Auf fremden Pfaden. Karl May
Читать онлайн книгу.gar nicht mehr, seit welcher hier in den Randbergen ein Arzt gesehen wurde. Kommt, Mynheer, wir wollen etwas scharf zureiten! Ihr müßt nämlich wissen, daß Mietje es nicht liebt, ihren Pony zu langweilen!«
Wir ließen nun die Pferde ausgreifen, und ich bemerkte allerdings bald, daß Mietje ihr Tier ausgezeichnet zu behandeln verstand. Ein ungewöhnliches Interesse erwachte in mir für die fremdartige Reiterin. Wie kam die Kafferin zu dem christlichen Namen Marie? Wie zu dem beinahe verwandtschaftlichen Verhältnisse zu dem berühmten Boersführer? Ihrem vorteilhaften Äußeren nach mußte sie einem ausgezeichneten Stamme angehören; vielleicht war sie eine Aatomba oder eine Lagoanerin. Wer war die kranke Mutter? Das Mädchen sah nicht aus, als ob es eine kaffrarische Erziehung genossen habe.
Diese Gedanken und Betrachtungen wurden durch eine hinter uns rufende Stimme unterbrochen. Ich wandte mich um. Hart an den Hufen unserer Pferde trabte der dicke Brabanter, doch ohne Reiter. Der letztere lag eine kleine Strecke weiter zurück, streckte Arme und Beine kerzengrad in die Luft und schrie aus Leibeskräften:
»Mynheer halt – Mnyheer wart'! Oh, oh – au, oh! Quimbo hab' nicht mehr Pferd, und Pferd hab' nicht mehr Quimbo! oh, au! Pferd lauf, und Quimbo kann nicht mehr lauf und nicht mehr reit'; Quimbo hab' nicht mehr Arm und nicht mehr Bein, Quimbo lieg' an der Erd und bin tot!«
Ich mußte lachen, und auch Kees Uys stimmte ein. Das Mädchen aber kehrte zu dem verunglückten Stammverwandten zurück, warf sich vom Pony und bog sich zu ihm nieder.
»Du heißest Quimbo? Hast du dir Schaden gethan?« fragte sie ihn.
»Ja, Quimbo heiß' Quimbo; aber nicht Quimbo hab' Quimbo Schaden gethan, sondern Pferd hab' Schaden gethan Quimbo.«
»Was thut dir weh? Wo schmerzt es dich? Im Rücken?«
»Nur Rücken soll schmerz' Quimbo? Oh, oh, der ganz' Quimbo thu' Quimbo weh. Quimbo bin nicht mehr am Leben; Quimbo bin tot!«
Auch ich stieg vom Pferde, um zu sehen, ob er sich Schaden gethan habe; ich konnte trotz der sorgfältigsten Untersuchung nicht das Geringste finden, und dennoch verweigerte er, sich zu erheben. Er brüllte unter meiner forschenden Hand und versicherte ohne Aufhören, daß er vollständig tot sei. Da stieg auch Uys ab und zog sein Messer hervor.
»Quimbo ist wirklich tot,« meinte er gelassen. »Und wenn Ihr es nicht glaubt, Mynheer, so werde ich es Euch beweisen. Ich schneide ihn auf, und dann könnt Ihr hineinsehen, ob er noch Leben hat.«
Er bog sich nieder, faßte den Kaffer bei der Kehle und setzte das Messer an; im nächsten Augenblick war Quimbo aufgesprungen und schlug einen fürchterlichen Salto mortale zur Seite hinüber.
»Oh, nicht schneid' Quimbo! Quimbo bin wirklich tot, aber Quimbo kann doch wieder reit' auf Pferd!«
»So steige auf, und nimm dich in acht, daß du nicht wieder herabfällst!«
Der von den Toten Erstandene suchte die Gegenstände zusammen, welche ihm entfallen waren, und kletterte wieder auf das Pferd.
»Reit' Mynheer wieder schnell?« fragte er ängstlich.
Ich nickte.
»Oh, dann bind' Quimbo fest,« bat er; »sonst werd' Quimbo zweimal tot!«
»Dann schneide ich dich wirklich auf!« versicherte Uys mit drohender Miene und stieg ebenso wie ich und Mietje wieder auf. »Übrigens ist unser Weg kein weiter mehr. In einer halben Stunde haben wir unser Ziel erreicht, und dann, Mynheer, könnt Ihr ja zeigen, daß Ihr ein wenig mehr versteht, als Nachbar Zelmst, der Kräutersucher.« – –
2.
Nach einem halbstündigen Ritt hielten wir vor einem Thale, welches sich in einer Breite von wohl anderthalb englischen Meilen zwischen zwei Höhen hinzog, die zu den westlichen Ausläufern des Randgebirges gehörten. Ein breiter Bach schlängelte sich längs seiner Sohle von einer Seite zur andern und bildete die Ursache der üppigen Vegetation, durch welche sich dieser verborgene Winkel der Vorberge vor den Strecken auszeichnete, welche ich während der letzten Tage durchstreift hatte. Überall erblickte das Auge weidende Rinder, Schafe und Ziegen. Ein ausgedehntes Gehöft, umgeben von einem baumreichen Garten, an den sich unmittelbar reichbestandene Getreidefelder schlossen, lag inmitten des Thales.
»Da sind wir!« sprach Kees Uys. »Wie gefällt Euch dieser Platz?«
»Besser als mancher andere, den ich bisher gesehen habe. Wie heißt der Besitzer desselben?«
»Es ist Neef Jan, ein ganzer junge, sage ich Euch. Nach einem wackerern Afrikander, als er ist, könnt Ihr lange suchen, obgleich er erst zweiundzwanzig Jahre zählt. Schade, daß er sich auf der Leopardenjagd befindet, die ihn stets einige Tage vom Hause hält, sonst könntet Ihr ihn persönlich kennen lernen!«
Er nannte ihn bloß Neef Jan, ohne seinen Familiennamen zu sagen. Die holländische Sitte, daß, auch ohne in Blutsverwandtschaft miteinander zu stehen, ältere Bekannte jüngere mit Neef anreden und von diesen mit dem einfachen und vertraulichen Baas bezeichnet werden, ist auch mit nach Afrika herübergekommen. Afrikander im weiteren Sinne nennt man alle Ansiedler niederländischen Ursprunges, im engeren Sinne aber versteht man hierunter nur diejenigen Boers, welche gut mit der Büchse umzugehen verstehen, treu an ihren alten Traditionen bangen, infolgedessen unerbittliche Feinde der Engländer sind und vor keiner Gefahr zurückzubeben pflegen. Nennt ein Ansiedler den andern einen Afrikander, so ist dies die größte Ehrenerweisung, welche er ihm bieten kann, denn er hat ihn damit als einen Held bezeichnet. Dieser erst zweiundzwanzigjährige Neef Jan mußte also bereits genügende Proben seines Mutes gegeben haben, um von dem berühmten Uys als Afrikander bezeichnet zu werden.
»Er hat außer Jan noch einen andern Namen?« fragte ich daher.
»Allerdings,« antwortete der Boer mit einem schlauen Lächeln. »Euch ist schlecht standzuhalten, wie es scheint, Mynheer. Ich wollte diesen Namen erst bei der Vorstellung nennen, aber da Ihr mich so drängt und der Neef auch nicht daheim ist, so sollt Ihr wissen, daß er Jan van Helmers heißt.«
»Van Helmers?« rief ich. »Wollt Ihr damit sagen, daß er ein Glied jener Familie sei, welche ich suche?«
»Wenn ich mich nicht irre, so ist er der Enkel jenes Großoheims, von welchem Ihr mir erzähltet. Dieser fiel als wackerer Kämpe in der Schlacht bei Pieter-Maritzburg, in welcher auch dessen Sohn mitfocht, der, wie ich Euch versichere, ein Jäger und ein Krieger war, wie es kaum einen zweiten gab. Der Enkel gleicht ihm auf das Haar. Seine Büchse hat noch niemals ein Ziel verfehlt, weder bei Tag noch bei Nacht; darum wird er nur der Boer van het Roer genannt, und seine Fäuste sind stark wie die Tatzen des Löwen; wehe dem, der zwischen sie gerät!«
Mietje war uns vorausgeeilt; wir sahen sie jetzt hinter den Planken des Hofes verschwinden.
»Und dieses Kaffernmädchen?« fragte ich.
»Ist seine Adoptiv-Schwester und seine Braut.«
»Ah!«
»So ist es! Sein Vater war nordwärts vom Griqua auf einer Jagdstreiferei in die Kalahari gekommen und fand dort neben der Leiche einer jungen, schönen und wohl kaum vor einer Stunde verstorbenen Kaffernfrau das halb verschmachtete Kind. Er hatte ein mitleidiges Herz und nahm das Mädchen mit sich. Es wurde getauft und neben Jan erzogen, der es nicht anders als sein Schwesterchen nannte, bis er auf den Gedanken kam, aus der angenommenen Schwester sein Weib zu machen.«
»Waren die Eltern damit einverstanden?«
»Natürlich! Ihr dürft nicht glauben, daß wir dieselben Vorurteile hegen, wie ihr daheim. Mietje ist ein ganzes Mädchen und wird eine Frau werden, wie Jan unter den Ansiedlern keine bessere finden kann.«
»Sie muß eine Amatomba oder Lagoanerin sein.«
»Wahrscheinlich, doch geben die Gegenstände, welche van Helmers bei ihrer Mutter fand, keinen Anhalt. Sie ist, da Jan sehr viel außer Hause ist, die Seele der ganzen Besitzung, nimmt alle Sorgen mit Freuden auf sich und hat auch jetzt uns nur verlassen, damit wir bei unserer Ankunft sofort einen gedeckten Tisch vorfinden. Wäre ich jung, so könnte ich Jan um diese Braut beneiden!«