Medusa. Jan Müller-Wonnenberg
Читать онлайн книгу.Und da gibt es nichts praktischeres, als einen Beruf zu lernen Diese Ausbildung verlangte nicht nur schulisch, sondern auch praktisch meine volle Aufmerksamkeit. Wichtig war mir eben neben dieser Herausforderung, vor allen Dingen eine Selbstbestimmtheit. Sie verlangte die freie Auswahl was ich machen wollte und dabei auch die Bereitschaft Herausforderungen und Erfordernisse auf mich zu nehmen. D.h., dass ich bereit war erstens die Entscheidung welche Ausbildung ich machen wollte selbst zu entscheiden und zweitens Widrigkeiten oder Erschwernisse wie Schichtdienst und Vergleichbares auf mich zu nehmen.
Ich war mehr als froh, dass alle meine Vorhaben zu diesem Zeitpunkt perfekt ineinander griffen. Dies war im Jahr 2002. Meine Bewerbung um eine Ausbildungsstelle war von sofortigem Erfolg gekrönt sodass ich zu diesem Zeitpunkt fuhr hoch und unbeschwert in eine sehr interessante Zukunft blickte. Ich hatte Pläne für die Zukunft, war mir meiner Sache sehr sicher und dachte niemals daran all dies infrage stellen zu müssen. Es trug sich auch zu, dass ich mich in eine wunderschöne Frau verliebte. Es kam also viele Dinge zusammen die als Zuckerguss, den Rausch der Hormone drauf setzte. Ich hatte das Glück der Welt für mich in Anspruch genommen und musste es nur noch hinkriegen, dass die besagte Frau auf mich aufmerksam wurde. Zu diesem Zeitpunkt war ich 21 Jahre jung und die Träume und Vorstellungen die ich hatte waren zum Greifen nah. Im Nachhinein wird dieser Zustand, wie ein Hochgefühl. Ein Zustand auf den ich mich immer wieder besinnen kann und möchte, wenn mir danach ist. Letzteres ist aber eine Erkenntnis die ich erst im Laufe meiner Erkrankung lernen musste. Hat man das gelernt, ist es sehr viel leichter auch wirklich schwierige, also substanziell gefährdende Momente leichter zu durchleben.
Nach meiner Ausbildung, wollte ich nur eins: eine Frau kennen lernen, ein Kind in die Welt setzen und ein Haus bauen. Das war meine Vorstellung, wenngleich keine allzu Komplizierte wenngleich ich nicht möchte, dass andere Menschen diese Lebensvorstellungen teilen müssen.. Das erste Teilziel hatte ich ja bereits in die Tat umgesetzt und war gespannt darauf die übrigen Ziele in Angriff zu nehmen. Niemals hatte ich körperliche Einschränkungen irgendeiner Art. Ich konnte ungehindert Fahrradfahren und die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, wie ich es seit Jahren gewohnt war. Immer ich hin wollte kam ich zu Fuß hin – das mag jetzt banal klingen, aber ist es im Rückblick ein unvorstellbarer Luxus – und ich zog es nicht einmal in Betracht, dass all dies infrage gestellt werden könnte. Auch hatte ich vor der eigentlichen Erkrankung keinerlei Einschränkungen oder Symptome irgendeiner Art. Es war nichts Besonderes, sondern Standard. Besonders erwähnenswert erscheint mir zudem, dass ich – den damals noch verpflichtenden Wehrdienst – ableistete. Dies traut man mir nämlich inzwischen überhaupt nicht mehr zu. Ich betrachtete damals wie heute den besagten Wehrdienst als notwendiges Übel, das ist galt zu überstehen. Und ich wollte zudem wissen, was genau das ist. Ich konnte mir zwar etwas darunter vorstellen, aber vielleicht wollte ich diese Erfahrung am eigenen Leib erleben. Ich hatte vorher und nachher niemals geplant in diesem Bereich meinen Schaffenskreis zu suchen. Und wenn ich ehrlich bin, mag ich die Ironie, dass mir dies im Nachhinein niemand mehr zutraut, aber auch nicht mehr wegnehmen kann. Nichtsdestotrotz möchte ich aber nun fortfahren meine Beschreibung der Dinge weiter auszuführen.
Wichtig war mir im Jahr 2000 der Führerschein, den ich bestand, und mich in die Lage versetzte mit dem Auto selbstständig fahren zu können. Das war richtig schön und eine große Bereicherung für ein selbstständiges Leben. Die erwähnte Frau die ich während der Ausbildung kennen lernte und mit der ich bis zum heutigen Tage zusammen bin, hatte ähnliche Ziele und man kann hier eine große Übereinstimmung feststellen. Zwar insgesamt eine Sorgen arme Zeit in der ich das Leben aus einer ganz unbekannten Perspektive kennen lernen durfte. Und es gefiel mir immens, sodass ich niemals auch nur daran gedacht hätte dass es anders kommen könnte. Und an diesem Punkt möchte ich mit dem Beginn der Erkrankung einsteigen, die mich bis zum heutigen Tage heimsuchen sollte.
Es ist mir besonders wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen dass die Erkrankung und der stetige Abbau meiner körperlichen Fähigkeiten, alles von Grund auf umgekrempelte. Vor der Erkrankung – mich bereits geschrieben habe – wusste ich zwar um die Symptomatik einer Erkrankung wie der Multiplen Sklerose – aber dies alles war mir weiter entfernt als das, was es eigentlich bedeutete bzw. bedeuten sollte. Und so stellt sich mir die Zeit vor der Erkrankung, als eine Zeit die im Zeitraffer abgelaufen sein musste. Und so schien mir auch eine gewisse Beschleunigung stattzufinden, als es nun unumstößlich wurde. Was sich bei mir ab der Diagnose bewegte, mir selbst und anderen abverlangte erscheint enorm. Und im Zuge der Psychotherapie auch unmenschlich. Ich denke an dieser Stelle ist es wichtig die sprichwörtliche Entschleunigung zu nennen, die gerade mit einer Erkrankung wie der meinen besser tut als eine Beschleunigung. Denn Letztere führt sehr oft, wie in meinem Fall, zu Überforderung. Und das ist auf keinen Fall gesund. Und wenn man schon krank ist summiert sich die Sache. Das sollte man tunlichst vermeiden, doch wie Sie ab der Diagnose feststellen werden war genau dies nicht mein Bestreben. Es kostete mich viel Zeit, um mich selbst wieder in den Griff zu kriegen. Und manchmal habe ich wirklich nicht gedacht es hinzukriegen, aber irgendwie hat‘s dann doch funktioniert. Und dafür bin ich aus jetziger Perspektive, sehr froh denn es hätte auch anders ausgehen können.
Nach der Diagnose
Ein recht gewöhnlicher Werdegang, der sicher vielen Menschen genauso widerfahren sein könnte. Nichts daran scheint aufregend oder ungewöhnlich. Selbst die Ziele und Vorstellungen die ich zu jener Zeit hatte, sind nichts Außergewöhnliches gewesen. Es ging mir damals wie heute um die Schaffung und den Erhalt von Sicherheit. Dies scheint mir ein unspektakuläres Ansinnen. Doch war dies damals, und im Grunde ist es dies noch heute, ein sehr langweiliger Idealzustand. Vermutlich hätte es dieser Bahn folgend keine Weiterentwicklung gegeben. Weiterentwicklung ist ja an sich ein positiver Zustand, der ein gleich bleiben verhindert bzw. denn eine sich weiterentwickelnde Welt– in jedem Bereich – verlangt nun mal eine stetige Anpassung. Unter diesem Gedanken tröste ich mich manchmal, denn erstens kann ich den Zustand in dem ich jetzt bin nicht mehr ändern, sondern zweitens nur einen förderlichen Umgang mit selbst anstreben.
Bis zu diesem Zeitpunkt, befand ich mich auf einer recht stabilen Bahn im Leben. Mein Leben begann wie die Umlaufbahn eines Planeten, der um die Sonne kreist und durch einen großen Asteroiden getroffen wird, vollkommen chaotisch zu werden. Kleinere Einschläge steckte der Planeten leicht weg. Jedoch weit der Treffer durch diesen großen Asteroiden etwas ganz Verheerendes, denn veränderte der Einschlag die Balance total. Nicht nur geriet die Umlaufbahn ins Schlingern, sondern das komplette Klima kippte. Es wurde kalt und ungemütlich. Veränderung war also vorprogrammiert, was nicht unbedingt etwas Negatives sein muss, aber aus der damaligen Perspektive es definitiv war. Dieser Umstand es entbehrt nicht einer gewissen Absurdität, wenn man darauf zurückblickt. Und genau an dieser Stelle möchte ich ein Zitat von Albert Camus – auf das mich ein langjähriger Freund und Philosoph aufmerksam machte – anführen. Dieses Zitat hat mich oft davor bewahrt mir selbst Schlimmes anzutun und diesen beschleunigten Prozess des körperlichen Verfalls zu beenden:
Das Absurde ist das wesentliche Konzept und die erste Wahrheit.
Ich bilde mir zumindest ein, dass sich genau verstanden habe was Camus damit sagen wollte. Zumindest aus meiner Perspektive. Unsere Existenz, wie immer sie aussehen mag, folgt keinen Gesetzen und keiner Ordnung, sondern die Dinge die uns geschehen passieren zufällig. Sie sind also aus unserer Sicht absurd. Schöne Dinge die uns geschehen nennen wir Glück – Dinge die genau unseren Erwartungen entsprechen und uns in unser eigenes Konzept passen. Dinge die unseren Vorstellungen zuwiderlaufen – solche die Krankheit und weitere für uns subjektiv negative Ereignisse – nennen wir Pech.
Wir befinden uns also immer in einer Diskrepanz der situativen Bewertung von Dingen die uns geschehen. Über diesen Dingen zu stehen fällt mir auch sehr schwer, doch denke ich das viel gewonnen ist, wenn man sich dies bewusst macht. Es hat zumindest mir geholfen und kann mir vorstellen, dass es vielen anderen ebenso geht bzw. gehen kann. Und an dieser Stelle lache ich der Philosophie frech ins Gesicht, denn durch eigene Erfahrung (also echte Empirie) habe ich das Rätsel, besser gesagt den Satz von Camus, für mich gelöst. Und der hatte ja so was von Recht, denn das Leben an sich ist chaotisch und ist ob liegt uns – als einen jeden Menschen – für einen selbst richtige Bewertung zu suchen und im Idealfall zu finden. Das ist doch mal ein