Homer: Die Odyssee. Ulrich Karger

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Homer: Die Odyssee - Ulrich Karger


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Göttin zu nutzen, um sich des traurigen Geschickes von Odysseus anzunehmen.

      Pallas Athene, die Göttin der Weisheit schätzte den Helden Odysseus sehr. Neben seiner nicht geringen Körperkraft wusste er seinen listenreichen Verstand als Waffe einzusetzen, und vor einer Unternehmung widmete er zumeist ihr seine Gebete und Opfergaben – ihr, Pallas Athene, der dem Kopf des Zeus entsprungenen Tochter.

      Zeus schüttelte gerade, wie so oft, seinen Kopf über die Kurzsichtigkeit der Menschen. Er erinnerte die Götterrunde an die Mörder des Heerführers gegen Troja. Ließen sie sich etwa von ihrer Schandtat abhalten, obwohl sie vom Götterboten Hermes gewarnt worden waren? Als sie dann aber die Rache des Orestes ereilte, jammerten sie, die Götter seien an allem Übel schuld. Bevor Zeus jedoch auf ein Neues ausholen konnte, unterbrach ihn Athene: „Die Mörder Agamemnons haben ihre Strafe mehr als verdient. Wie aber steht es mit Odysseus? Warum hast du kein Mitleid mit ihm, Vater? Hat er uns Göttern an Trojas Strand zu wenig geopfert? Oder warum verfolgst du ihn mit deinem Zorn?“

      Zeus antwortete: „Mein Kind, weder verfolge ich Odysseus noch habe ich seine Opfergaben für uns Himmelsbewohner vergessen. Es ist mein Bruder Poseidon, der immer noch gegen Odysseus wütet, weil dieser vorzeiten seinen Sohn Polyphem geblendet hat.

      Aber du hast Recht, wir sollten jetzt die Heimkehr dieses unglücklichen Menschen beschließen. Poseidon muss sich endlich wieder beruhigen, und dem Willen von uns allen kann auf Dauer selbst er nicht widerstehen.“

      Auf dieses Stichwort hatte Athene nur gewartet: „So lasst uns Hermes zur Insel Ogygia senden, damit er der Nymphe Kalypso unseren Ratschluss mitteilt. Ich aber will in Ithaka nach dem Rechten sehen.“

      Schon hatte die Göttin ihre goldenen Sandalen festgeschnürt, mit denen sie wie der Wind über die endlosen Weiten von Wasser und Land jagen würde. Dann nahm sie den gewaltigen Speer mit der eisernen Spitze in ihre mächtige Faust und schwang sich vom Gipfel des Olymp hinab.

      ***

      Telemach saß verzweifelt in einer Ecke des königlichen Hofes.

      Um ihn herum vertrieben sich die heiratsfähigen Söhne der nachbarlichen Fürstentümer die Zeit mit Brettspielen, oder sie lagen faul ausgestreckt auf den Häuten der von ihnen in großer Zahl geschlachteten Rinder. Alle diese Tagediebe freiten um die Hand seiner Mutter und hofften an ihrer Seite die Krone über Ithaka zu erringen.

      An der Schwelle zum Hof verweilte ein fremder Mann. Ein weiterer Freier? Nein, dazu war er zu alt, und wie er bescheiden und zugleich würdevoll abwartend dastand, unterschied er sich doch erheblich von der unbekümmert feiernden Gesellschaft.

      „Wer weiß, vielleicht hat er ja etwas von Odysseus zu berichten“, dachte Telemach. „Außerdem soll mich dieser Abschaum nicht auch noch an der Wahrung des üblichen Anstandes hindern.“

      Hastig erhob er sich nun, um dem Fremden nach alter Sitte die Hand zu reichen und den Speer abzunehmen: „Sei willkommen, Fremder! Dir soll sogleich Essen und Trinken gereicht werden. Bist du dann satt, kannst du mir erzählen, was dich hierher geführt hat!“

      Mit diesen Worten geleitete er den neuen Gast in das Innere der hohen Halle. Den Speer stellte Telemach in den Ständer zu den verwaisten Speeren des Odysseus, dann rückte er abseits von den Plätzen der Freier zwei weich gepolsterte Sessel und Fußschemel zurecht. Gerade hatten sie es sich bequem gemacht, eilte schon eine eifrige Dienerin mit einer goldenen Kanne und einem silbernen Becken herbei. In der Kanne war Wasser, das ihnen über die Hände gegossen wurde, um dann in das daruntergehaltene Becken zu tropfen. Als Nächstes wurden ihnen von der Wirtschafterin auf einer Tischtafel Brot und allerlei Beilagen, vom Fleischzerleger große Schüsseln mit verschiedenen Fleischsorten vorgesetzt. Ein vierter Diener wiederum achtete darauf, dass die gereichten goldenen Becher immer randvoll mit Wein gefüllt sein würden.

      Inzwischen drängten die Freier herein und verlangten ebenfalls nach Speise und Trank. Wie Telemach und sein neuer Gast ließen sie sich Tische heranschieben und die Hände mit Wasser abspülen. Anmutige Mädchen mussten körbeweise Brot austeilen und halbwüchsige Knaben hatten ihre Kelche zu füllen. Noch mit schmatzenden Mündern riefen die Unersättlichen dann nach Tanz und Gesang.

      Der berühmte Sänger Phemios konnte sich den Zurufen der Freier nicht lange entziehen und stimmte auf den Saiten seiner schöngeschwungenen Harfe ein Vorspiel an. Diese Ablenkung nutzte Telemach, um dem Fremden hinter vorgehaltener Hand zuzuflüstern: „Verzeih, lieber Gast, darf ich dich nun fragen, wer du bist und welches Schiff dich hierher getragen hat? Bist du etwa ein Gastfreund meines Vaters Odysseus? Er hatte viele Freunde und verstand sich auf den Umgang mit Menschen.“

      Darauf antwortete ihm der Fremde: „Ich bin Mentes, der Sohn des Herrschers auf Taphos, und ich bin mit meinen Männern unterwegs, um in Temesa Kupfer einzuhandeln. Mein Schiff habe ich soeben am unbefestigten Strand außerhalb der Stadt gelandet.

      Wir Taphier sind mit euch Ithakesiern schon seit Väter Zeiten befreundet. Da brauchst du nur deinen Großvater Laërtes zu fragen. Dieser alten Freundschaft wegen bin ich auch zu deinem Haus gekommen.

      Außerdem wurde mir erzählt, dein Vater sei endlich heimgekehrt. Aber das war wohl nur ein Gerücht. Die Götter scheinen ihn noch immer an der Heimkehr zu hindern.

      Im Geiste sehe ich ihn auf einer Insel, gefangen gehalten von feindseligen Mächten. Nicht dass ich ein Seher wäre oder mich auf die Deutung des Vogelfluges verstünde, aber in einem bin ich mir sicher, als hätten es mir die Götter eingegeben: Dein Vater lebt, und er wird bald zurückkehren. Er sinnt auf Flucht, und dank seines erfinderischen Geistes wird sie ihm gewiss auch gelingen. Aber sag': Du bist ein leiblicher Sohn des Odysseus, nicht wahr? Die Augen, das ganze Gesicht, gleichen ihm auffallend!“

      Telemach erklärte darauf: „Ja, ich bin ein Sohn des Odysseus. Ich wäre jedoch lieber der Sohn eines glücklicheren Vaters, der sein Alter in Ruhe genießen kann, anstatt irgendwo in der Ferne verschollen zu sein.“

      Aber hierauf ging der Taphier gar nicht ein.

      „Die Götter werden den Namen eures Geschlechtes nicht untergehen lassen. Penelope hat, wie ich sehe, dem Odysseus einen würdigen Nachfolger geboren. Doch erkläre mir einmal, was hier eigentlich vor sich geht. Gibst du ein Fest für Freunde, oder ist das etwa eine Hochzeit? Die Leute hier scheinen ja außer Rand und Band zu sein.“

      „Ach, lieber Freund“, seufzte Telemach, „was soll ich dir darauf antworten? Seitdem mein Vater als verschollen gilt, benehmen sich die Männer aus der Nachbarschaft, als seien sie die Herren über unseren Besitz.

      Am meisten hat meine Mutter unter ihnen zu leiden. Diese Schurken bedrängen sie, obwohl ihre ganze Sehnsucht nach wie vor meinem Vater gilt. Unterdessen verkommt hier alles, und am Ende wird man wohl auch noch nach meinem Leben trachten.“

      „Bei den Göttern“, entfuhr es Mentes, „diesem schamlosen Treiben muss ein Ende gesetzt werden! Da dir dein Vater nicht zur Seite stehen kann, höre auf meinen Rat: Berufe gleich morgen eine Ratsversammlung ein und fordere bei der Gelegenheit die Freier zum Verlassen deines Hauses auf! Denn wollte deine Mutter tatsächlich wieder heiraten, soll sie sich zu ihrem begüterten Vater begeben. Es ist letztendlich sein Recht und seine Pflicht, die Hochzeiten seiner Tochter auszurichten.

      Als Nächstes fordere von der Versammlung ein Schiff mit zwanzig Ruderern. Gehe damit auf Erkundungsfahrt! Fahre am besten zuerst nach Pylos und wende dich dort an den hoch geehrten Nestor.

      In Sparta solltest du beim blonden Menelaos dein Glück versuchen. Er ist als Letzter von Troja nach Hause gekehrt. Hast du dann erfahren, dass dein Vater noch lebt, solltest du geduldig ein weiteres Jahr auf ihn warten.

      Wurde dir jedoch vom traurigen Gegenteil berichtet, nun, so errichte deinem Vater einen Totenhügel und lege so viele Gaben hinein, wie es seinem ehrenden Angedenken gebührt. Wie auch immer – als Nächstes musst du dir überlegen, wie du dich an den Freiern rächst, falls sie nach deiner Rückkehr noch immer dein Haus verwüsten. Du bist schließlich der Sohn des Odysseus und kein Kind mehr.

      Denke an den Ruhm des Orestes, den er erwarb, als er die Mörder seines Vaters Agamemnons tötete.“


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