      Wir blieben drei Tage am Lake Tinaroo. Aktivitäten wie Schwimmen, Spazieren, Faulenzen und Sonnen standen auf dem Programm. Nur irgendwelche Typen, die hin und wieder mit ihren Motorbooten Wasserski fuhren, störten die Idylle.

      Margeret setzte sich zu uns ans abendliche Feuer. Sie erzählte uns, dass sie genau dies liebe - am gemütlichen Feuer im Freien sitzen und sich mit netten Leuten unterhalten. Margeret stammte aus Canberra, der Hauptstadt Australiens. Sie war Mutter von zwei erwachsenen Söhnen und allein unterwegs. Ihr Mann hatte drei Jahre zuvor den Kampf gegen den Krebs verloren. Seit diesem Schicksalsschlag genieße und schätze sie das Reisen umso mehr, sagte sie. Man wisse nie, wie lange man noch lebt. Sie beneidete uns. Wir würden genau das Richtige tun.

      »Man sollte die Welt entdecken, solange man jung und fidel ist.«

      Außerdem zeigte sie sich beeindruckt von unserem Englisch. Wir fanden unsere Sprachkenntnisse nicht besonders ausgereift, aber unser bis zu diesem Zeitpunkt schon verbessertes Schulenglisch reichte immerhin für halbwegs tiefgreifende Gespräche. Im Allgemeinen zeigten sich die meisten Ausis, die wir trafen, beeindruckt, dass wir so gut Englisch sprechen konnten. Oft, weil sie selbst keine Fremdsprache beherrschten.

      Natürlich tauschten wir auch mit Margeret unsere Adressen und Telefonnummern aus. Zum einen gaben wir immer unsere Heimatadressen, zum anderen auch unsere Postanschrift in Down Under mit auf den Weg. In Australien hatten Anne und ich eine Hauptadresse, den Travellers Contact Point in Sydney. Dort wurden alle an uns gerichteten Postkarten, Briefe und Pakete aufbewahrt und uns je nach Wunsch in jede beliebige Ecke des Landes nachgeschickt. Dieser Service kostete für die Dauer eines Jahres 50,- Dollar pro Person. So war man mobil und konnte immer an seine Post gelangen.

      Wir brachen erneut auf und drehten eine letzte große Runde um den See bis hin zur Staumauer. Aha! Lake Tinaroo war also ein Stausee. Wenn der See künstlich angelegt wurde, entstammte der Nadelwald vermutlich auch menschlichen Ursprungs. Egal, uns gefiel es hier.

      Wenig später luden wir in Atherton neue Lebensmittel ein und zogen weiter zu den Inner Hot Springs - natürlichen heißen Quellen. Hier befanden wir uns einige hundert Meter über dem Meeresspiegel, was bedeutete, dass es nachts saukalt werden konnte. Sechzehn Dollar kostete die Übernachtung im Camp und der damit verbundene Zutritt zu den heißen Quellen. Nachdem unser Zelt stand, probierten wir sie ohne Umschweife aus. Es gab verschiedene Hallenbäder und knietiefe Wasserlöcher im Freien. Die rochen etwas komisch. Ihre Temperaturen reichten von angenehm warm bis kochend heiß. Zunächst testeten wir die natürlichen Badewannen. Danach probierten wir die überdachten Pools aus. Der erste Eindruck war schon nicht schlecht.

      Es wurde finstere und vor allem frostige Nacht. Wir lagen im schönen, warmen Wasser und betrachteten die Sterne, die hier unten viel größer und näher wirkten als zu Hause. Sternbilder, die wir nicht kannten, schienen zum Greifen nahe.

      Am darauffolgenden Morgen war es im wahrsten Sinne des Wortes eisig. An der Außenwand des Zeltes hatte sich ein dünner Film aus gefrorenem Wasser abgesetzt. Und was tut man, wenn es draußen friert und die Wärme aus dem Inneren der Erde nur wenige Meter von einem entfernt ist? Richtig! Man verliert keine Zeit, schnappt sich ein Handtuch und flitzt halb nackt den heißen Quellen entgegen.

      »Ahhhhh, ist das schöööön«, sagte Anne genussvoll.

      Wir hüpften von einem Pool zum anderen. Während ich draußen blieb, entschied sich Anne plötzlich für ein heißes Becken im überdachten Bereich. Dort plapperte sie sich fest. Wie Frauen nun mal so sind. Sie können sich stundenlang über dieses und jenes unterhalten und merken dabei gar nicht, wie die Zeit vergeht.

      Ich weiß nicht, wie lange sie in diesem heißen Wasser mit den anderen Damen tratschte. Es genügte ihrem Kreislauf jedoch, sich für eine Weile zu verabschieden. Als ich die Halle betrat, lag Anne da - Augen zu, auf einer Bank. Ich dachte, sie ruhe sich aus. Doch als sie wieder halbwegs alle Sinne zusammen hatte, erzählte sie mir, dass sie, dem heißen Becken entstiegen, sofort die berühmte schwarze Wand vor Augen hatte. Daraufhin hätte sie sich an eine Mauer gelehnt und sei wie ein nasser Sack zusammengesunken. Halb blind hätte sie den Weg auf die Liegebank gefunden, auf der sie sich jetzt auskurierte.

      »Dass du es auch immer übertreiben musst«, meinte ich nur.

      Passend zu diesem Vorfall notierte Anne im Reisekalender kurz und treffend: Samstag, 19. Juni - Inner Hot Springs - heißes Bad - abgeklappt!

      Auch die heißen Quellen ließen wir hinter uns. Auf dem Weg zurück zur Küste wurde die Wasserfalltour durch diverse Nationalparks, die oft schon den Namen der schönsten in ihnen beheimateten Kaskade trugen, fortgesetzt. Zu beschreiben, wie die Wasserfälle und deren jeweilige Umgebung aussahen, würde den Rahmen sprengen, darum folgt nur eine kurze Aufzählung der besichtigten Naturwunder: Millstream Falls, Tully Falls, Pepina Falls, Souita Falls, Millaa Millaa Falls, Zilli Falls, Ellinja Falls, Mungalli Falls, Gregory Falls und die Josephine Falls. Wir entwickelten uns zu regelrechten Wasserfalljägern - von diversen Lookouts ganz zu schweigen. Nahe der Stadt Babinda stoppten wir an einem Ort namens The Boulders. Teufelsschluchten und Rockpools warteten hier als Hauptattraktionen auf uns. Die Gelegenheit, eine Runde zu schwimmen.

      »Hui, also das nenne ich eiskaltes Wasser!« bibberte ich.


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