Der Skorpion. Louis Weinert-Wilton

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Der Skorpion - Louis Weinert-Wilton


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Sie mir’s mit der Luftpost, wie ich Ihnen diesen Brief. Good bye, alter Junge …«

      Das Klappern der Maschine hatte schon längst jäh ausgesetzt, aber dem gedankenvollen Mr. Ellis kam die Stille erst jetzt zum Bewußtsein. Er fuhr wütend herum, und selbst der erbarmungswürdige Anblick des totenbleichen, zitternden Mädchens vermochte ihn nicht zu entwaffnen.

      »He – was ist denn heute in Sie gefahren?« spie er giftig durch die Zähne. »Warum glurren Sie so blöd drein, statt zu schreiben? So ein hysterisches Frauenzimmer kann ich nicht brauchen. Weil Sie Ihre nichtsnutzigen Gedanken wer weiß wo haben, werde ich nicht meine Zeit vertrödeln …«

      Er polterte mit schweren Schritten heran, stierte auf das Blatt in der Maschine, und brach dann von neuem los. »Unerhört. – Da fehlt ja der halbe Brief. – Und so was hat die Frechheit, sich als perfekte Schreiberin anzubieten. – ›Bei dem verwünschten Lumpen, dem Hayward …‹ habe ich gesagt. Wenn Sie schon taub sind und den Namen nicht verstanden haben, hätten Sie wenigstens den Mund auftun können. – Aber nun fix, sonst werde ich Sie in Schwung bringen …«

      »… habe ich bei dem verwünschten Lumpen, dem Hayward, der durchgegangen ist, kaum daß Sie weg waren, gehörig Haare lassen müssen …« begann der ergrimmte Mann den Schluß des Briefes fast im gleichen Wortlaut neuerlich zu diktieren, und Alice Parker, die einer leblosen Wachsfigur glich, zwang die widerstrebenden Finger mit automatenhaften Bewegungen über die Tasten.

      Ellis folgte ihnen mißtrauisch bis zum letzten Buchstaben, dann griff er in die Westentasche und klappte mit seinen groben Händen eine Einpfundnote und einen Schilling auf das Tischchen. »Legen Sie die Post auf den Schreibtisch, und nächstens will ich wen andern«, bellte er zum Abschied und warf die Tür mit einem gewaltigen Krach hinter sich zu.

      8

      Alice Parker verharrte noch sekundenlang mit geschlossenen Augen, dann schnellte sie plötzlich auf, ordnete mit krampfhaften Griffen die Briefe, raffte ihre Handtasche auf und stürzte davon. Die Guinee ließ sie liegen. Für dieses Geld hatte sie bisher ungezählte Kränkungen hingenommen, weil sie jeden Penny brauchte, aber über das Schreckliche, das sie in der letzten Viertelstunde erlitten, hätte sie auch der tausendfache Betrag nicht hinweggebracht. Und sie hätte selbst um ihr Leben dieses Geld nicht berührt, denn es war der Lohn für eine Schändlichkeit, die sie an ihrem Teuersten begangen hatte …

      In der Halle stülpte sie das Hütchen mit einem mechanischen Griff auf, warf, ehe noch der verwunderte Diener zurecht kam, den Mantel über und flog in richtiger Flucht aus dem Hause …

      Und auch der leichte, kühle Regenschauer, der ihr draußen im dämmernden Vorfrühlingsabend entgegenschlug, vermochte nicht, sie ihrer völligen Verstörtheit zu entreißen. Sie sah, hörte und fühlte nichts von der Umwelt, sondern stürmte mit fliegendem Mantel blindlings vorwärts – gehetzt von den furchtbaren Worten, die wie Hammerschläge auf sie niedergesaust waren und ihr ganzes schweres Leid jäh wieder aufgewühlt hatten …

      Der Weg zu ihrer Untergrundstation zweigte nach einer kurzen Strecke nach rechts ab, aber sie rannte darüber hinaus, denn sie hatte kein Ziel. In dieser Verfassung, mit diesem entsetzlichen Weh im Herzen konnte sie nicht heim in ihre vier Wände – und vielleicht hatte dies auch keinen Sinn. Die tiefe Wunde, die, ihr eine unerklärliche Fügung geschlagen, würde nie vernarben, und auf ihrem Leben würde ewig der düstere Schatten dieses Geschehnisses lasten …

      In dem erschütterten Mädchen glomm ein verzweifelter Gedanke auf, der die keuchenden Atemzüge zu einem lauten Schluchzen werden ließ …

      Der große Wagen, der die menschenleere Villenstraße in voller Fahrt heraufkam, warf eine mächtige Lichtgarbe vor sich, aber Alice gewahrte ihn ebensowenig wie die Häuser, Gartenmauern und Bäume, die ihren Weg säumten. Sie lief, immer noch blind und taub – irgendwohin – nur weg – weit, weit weg …

      Selbst in ihren geheimsten Gedanken wußte Alice Parker später nie eine Erklärung dafür zu finden, was sie plötzlich veranlaßt hatte, mit einer jähen Wendung ihre bisherige Richtung zu ändern und quer über die Fahrbahn zu fliegen …

      Die Bremsen kreischten wimmernd auf, der große Packard bäumte sich förmlich, geriet ins Schleudern, kam aber etwa zwanzig Yard weiter glücklich zum Stehen.

      Zwei Männer sprangen heraus und stürmten zurück zu dem dunklen Bündel, das sich von dem regennassen Straßenboden abhob …

      »Es war nicht meine Schuld, Sir«, keuchte der eine. »Sie ist mir im letzten Augenblick vor die Maschine gelaufen …«

      Der andere kniete bereits neben der Gestalt, die bis in die Mitte des Weges geschleudert worden war und nicht das geringste Lebenszeichen von sich gab. Er hob behutsam den Kopf der Verunglückten, warf einen raschen Blick in das wachsbleiche, totenstarre Gesichtchen und stand auch schon mit seiner Bürde wieder auf den Beinen.

      »Heim!« gebot er dem völlig verstörten Chauffeur, der mittlerweile mechanisch den Frauenhut und das Handtäschchen aufgeklaubt hatte. »Und dann zu Sir Herbert. Er ist der nächste. Ich werde sofort telefonieren. Falls er nicht zu Hause sein sollte, erfahren Sie dort, welchen Arzt ich erreicht habe …«

      Fünf Minuten später wurde ein gediegenes altväterisches Haus in Kensington durch den schrillen Alarm der Klingeln aus seiner vornehmen Ruhe aufgestört.

      9

      So gegen sieben Uhr hatte William Ellis alle Vorkehrungen für sein wichtiges abendliches Unternehmen getroffen. Dem Briefe an den Zimmermann Paddy lag ein Zettel bei, auf dem »Heute elf Uhr nachts Narrow Street – Limehouse Canal« geschrieben stand, und um halb neun wartete in einem Klub in Soho ein Gentleman, der sowohl die Zustellung der Mitteilung in die Hafenkneipe, als auch die genaue Instruktion der Leute für das Weitere zuverlässig besorgen würde.

      Ellis pflegte bei seinen abendlichen Ausfahrten, die sich oft bis in die Morgenstunden ausdehnten, einen unansehnlichen Zweisitzer selbst zu führen, und der Wagen stand bereits vor dem Portal, aber in der Halle wurde der Hausherr durch einen eiligen Diener aufgehalten.

      »Mrs. Ellis läßt noch auf einen Augenblick bitten«, meldete der Mann, und der liebenswürdige Gatte schnitt eine Grimasse, die sein Vergnügen über diese Einladung restlos zum Ausdruck brachte. Dann wandte er sich mit einem Ruck gegen die Treppe zum Oberstock und glich ganz einem gereizten Gorilla, der zum Angriff übergeht.

      In den Zimmern oben herrschte eine tropische Schwüle, geschwängert mit allerlei schweren Wohlgerüchen, und dazu paßte auch das Bild der Räume, in denen zwischen die modernste englische Inneneinrichtung mit Hilfe von farbenfreudigen Teppichen, Seidenstoffen und Kissen der kitschigste Orient eingebaut war.

      Und gleich exotisch wie diese ihre Umgebung wirkte nun, da die sorgfältige Aufmachung für die Außenwelt fehlte, die Frau des Hauses selbst. Sie war nämlich unverkennbar ein Mischling, der von mütterlicher Seite sogar ziemlich viel von der dunklen Hautfarbe mitbekommen hatte.

      Da ließ sich nichts verleugnen und nichts übertünchen. Dafür aber hatte Mrs. Elvira sich väterlicherseits einen äußerst klangvollen portugiesischen Namen von ansehnlicher Länge beigelegt, und der Name ihres ersten Gatten lautete noch klangvoller und länger. In etwas kürzerer und bescheidenerer Form trafen diese Namen auch zu, und sie waren eine Zeitlang an der afrikanischen Ostküste und im angrenzenden Hinterland sogar sehr bekannt gewesen, da ihre Träger den dortigen Polizeistationen manches zu schaffen gegeben hatten. Bei solch einer kriegerischen Gelegenheit war Mrs. Elvira auch tatsächlich durch eine tückische Kugel Witwe geworden, während sonst wohl der Strick sie eines Tages ihres tatenlustigen und tapferen ersten Gatten beraubt hätte. In der Blüte ihrer damaligen zweiundzwanzig Jahre hatte die dunkle Schöne diesen Schicksalsschlag aber nicht allzu schwer genommen; um so weniger, als bereits Mr. Ellis in ihrem Gesichtskreis aufgetaucht war und ihr Interesse erweckt hatte. Er war zwar auch schon zu jener Zeit weder äußerlich, noch in seinem Wesen irgendwie anziehend gewesen, aber darauf kam es der jungen Witwe nicht an. Sie hatte einzig den brennenden Wunsch, von den lumpigen kleinen Geschäften, bei denen man genau soviel riskierte wie bei den großen, zu lohnenderen


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