Kowalskis Mörder. Ole R. Börgdahl
Читать онлайн книгу.nickte. »Das ist natürlich eine gute Erklärung.« Er hielt der jungen Frau die Karte hin. »Das ist aber keine Dauerkarte, sondern eine Ehrenkarte. Da bin ich sehr stolz drauf, obwohl ich immer sage, dass ich gerne auch Eintritt zahlen würde. Jeder Euro zählt, um das Schwimmbad in Stand zu halten, aber sie lassen mich nicht.« Harald Prossmann zuckte mit den Schultern.
Nadine lächelte, wusste aber anscheinend nicht, was sie darauf erwidern sollte.
»Ich verspreche Ihnen, am nächsten Sonntag aufmerksamer zu sein, meine liebe Nadine. Wir sehen uns.«
Harald Prossmann hielt seine Ehrenkarte noch immer in die Höhe, ging zwei Schritte rückwärts, wandte sich dann um und passierte endlich das Drehkreuz. Er ging an Kai Bokel vorbei, der ihm links in den Gang folgte. Marek ging ebenfalls zum Drehkreuz, blieb stehen, beugte sich vor und blickte den beiden Männern nach, die schließlich durch eine Glastür verschwanden. Nach wenigen Sekunden war im Eingangsbereich der Schwimmhalle nur noch das Knurren der Automaten zu hören.
Marek hatte seine Anweisungen. Er ging zu einem der Automaten, schaute sich das Angebot an und entschied sich für ein Twix. Mit dem Schokoladenriegel in der Hand setzte er sich an den mittleren der drei Tische. Sein Blick fiel auf die große Panoramascheibe, die den Eingangsbereich von der Schwimmhalle trennte. Er erhob sich wieder, zog den Stuhl dichter an die Scheibe heran, setzte sich und schlug die Beine übereinander. Er biss von seinem Twix ab und begann die Welt hinter der Panoramascheibe zu sondieren.
Er zählte die Startblöcke. Es gab zehn Schwimmbahnen zu je fünfzig Metern Länge. Die Anzahl der Schwimmer war überschaubar. Die Mitglieder der Frühstücksrentnergruppe belegten vier der zehn Bahnen. Zwei Männer mit weißen Gummibademützen machten noch Tempo, lieferten sich anscheinend ein Rennen und waren dabei fast gleich auf. Marek verfolgte die beiden noch eine weitere Bahn lang, ohne einen möglichen Sieger ausmachen zu können. Die Schwimmer verursachten leichte Wellen auf der ansonsten glatten Wasserfläche. Und dann war da auch noch der Bademeister, ein bärtiger, junger Mann, der gelangweilt auf einem Plastikgartenstuhl in der Nähe des Beckenrands saß. Plötzlich erhob er sich, ging einmal die Fünfzig-Meter-Bahn entlang und denselben Weg zurück, bis er sich wieder in seinen Stuhl setzte. Er blieb dort leicht vorgebeugt sitzen, ohne weiter das Gesicht zu verziehen.
Mareks Blick wanderte zu einer Gruppe von Frauen, die sich in einer Ecke in der Nähe des Beckenrands mit ruhigen Armbewegungen über Wasser hielten. Das leichte Nicken ihrer Köpfe verriet, dass sie sich unterhielten. Dann wurden sie von einem Mann angesprochen, der bereits im Bademantel am Beckenrand stand. Die Damen wandten sich zu ihm um und sprachen mit ihm. Zwei weitere Mitglieder der Frühstücksrentnergruppe traten dazu. Einer Dame wurde aus dem Wasser geholfen, man reichte ihr ein großes Handtuch und brachte ihr die Badelatschen. Die Gesichter der Männer und Frauen zeigten, dass sie lachten, eine fröhliche Runde am frühen Sonntagmorgen.
Marek suchte noch einmal nach den Schwimmern, die ihren Wettkampf beendet hatten und jetzt auf dem Rücken schwimmend langsam durchs Wasser glitten. Dann wurde auf der Zuschauertribüne ein Handtuch geschwenkt. Marek nahm die Bewegung war und blickte nach oben. Offenbar hatten sich die übrigen Frühstücksrentner dort versammelt. Ein Mann, der bereits wieder seine Straßenkleidung angezogen hatte, machte die Untenstehenden auf sich aufmerksam, gestikulierte und sprach mit ihnen. Marek konnte nicht genau erkennen, was auf der Zuschauertribüne vor sich ging. Jemand brachte Geschirr und Besteck, ein langer Tisch wurde eingedeckt, Stühle dazugestellt. Einige der Rentner setzten sich.
Dann liefen zwei Männer an der Panoramascheibe vorbei. Sie trugen kleine Handtücher über den Schultern. Marek erkannte den SLK-Fahrer, der seine Badelatschen auszog und kurz ins Wasser sprang, aber sofort wieder über die Leiter aus dem Becken stieg. Der andere Mann kniete sich zur Wasseroderfläche hinunter und benetzte sich Oberkörper und Gesicht. Der SLK-Fahrer hatte bereits einen der Startblöcke betreten und lockerte sich mit schwingenden Armen. Als sein Kontrahent ebenfalls den Startblock betrat, rechnete Marek schon mit einem Wettschwimmen. Die beiden Männer sprangen jedoch nacheinander ins Wasser, tauchten ab, streckten sich und zogen ohne Eile die erste Bahn. Eine Kehre, erneutes Tauchen. Dann zog der SLK-Fahrer an, machte ein paar kräftige Kraulbewegungen und ließ sich schließlich wieder im Wasser gleiten.
Der Schwimmer auf der Nebenbahn tat es ihm nach ein paar Sekunden gleich. Sie wiederholten die Prozedur einige Male, bis sie wieder den Anfang der Bahn erreichten. Mit einer flüssigen Bewegung glitten sie aus dem Wasser, betraten erneut die Startblöcke und dann wurde es ernst. Irgendein Zeichen ließ die beiden schlanken, muskulösen Körper der Männer explodieren. Sie stießen sich kraftvoll von den Startblöcken ab, peitschten ins Wasser und nahmen dort rasch Tempo auf.
Marek verfolgte gespannt das Rennen. Nach zwei Bahnen hatte der SLK-Fahrer das Nachsehen. Die Männer lockerten sich im Wasser, stiegen heraus, gingen auf die Startblöcke und waren mit einem Satz erneut im Wasser. Es ging erneut über zwei Bahnen, wieder schlug der SLK-Fahrer als zweiter an. Erst im dritten Durchgang errang er den Sieg, der den beiden Schwimmern nicht das Wichtigste zu sein schien.
Marek hatte genug gesehen. Harald Prossmann und Kai waren noch nicht in der Schwimmhalle erschienen. Marek nahm sein Smartphone. Er überlegte, öffnete dann die HIKE-App und begann eine Nachricht für Kowalskis Mörder zu tippen. Er beschrieb grob die Personen, die sich in der Schwimmhalle aufhielten und das Harald Prossmann jeden Moment dazu kommen würde. Marek zögerte, stellte dann aber doch die Frage, ob es jemanden gäbe, mit dem er in oder außerhalb der Schwimmhalle Kontakt aufnehmen solle. Er schickte die Nachricht ab. Wenig später betraten Harald Prossmann und Kai das Hallenbad.
Harald Prossmann trug einen blauen Bademantel. Marek sah noch, wie er sein ständig präsentes Smartphone in die rechte Seitentasche gleiten ließ. Kai ging ein paar Schritte vor ihm und hatte lediglich ein weißes Handtuch über den Oberkörper geworfen. Die beiden Männer gingen direkt zu den Duschen. Mareks Handy gab in diesem Moment einen Signalton von sich. Kowalskis Mörder hatte geantwortet.
»Niemanden ansprechen! Bereithalten! Wir melden uns!«
*
Thomas hatte sich auf den einzelnen Stuhl in Steffanie Hartfelds Miniküche gesetzt. Die Analoguhr an der Wand tickte auffallend laut. Es war zwanzig nach acht, als er sein Smartphone zückte und zunächst Kerstins Handynummer wählte. Dann las er Steffanie Hartfelds Handynummer von dem Zettel ab, den Marek ihm aufgeschrieben hatte. Marek hatte die Nummer in Kerstins altem Notizbuch gefunden, das sie in ihrem inzwischen gemeinsamen Arbeitszimmer aufbewahrte. Thomas horchte jeweils angestrengt, ob irgendwo in der Wohnung ein Klingeln zu vernehmen war. Die beiden Frauen und auch ihre Telefone waren nicht an diesem Ort, das schien erst einmal sicher zu sein. Es meldete sich auch keine von beiden auf den Anruf. Thomas ließ es sogar lange genug klingeln, bis jeweils die Mailbox ansprang. Er sah sich in der kleinen Küche um. Er wollte sich gerade in Richtung Kühlschrank erheben, als er selbst einen Anruf erhielt. Kurz blinkte die Weiterleitung von Mareks Festnetzanschluss auf.
»Hallo?«, meldete Thomas sich erwartungsvoll und wurde von einer Männerstimme enttäuscht.
»Hier ist die Polizei, wer ist da bitte?«, fragte der Anrufer mit fester Stimme.
Thomas atmete durch. »KOK Leidtner.«
»Warum sagen Sie das nicht gleich. Polizeimeister Seemann hier. Sie hatten die Suche nach einem Kraftfahrzeug, einem roten Opel Astra Kombi, Typ K, beauftragt.« Der Polizeimeister nannte das Kennzeichen. »Die Halterin ist eine Frau Dr. Kerstin Sander.«
»Das ist er, haben Sie den Wagen gefunden?«
»Ja, darum rufe ich doch an.«
»Wo?«, fragte Thomas.
»Köpenick, Kladden Straße 27«, antwortete der Kollege.
»Moment!« Thomas stutzte, ging mit dem Telefon in der Hand ans Küchenfenster und blickte hinunter auf die Straße. Zwei Streifenwagen standen quer auf dem Bürgersteig, einer der Beamten beugte sich in seinen Wagen und telefonierte, während sich ein zweiter Beamter das Kennzeichen eines roten Opel Astras notierte und dann um den Wagen herumging.
»Und das zweite Fahrzeug?«, fragte Thomas. »Wir suchen auch noch einen weißen Astra. Halterin ist eine