Homer: Die Odyssee. Ulrich Karger

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Homer: Die Odyssee - Ulrich Karger


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Meine Gefährten erwarten mich sicher schon ungeduldig.“

      Telemach wollte diesen hilfreichen alten Freund der Familie zum Bleiben überreden. Wenigstens so lange, bis er ihm ein Gastgeschenk ausgesucht habe. Aber Mentes hatte es eilig, wegzukommen.

      Und ehe Telemach erneut zur freundlichen Widerrede ansetzen konnte, war sein Gast einem Vogel gleich durch den Rauchfang entflogen.

      Telemach hatte offenkundig eine Gottheit zu Gast gehabt, und diese Gottheit war ihm wohl gesinnt. Derart in seinem Selbstvertrauen gestärkt, wendete er sich nun wieder den Freiern zu.

      Ihnen sang und spielte noch immer Phemios auf. Hingerissen lauschten die Freier seinem Lied über die unglückliche Heimfahrt der Achaier von Trojas Strand. Dieser Gesang zog auch Penelope an.

      Sie kam mit zwei Dienerinnen die Stufen herabgestiegen. Auf der Schwelle zum Saal wartete sie, bis das Lied beendet war. Dann sprach sie unter Tränen zu dem Sänger: „Mein lieber Phemios, du kennst viele herrliche Lieder über Götter und Menschen. Warum wählst du jetzt nicht ein anderes aus? Die Männer werden dir nicht weniger andächtig zuhören. Nur singe nicht mehr von der Heimkehr der Achaier! Ich weine nun schon so lange um meinen Gemahl, und ich werde ihn auch ohne dein Lied gewiss nicht vergessen.“

      Da fiel ihr Telemach ins Wort: „Liebe Mutter, Zeus allein ist dafür verantwortlich, was die Menschen bewegt. Außerdem wollen die Zuhörer immer die neuesten Lieder hören und spenden für sie den größten Beifall. Dafür musst du Verständnis haben. Bedenke, dass nicht nur Odysseus die Heimkehr verwehrt worden ist: Wie viele sind vor Troja gefallen und werden nie zurückkehren! Geh also wieder an deinen Platz und kümmere dich um die Geschäfte der Frauen. Hier unten aber gilt das Wort des Mannes im Haus, und der bin ich.“

      Penelope war erstaunt über die bestimmte Rede ihres Sohnes. Beklommenen Herzens stieg sie die Treppe zu ihrer Kammer empor. Wie sehr fehlte ihr doch der schützende Arm ihres geliebten Mannes. Weinend ließ sie sich auf das Lager sinken, und umgeben von ihren Mädchen weinte sie, bis Athene ihr sanft die Augenlider mit Schlaf beschwerte.

      Nach dieser kurzen Unterbrechung hatten die Freier wieder ihr übliches Lärmen aufgenommen. Alle wünschten lauthals, mit Penelope das Lager zu teilen. Aber auch vor ihnen hielt sich Telemach nun nicht mehr zurück: „Euer schlechtes Benehmen muss ein Ende haben! Heute könnt ihr meinetwegen noch das Mahl beenden und in Musse dem Sänger lauschen. Aber morgen früh lade ich euch auf den Markt vor. Der Rat soll mein Zeuge sein, wie ich euch verabschiede.

      Ihr habt doch alle eigene Güter, von denen ihr reihum leben könntet. Ich jedenfalls bete zu den Göttern, dass sie euch für euer schändliches Treiben endlich bestrafen.“

      Im ganzen Saal war es still geworden. So mancher Freier biss sich verlegen auf die Lippen. Nur einer von ihnen, Antinoos, setzte sogleich zur spöttischen Gegenrede an: „Das haben dir wohl die Götter eingegeben! Da kann man ja nur hoffen, dass sie dich nicht noch eines Tages über uns zum König einsetzen.“

      „Oh Antinoos", erwiderte darauf Telemach, „wenn mir Zeus die Herrschaft über Ithaka antragen sollte, werde ich sie nicht ausschlagen. Herrscher zu sein ist sicher nicht das Schlechteste. In unserer Gegend gibt es jedoch genügend Männer von Adel. Wollte irgendein anderer die Nachfolge von Odysseus antreten, könnte ich das kaum verhindern. Um die Herrschaft über mein Haus und über meine Leute werde ich allerdings zu kämpfen wissen!“

      Eurymachos, der Sohn des Polybos, versuchte zu vermitteln: „Wer in Zukunft über Ithaka herrschen wird, das wissen allein die Götter, und es wird auch keiner bestreiten, dass du über euer Anwesen das Sagen hast. Aber etwas anderes:

      Wer war denn der geheimnisvolle Fremde? Er wurde uns gar nicht vorgestellt. Wusste er vielleicht etwas über den Verbleib deines Vaters?“

      „Nein, nein – und selbst wenn, auf Gerüchte gäbe ich nichts mehr. Der Mann war Mentes, ein alter Gastfreund unserer Familie.“

      Noch während er redete, kam es Telemach in den Sinn, dass es Athene gewesen sein könnte, die ihm in der Gestalt des Mentes erschienen war. Hatte seine Mutter nicht des Öfteren erzählt, dass Athene schon seit langem dem Hause ihrer Familie gewogen war?

      Erst spät in der Nacht hatten die Freier genug von Tanz und Gesang. Aber Telemach wahrte die Rolle des Gastgebers und verließ als Letzter die hohe Halle.

      Den Weg über den Hof zu seiner Kammer leuchtete ihm die alte Eurykleia aus. Der Großvater Laërtes hatte sie einst für zwanzig Rinder zusammen mit dem Gut gekauft. Damals war sie noch ein junges Mädchen, und sie hatte dem Laërtes gefallen. Um seine Gemahlin jedoch nicht zu kränken, hatte er Eurykleia nie berührt, sie aber dennoch wie eine zweite Gemahlin geehrt. Jetzt war sie die treue Dienerin des Telemach, dessen Heranwachsen sie schon von Kindesbeinen an begleitete.

      Als die beiden Telemachs Kammer betreten hatten, setzte er sich aufs Bett, entledigte sich seines Gewandes und warf es der alten Frau in die Arme. Eurykleia strich es ordentlich zurecht und hängte es an den hölzernen Kleiderhaken. Dann entfernte sie sich lautlos, zog an dem silbernen Ring die Tür hinter sich zu und schob den Riegel mit dem Riemen vor. Telemach aber hatte sich auf seinem Lager mit weichen Schaffellen zugedeckt und war schon in Gedanken auf der Reise, zu der ihm die Göttin geraten hatte.

      [1] Moiren, sprich: Meu-ren

      [2] Laërtes, sprich: La-er-tes

      2 Ein Schiff für Telemach

      Am Horizont schimmerten die ersten zarten Strahlen der Morgenröte, als Telemach die Augen öffnete. Er stand auf, kleidete sich an und gurtete sein scharfes Schwert um die Schulter. So für den Tag gerüstet, trat er unter seine Bediensteten und befahl den Ausrufern, alle Männer für eine Ratsversammlung auf dem Markt zusammenzurufen.

      Als er sich dann auf den Platz seines Vaters setzte, meldete sich gerade der alte Aigyptios zu Wort. Einer seiner Söhne war Antiphos und mit Odysseus gegen Troja ausgefahren. Ein anderer war Eurynomos, der sich zum Kumpanen der Freier gemacht hatte.

      „Leute von Ithaka! Seit Odysseus fort ist, hat es keine Versammlung mehr gegeben. Weiß jemand, wer uns heute geladen hat und worum es eigentlich geht? Auf jeden Fall ist es gut, dass sich wieder jemand um unser Gemeinwohl kümmert. Zeus segne diesen Mann, ganz gleich, was ihn dazu bewogen haben mag!“

      Eine bessere Einleitung konnte sich Telemach gar nicht wünschen. Darum erhob er sich sogleich wieder und bat ums Wort: „Edler Greis, du sollst nicht länger im Ungewissen bleiben: Ich war es, der euch hier zur Versammlung geladen hat. Aber es handelt sich nicht um ein Anliegen des Gemeinwohls, sondern ich will hier und jetzt die Interessen meines eigenen Hauses vertreten.

      Mein Haus wird verwüstet und ausgeraubt. Nicht etwa von unbekannten Strauchdieben, sondern von den Söhnen und Erben der vornehmen Familien unseres Landes. Darüber hinaus bedrängen diese Helden meine Mutter, einen von ihnen zum Mann zu nehmen, obwohl sie es nicht will. Nach alter Sitte müssten sie dazu außerdem zu Ikarios, dem Vater meiner Mutter, gehen, der dann einen Mann seiner Wahl bestimmen würde. Aber das wagen sie nicht, denn sonst hätten sie keine Ausrede mehr, sich weiterhin an meinen Gütern zu vergreifen.

      Hätte euch“, sprach er dann die Freier an, „mein Vater seinerzeit etwas Rachewürdiges angetan, wäre ich vielleicht etwas weniger aufgebracht. So aber kann ich nur hoffen, dass ihr alsbald der Rache der Götter zum Opfer fallen werdet.“

      Tränen der Wut waren Telemach bei seinen letzten Worten in die Augen geschossen, so dass er am Ende den Rednerstab weit von sich schleuderte. Antinoos jedoch zeigte sich davon nicht sonderlich beeindruckt: „Telemach, du scheinst ja wirklich noch als Volksredner enden zu wollen!

      Was fällt dir eigentlich ein, uns vornehme Achaier derart zu beleidigen? Deine Mutter ist es doch, die uns an der Nase herumführt! Und das schon seit fast vier Jahren!

      Es begann damit, dass sie uns allen Botschaften schickte. Nach und nach erweckte sie in jedem von uns falsche Hoffnungen und hat uns dadurch gegenseitig im Zaum gehalten. Als das keine Wirkung mehr zeigte, griff sie zu einer neuen Hinterlist: Sie wolle sich


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