Der Skorpion. Louis Weinert-Wilton

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Der Skorpion - Louis Weinert-Wilton


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zu mir käme, so würde ich dem rücksichtslosen Fahrer einen Prozeß anhängen, von dem er wenig Freude haben würde. Da darf ich natürlich in unserem Falle keine Ausnahme machen. – Und wenn Sie mir nicht Gelegenheit dazu geben, bleibt mir nichts anderes übrig, als einen Konstabler herbeirufen zu lassen und ihm zu sagen: ›Ich habe diese junge Dame umgefahren, bitte, stellen Sie ihre Persönlichkeit fest.‹ – Und dann werde ich nicht nur alles auf den Penny gutmachen müssen, sondern zum großen Vergnügen vieler Leute auch noch eingesperrt werden, denn in solchen Dingen verstehen unsere braven Richter keinen Spaß. – Und das werden Sie doch nicht wollen, Miß …??«

      Es war schwer zu erraten, ob der beredte Mr. Norman alle diese Dinge ernst oder scherzhaft gemeint hatte, aber in Alices Ohren war nur die Bemerkung von dem Konstabler haftengeblieben, die sie derart in Angst versetzte, daß sie lieber auf die letzte stumme Frage Antwort gab.

      »Parker – Alice Parker …« preßte sie hervor.

      »Alice Parker …« wiederholte der junge Anwalt und wog den Klang des Namens mit sichtlichem Wohlgefallen ab. »Sehr nett – und weiter?«

      »Ich – wir haben eine Schreibstube in Finch Lane – in der Nähe der Börse …«

      »Oh – also selbständige Unternehmerin – bravo!«

      Mr. Norman lächelte so gewinnend, daß Alice zwar die Angst verlor, aber nicht ihre Befangenheit. Sie kränkte sich darüber, denn man mußte sie für eine schrecklich einfältige Person halten, konnte jedoch die Hemmungen in sich nicht überwinden. Die letzten Monate hatten ihr alle Sicherheit geraubt, und jeder Verkehr außerhalb ihres Berufskreises flößte ihr derartiges Bangen ein, daß sie solchen Gelegenheiten ängstlich aus dem Wege ging.

      Luke merkte die düstere Falte zwischen den seidigen dunklen Brauen und das immer nervöser werdende Spiel der zierlichen Finger, deutete diese Zeichen aber harmloser.

      »Natürlich sind Sie sehr abgespannt, Miß Parker«, sagte er mit einem warmen Blick, »und es wäre unverantwortlich von mir, Sie noch länger aufzuhalten. – Wohin darf ich Sie also bringen?«

      »Oh, ich fahre allein nach Hause«, wehrte das junge Mädchen erregt und abermals sehr entschieden ab, aber Luke Norman richtete sich zu seiner vollen Höhe auf.

      »Daran ist nicht zu denken. Ich will sicher sein, daß Sie wenigstens so heil heimkommen, wie Sie jetzt vor mir sitzen. – Also wohin? – Finch Lane?«

      »Nein«, hauchte Alice Parker nach kurzem Zögern, »Leadenhall Market …« und noch in den langen schlaflosen Stunden der folgenden Nacht beschäftigte sie die Frage, was es eigentlich gewesen war, was sie so nachgiebig gestimmt hatte …

      14

      Auf der 37. Polizeistation in West Brompton gab es, wenn nicht gerade auf dem nahen Ausstellungsgelände oder den Fußballplätzen etwas Besonderes los war, keinen allzu scharfen Dienst. Die Station war in einem kleinen, alleinstehenden Hause unweit der Bahnstrecke untergebracht, und es ging dort jahrein, jahraus ebenso still zu, wie in dieser ganzen Gegend.

      Um sieben Uhr hatte sich der alte Inspektor in seinen häuslichen Kreis zurückgezogen, und eine Stunde später war auch der Sergeant gegangen, und der Patrouillenführer Young hatte den Nachtdienst übernommen.

      Der Mann stopfte seine Pfeife, setzte sich an den beklecksten Schreibtisch zwischen den beiden Fenstern und holte ein Bündel Zeitungen hervor, um sich zu unterrichten, wie die Tips für die nächsten Wettspiele lauteten. Da das Büro im oberen Stockwerk war und kein Gegenüber hatte, fand er es nicht einmal notwendig, die Vorhänge herabzulassen. Draußen herrschte ein ziemlich starker Wind mit zeitweiligen Regenschauern und eine derartige Dunkelheit, daß nur die Lichter der Bahnlinie aus ihr hervorstachen.

      Nach etwa einer Stunde polterte plötzlich Sergeant Huggins vom Yard mit großem Diensteifer zur Tür herein.

      »Inspektor Sharp noch nicht hier?« fragte er ziemlich außer Atem.

      »Nein«, erwiderte der überraschte Patrouillenführer. »Ist was Besonderes los?«

      »Das weiß ich nicht, mein Lieber«, erklärte Huggins mit einem Achselzucken. »Ich soll den Inspektor um neun Uhr hier erwarten.« Er schob den Ärmel seines Regenmantels zurück und sah auf seine Armbanduhr. »Na, es fehlen noch acht Minuten. Da kann ich mich vielleicht noch ein bißchen ausschnaufen. Ich habe ein gehöriges Tempo einschlagen müssen, um zurechtzukommen …«

      Er legte nicht erst ab, sondern setzte sich auf den zweiten Sessel, der beim Schreibtisch stand, nahm eine der Zeitungen auf und begann darin zu blättern. Sein Tempo mußte wirklich sehr scharf gewesen sein, denn er atmete nicht nur sehr lebhaft, sondern auch seine Hände zitterten merklich.

      »Nummer eins …« murmelte im Schatten eines alten Schuppens etwa dreißig Schritte schräg gegenüber ein erwartungsvoller Mann, als Sergeant Huggins in der Polizeistation verschwunden war. – Und nach weiteren zehn Minuten: »Aha – und hier haben wir Nummer zwei. – Damit wären wir also beisammen, und es kann losgehen …«

      Auch Inspektor Sharp kam sehr lebhaft und mit einer hastigen Frage auf den Lippen.

      »Wieviel Leute haben Sie auf der Station zur Verfügung?«

      »Sechs, Sir«, meldete der Diensthabende. »Acht sind im Dienst.«

      »Und der Inspektor und der Sergeant?«

      »Zu Hause, Sir. Aber beide wohnen nicht weit und können in ein paar Minuten hier sein.«

      Sharp begann mit nervösen Fingern seinen nassen Überrock auf- und wieder zuzuknöpfen und nagte an den Lippen. Dann trat er an eines der Fenster, legte die Hände auf den Rücken und starrte in das Dunkel hinaus. Er schien offenbar etwas zu überlegen, aber zu keinem Entschlusse kommen zu können.

      Der Patrouillenführer wartete gespannt, Sergeant Huggins aber studierte mittlerweile sehr angelegentlich die große Rayonkarte, die nächst der Tür hing.

      Plötzlich ertönte draußen mehrmals hintereinander ein auffallend schrilles Hupensignal, und Young reckte sich unwillkürlich, um Ausblick zu gewinnen. An der Station führte ein Weg vorbei, der von Walham Green herüber kam, bei dem Hause nach links abbog und eine kurze Strecke weiter hinter einer aufgelassenen Fabrik wieder in der ursprünglichen Richtung weiterlief.

      »Donnerwetter«, murmelte der Diensthabende verwundert, »hat der Mann an seinem Wagen eine komische Beleuchtung aufgesteckt …«

      Im selben Augenblick fuhr Inspektor Sharp herum, griff nach seinem Hut und stürmte auch schon die Treppe hinunter …

      Die Gestalt bei dem Schuppen gegenüber sah ihn aus dem Hause stürzen und dem Auto nacheilen, das in verlangsamter Fahrt längs einer Fabrikmauer hinrollte und dann um deren Ecke verschwand. Von dem Wagen war nicht mehr auszunehmen als einige Lichter, aber diese waren ganz ungewöhnlich. Sie bestanden aus sechs unregelmäßig angeordneten kleinen Glühlampen, die sich wie Sterne von der dunklen Windscheibe abhoben.

      Der lauernde Mann setzte sich flink in Bewegung, um mit dem eiligen Inspektor auf gleiche Höhe zu kommen, aber es gelang ihm nicht. Sharp erreichte die Wegbiegung um eine Minute früher, gleich darauf wurde eine Wagentür zugeschlagen, und als der andere endlich um die Ecke bog, war das Auto bereits verschwunden.

      Assistent Denby war von diesem Vorgang, der sich eben vor seinen Augen abgespielt hatte, so in Anspruch genommen, daß er diesmal nicht dazu kam, seinen Gedanken Ausdruck zu geben. Er trachtete vielmehr so rasch und so unbemerkt wie möglich nach der Brompton-Station zu gelangen, in deren Nähe er seinen kleinen Wagen abgestellt hatte. Diesen netten Zweisitzer benutzte Guy Denby ausschließlich zu Privatfahrten, bei denen er nicht gesehen zu werden hoffte, denn im Yard hatte man, wie für Blumen im Knopfloch, auch für Privatautos gar kein Verständnis. Gab es doch schon immer höchst mißgünstige und bedenkliche Augen, wenn er einmal in einer schäbigen Taxi vorgefahren kam, weil er sich ein wenig verspätet hatte …

      Mittlerweile konnte sich auf der Station der Patrouillenführer Young über den wortlosen eiligen Abgang des Inspektors Sharp nicht genug


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