Seefahrt Aspekte. Wolfgang Schwerdt
Читать онлайн книгу.nicht gescheitert war. Es darf sogar angenommen werden, dass die Anlage nicht nur für Boote, sondern durchaus auch für mittelalterliche Lastkähne passierbar war und der Handel dadurch gefördert werden konnte.
Trotzdem wurde das Werk bald nach seinem Bau wieder aufgegeben, möglicherweise wegen des hohen Aufwandes, den die Passage erforderte. Sowohl über die Gründe des Baus als auch über die der Aufgabe der Anlage wird bis heute spekuliert. Vielleicht war der Kanal ja so etwas wie eine Investition in die Zukunft.
Die mit dem Weströmischen Reich zusammengebrochene wirtschaftliche Entwicklung und auch der Handel in Westeuropa begannen sich seit dem 8. Jahrhundert wieder zu erholen. Neue städtische Strukturen bildeten sich aus den ehemaligen römischen Siedlungen insbesondere an Rhein und Donau heraus und damit erlebte auch die Flussschiffahrt - über die Fischerei und den bäuerlichen Handel hinaus - einen deutlichen Aufschwung. Vor diesem Hintergrund machte die Verbindung der großen Wasserstraßensysteme durchaus Sinn. Vielleicht aber war es dafür auch noch zu früh.
Bis in die Neuzeit waren die europäischen Binnen-wasserstraßen von größter Bedeutung für den Warenverkehr aber auch in militärischer Hinsicht. Und die Wasserscheide, die Karl der Große mit seinem Graben zu überwinden versuchte, stellte immerhin die Verbindung zwischen den Flussystemen, die mit Main und Rhein Nordwesteuropa und mit der Donau Südosteuropa erschlossen. Kein Wunder, dass der Fossa Carolina nicht der letzte Versuch war, die Wasserstraßen dort miteinander zu verbinden, wo sich die Syteme am dichtesten annäherten. So ließ König Ludwig I. von Bayern 1836 bis 1846 den Ludwig-Donau-Main Kanal anlegen und ab 1921 wurde der 1992 fertiggestellte Main-Donau-Kanal geplant, der wie bereits der Fossa Carolina die Nordsee und das Schwarze Meer miteinander verbindet.
Genossenschaftliche Seefahrt
Fest gefügte Kommandostrukturen an Bord sind zumindest in Nord- und Mitteleuropa kaum älter als 600 Jahre.
Urkunden aus dem 8. Jahrhundert bezeichnen erstmals eine maritime Eidgenossenschaft in Flandern. Schiffsbesatzungen aus Friesland und Flandern wurden 1097 als consodales, also Genossen, bezeichnet. Die wahrscheinlich im 12. Jahrhundert entstandenen Rôles d` Oléron, das älteste in Nordeuropa kodifizierte Seerecht, spricht ebenfalls von genossenschaftlichen Besatzungen. Und natürlich dürfte diese Form des Schiffsbetriebes schon damals auf eine sehr lange Tradition zurückgeblickt haben.
Grundlage für die Gleichstellung der Mannschaft bei der Bordarbeit dürfte vor allem der gemeinsame Besitz des Schiffes gewesen sein. Die Bezeichnung Partner stammt aus dieser Zeit. Denn die Schiffe waren entweder zu gleichen Teilen (Parts) Eigentum der Besatzungsmitglieder oder die Vollanteile oder Parts konnten in Halb- und Viertelparten unterteilt werden. Von den Parten abhängig waren letztendlich auch die Anteile der Partner am Gewinn aus Handel, Fischerei oder Seeräuberei.
Bei dieser Struktur an Bord war für Kapitäne oder Offiziere kein Platz. Der Arbeitsplatz beziehungsweise die Tätigkeit wie Rudern, Segelsetzen oder Steuern, wurde in gewissen Abständen untereinander gewechselt. Bei anderen wichtigen Tätigkeiten wie beispielsweise das Kochen wurde in größeren Abständen gewechselt. Einen Schiffer und andere besondere Berufsbezeichnungen wie Steuermann oder Koch gab es auf den genossenschaftlich betriebenen Fahrzeugen ebenso wenig wie strikte Arbeitsteilung.
Die Gleichstellung aller Besatzungsmitglieder drückte sich auch in der räumlichen Aufteilung der Schiffe aus. Eine Gliederung in Decksbereiche für Mannschaft und Offiziere gab es naturgemäß ebenso wenig wie unterschiedliche Wohnräume in Form von Kojen und Kajüte. Gewohnt und gegessen wurde gemeinsam unter der Back, dem durch ein Deck geschützten Vorschiff. Hier standen der Ofen, Tisch und Bänke und hier lagen die Strohsäcke zum Schlafen. Gegessen wurde aus der großen hölzernen Auftragschüssel, der Back.
Die genossenschaftliche Schifffahrt fand letztendlich dort ihre Grenzen, wo Schiffseigentum und Besatzung auseinanderfielen. Diese Entwicklung ergab sich mit dem Erstarken der hansischen Kaufmannschaft, die immer weniger selbst zur See fuhr, sondern mit dem Führen ihrer Koggen Schiffsführer beauftragte, der wiederum die Mannschaft anheuerte. Trotzdem gab es auch zur Hansezeit immer noch Parten. Sei es, dass sich Kaufleute untereinander ein Schiff teilten, sei es, dass Schiffsführer und Besatzung in gewissem Rahmen und in deutlichen Abstufungen am Gewinn beteiligt wurden.
Bei den ärgsten Feinden der Hansen hatte sich das Genossenschaftsmodell aber noch lange erhalten. Die Vitalienbrüder oder Likedeeler (Gleichteiler), die in hansischen Zeiten die Meere unsicher machten, waren ebenso genossenschaftlich organisiert, wie zum großen Teil die Piraten, die später die Karibik unsicher machten.
Es benötigte eine lange Zeit, bis sich die heute bekannten Hierarchien an Bord gefestigt hatten. Selbst auf den Entdeckerschiffen des 15. und 16. Jahrhunderts gab es noch die Institution des Schiffs-rats, den der Kapitän bei wichtigen Entscheidungen einberufen musste. Es ist kein Zufall und auch nicht anders zu verstehen, dass so manche Entdeckungsfahrt entgegen dem Willen des Kapitäns abgebrochen werden musste, weil die Mannschaft darauf bestanden hatte. Nur zwei Jahrhunderte später wäre dies eine mit Todesstrafe bewehrte Meuterei gewesen.
Und trotz der faktischen Allmacht der Kriegsschiffskapitäne während der Kolonialkriege im 18. und 19. Jahrhundert, konnten noch Reste des Genossenschaftsgedankens beobachtet werden. War nämlich ein feindliches Schiff als Prise gekapert worden, wurde es in der Regel verkauft und die ansonsten faktisch rechtlose Mannschaft hatte einen Anspruch darauf, am Erlös beteiligt zu werden.
Genossenschaftliche Schifffahrt beherrschte noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die skandinavische Küstenfrachtschifffahrt. Und in den zahlreichen Familienbetrieben der europäischen Küstenfischerei aber auch der Flussschifffahrt lebt dieses Prinzip in Ansätzen noch heute weiter.
Die Raub- und Eroberungszüge der Wikinger
Ab Ende des 8. Jahrhunderts verbreiteten Wikinger für rund 200 Jahre Angst und Schrecken in Nordwesteuropa und begründeten damit einen Ruf, der ihnen nicht gerecht wird.
Es war im Jahr 793: Vermutlich norwegische Wikinger überfielen, plünderten und brandschatzten das Kloster von Lindisfarne an der nordenglischen Küste. Im Jahr darauf fiel ein weiteres nordenglisches Kloster den Horden aus dem Norden zum Opfer. Schon 792 hatte der Herrscher des mittel- und südenglischen Königreiches Mercien die Verteidigung der Südküste gegen heidnische Krieger angeordnet.
Während die Wikinger in Osteuropa dabei waren, sich einen Namen als wagemutige Fernhändler und Gründer reicher Handels- und Handwerkszentren zu machen, legten sie sich in Nordwesteuropa den Ruf unbarmherziger Raub- und Mordhorden zu. Die Nordmänner, die sich ihr Einkommen anfänglich durch einträgliche blitzartige Überfälle an allen Küsten aufbesserten, waren vermutlich Gemeinschaften skandinavischer Bauern oder Grundbesitzer, die auch vor Plünderungen an den Küsten ihrer Heimat nicht Halt machten, wie Inschriften auf Runensteinen belegen. Es war ein Saisongeschäft. Im Sommer plünderte man mit schnellen Vorstößen entlang der Flüsse die Küsten, um zum Winter mit reicher Beute nach Hause zurückzukehren.
Waren es zunächst kleinere Gruppen von 80 bis 300 Kriegern, die vor allem die britischen Küsten in Angst und Schrecken versetzten, so entwickelten sich bald gut organisierte Eroberungszüge. Es ging nicht mehr nur um Beute, sondern um Land. In Irland beispielsweise begannen 795 die ersten Überfälle an der Küste. Kaum 30 Jahre Später erfolgten die Vorstöße in das Landesinnere und bereits 839 überwinterte das erste Heer auf irischen Boden. Nur zwei Jahre später gründeten die Wikinger Dublin und wurden somit zu Städtegründern und etablierten Kaufleuten.
Ohnehin lassen sich gerade im 9. und 10. Jahrhundert Räuber und Kaufleute nicht immer so ganz einfach voneinander unterscheiden. Handel und Raub gehörten in jener Zeit eng zusammen. Seit der Mitte des 9. Jahrhunderts erfolgte jedenfalls Angriff über Angriff auf die englische Küste. Die skandinavischen Armeen hatten inzwischen Größenordnungen von bis zu 1000 Mann angenommen. Für die jeweils eilig aufgestellten angelsächsischen Bauernhaufen war diese gut gerüstete Übermacht nicht zu schlagen. Zwar versuchten die angelsächsischen Königreiche sich von der Bedrohung freizukaufen, dennoch fiel 866 Northumbrien in