Der Skorpion. Louis Weinert-Wilton

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Der Skorpion - Louis Weinert-Wilton


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glimpflich abgelaufen. Der schwere Wagen hatte sie offenbar bloß gestreift und beiseite geschleudert, denn außer einer leichten Quetschung in der Hüftgegend und einigen Hautabschürfungen an der Stirne, die von dem Sturze herrührten, hatte die gründliche Untersuchung keine ernsteren Verletzungen ergeben. Auch die Bewußtlosigkeit erwies sich lediglich als eine Folge des erlittenen Schocks, und der alarmierte Sir Herbert ging mit einem befreiten Lächeln, denn es hätte ihm in diesem Falle ganz besonders leid getan, wenn er dem Herrn des Hauses einen ungünstigeren Bescheid hätte bringen müssen.

      Nur für alle Fälle hatte er völlige Ruhe verordnet, aber kaum war Alice ihrer letzten Benommenheit Herr geworden, als sie auch schon zum Aufbruch drängte. Die rosige ältere Frau, die sich ununterbrochen mit mütterlicher Besorgtheit um sie bemühte, fand diesen Wunsch verständlich.

      »Wenn Sie darauf bestehen, Miß, dürfen wir Sie natürlich nicht zurückhalten. Man wird sich ja daheim um Sie ängstigen. Aber ein Viertelstündchen müssen Sie sich schon noch gedulden. Wir werden nur rasch Ihre Sachen in Stand setzen. So können wir Sie unmöglich aus dem Hause lassen.«

      Sie deutete mit einem kurzen Wink auf die Kleider, die in der ersten Verwirrung über einen Stuhl geworfen worden waren, und ein zweites jüngeres weibliches Wesen raffte diese auch schon auf und flog damit davon. Die freundliche Frau aber drückte den schönen dunklen Mädchenkopf sanft in die Kissen zurück, und Alice Parker fügte sich willig. Sie schloß mit einem dankbaren Lächeln die Augen, und plötzlich war es ihr, als ob die letzten Monate bis zu dieser Stunde nur ein böser Traum gewesen wären. Die Gediegenheit ihrer Umgebung und die herzliche Fürsorge, in die man sie hüllte, hatten in ihr die Vergangenheit so lebendig werden lassen, daß sie sich so glücklich und geborgen fühlte wie einst …

      Es dauerte nicht ein Viertelstündchen, sondern eine gute halbe Stunde, bis alles in Ordnung war, und dann faßte die Frau das junge Mädchen behutsam unter dem Arm.

      »Den Mantel und den Hut werden wir erst unten anlegen, Miß«, sagte sie. »Sie müssen nämlich die Güte haben, Mr. Norman noch einige Minuten zu schenken. Er sagt, er hätte keine Ruhe, wenn er sich nicht selbst überzeugen könnte, daß Sie halbwegs heil davongekommen sind. Das Unglück hat ihn sehr hergenommen. Ich habe ihn noch nie so erschüttert gesehen.«

      Aus den Worten der guten Frau klang tiefe Bekümmernis, und in Alice meldeten sich arge Vorwürfe. Nun, da sie bereits völlig klar zu denken vermochte, war sie sich dessen bewußt, daß nur sie allein das böse Geschehnis verschuldet hatte. So gerne sie sich also dieser Begegnung auch entzogen hätte, war es wohl ihre Pflicht, den so erschütterten Mr. Norman nicht nur zu beruhigen, sondern ihm auch einige Worte des Dankes und der Entschuldigung zu sagen.

      Um den peinlichen Augenblick tunlichst abzukürzen, legte sie sich diese Worte unterwegs rasch zurecht, aber als es einige Minuten später soweit war, entfielen sie ihr plötzlich …

      13

      Nach seinem Heim und dem, was Alice Parker sonst gesehen, hatte sie sich ein äußerst würdevolles Bild von dem Herrn des Hauses gemacht, aber der Mann, der ihr mit ausgestreckten Händen und etwas befangenem Blick entgegenkam, entsprach diesem Bilde auch nicht in einem Zuge. Alice war nicht klein, aber Mr. Norman überragte sie mit seiner breitschultrigen Männlichkeit noch um einen guten Kopf. Diese Stattlichkeit war aber auch das einzig Gesetzte an ihm. Sein frisches, offenes Gesicht hatte bei aller Energie, die daraus sprach, einen fast jungenhaften Zug, der durch das schalkhafte Licht in den lebhaften grauen Augen noch verstärkt wurde.

      Luke Norman umfaßte das verwirrte junge Mädchen mit einem raschen besorgten Blick, dann griff er auch schon nach dem Arm, den die bisherige Führerin mit einem strahlenden Lächeln freigegeben hatte, und geleitete Alice zu einem Sessel an einem gedeckten Teetisch, wo er sie mit so zarter Rücksicht niederdrückte, als ob es sich um eine äußerst schonungsbedürftige Rekonvaleszentin handelte.

      Alice Parker war noch immer so benommen, daß sie alles widerstandslos geschehen ließ und kein Wort hervorbrachte. Das war auch nicht notwendig, denn zunächst hatte der so jugendlich wirkende Herr des Hauses das Bedürfnis, sich den Schreck der letzten Stunden völlig vom Herzen zu reden.

      »Gott sei Dank, daß es so glimpflich abgelaufen ist«, sagte er mit einem tiefen Atemzuge und versuchte ein Lächeln, das aber nicht recht gelingen wollte. »Ich – ich« – er tupfte sich mit dem Taschentuch die Stirne – »wäre nie darüber hinweggekommen, Miß, wenn Ihnen etwas geschehen wäre …«

      Das klang so ehrlich, daß Alice sich der ganzen Schwere ihrer Schuld bewußt wurde und endlich die Sprache wiederfand. »Verzeihen Sie«, sagte sie kaum hörbar und mit gesenkten Lidern. »Ich habe Ihnen durch meine Unvorsichtigkeit große Unannehmlichkeiten bereitet.«

      Er sah sie einen Augenblick seltsam forschend an, dann schüttelte er den Kopf. »Ich habe Ihnen nichts zu verzeihen, Miß, sondern einzig und allein Sie mir. – Der Fahrer muß mit allen Möglichkeiten rechnen. Nun habe ich zwar nicht selbst am Steuer gesessen, aber es war mein Wagen, und ich war mit dabei.« Er machte eine erledigende Geste. »Aber sprechen wir nicht mehr davon. Sie sitzen ziemlich wohlbehalten vor mir, und das ist die größte Freude, die ich in meinem Leben je empfunden habe …«

      Er legte in einem jähen Impuls seine gepflegte Männerhand auf die zarten Mädchenfinger, die unruhig am Tischtuch nestelten, und auch darin lag so viel warmes Empfinden, daß die Vertraulichkeit Alice nicht im geringsten unangenehm berührte.

      »So, und nun werden wir rasch noch zusammen eine Tasse Tee trinken«, fuhr der junge Mann fort. »Ich kann mir zwar denken, daß Sie heim wollen, aber diese Bitte müssen Sie mir erfüllen.«

      Alice war eine derartige Verlängerung ihres Aufenthaltes in dem fremden Hause gar nicht willkommen, aber in diesem Augenblick wurde bereits serviert, und es hätte höchst albern ausgesehen, wenn sie nun weggelaufen wäre.

      Mr. Norman verabschiedete den Diener durch einen Wink und ließ es sich nicht nehmen, seinen noch immer höchst verlegenen, aber allerliebst aussehenden Gast selbst zu bedienen. Dabei plauderte er in seiner frischen Art weiter und wurde immer befreiter und aufgeräumter.

      »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir noch ein Weilchen Gesellschaft leisten. Allein hätte es mir nach diesem furchtbaren Schreck gar nicht geschmeckt, obwohl ich seit dem Lunch noch nichts zu mir genommen habe. Und Sie müssen mir ja auch noch Ihren Namen und Ihre Adresse sagen.«

      Alice, die bisher zerstreut in ihrer Tasse gerührt hatte, schrak jäh auf und hatte einen bestürzten und scheuen Ausdruck in den Augen. »Das ist doch wohl nicht von Bedeutung«, lispelte sie nach einigem Zögern und wurde noch verwirrter, weil sie sich der Unhöflichkeit dieser Antwort völlig bewußt war. Aber sie konnte nicht anders.

      Ihr Gastgeber ließ sich jedoch damit nicht abfertigen. »O doch«, sagte er sehr ernst, »es ist von Bedeutung. Ich habe die Pflicht, mich darum zu kümmern, gegen wen ich derartige Verbindlichkeiten habe.«

      »Verbindlichkeiten?« wiederholte Alice verwundert, und zum ersten Male trafen sich ihre Augen mit denen des jungen Mannes, in denen es ganz eigenartig leuchtete.

      »Gewiß. Eine ganze Reihe sehr schwerwiegender Verbindlichkeiten.« Er zählte diese nachdrücklich an den Fingern auf. »Erstens habe ich Sie in Lebensgefahr gebracht. – Zweitens habe ich Ihnen schmerzhafte Verletzungen zugefügt und drittens namhaften Sachschaden verursacht. Man hat mir gemeldet, daß Ihr Mantel und Ihre Strümpfe zerrissen sind, und daß auch das Kleid und der Hut gelitten haben. – Für alle diese Dinge – soweit sie sich überhaupt gutmachen lassen – bin ich natürlich haftpflichtig. Nur die puritanischen Versicherungsleute sind der Ansicht, daß eine Dame auch in gestopften Sachen herumlaufen könne, obwohl keiner dieser filzigen Gentlemen sich getrauen würde, dies seiner eigenen Frau zuzumuten.«

      »Von allem dem kann natürlich keine Rede sein«, erklärte das junge Mädchen abweisend, aber der sehr entschiedene und geradezu unfreundliche Ton machte gar keinen Eindruck.

      »O doch, davon muß die Rede sein«, sagte der junge Mann wiederum noch entschiedener. »Wenn schon nicht um Ihretwillen, so um meinetwillen. Ich darf über diese ernste Sache nicht leichtfertig


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