Lilli. Nicole Sturm

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Lilli - Nicole Sturm


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Ausgehschleier

      23.September

      In einem beeindruckend großen Wohnzimmer, mit schwarzen Marmorboden und weißen Ledersofas sitzen drei Goths. Zwei von ihnen haben es sich gemütlich gemacht und wissen nicht wo sie hinstarren sollen, der dritte durchstöbert das vierstöckige Schallplattenregal. Mit einem schwarzen Schleier aus Spitze vor ihrem Gesicht, schreitet Lilli durch die schwere Türe aus Kirschholz.

      Ich habe meinen Schleier gefunden, wir können los.

      Die zwei schwarz gekleideten Frauen auf dem Sofa sind sich nicht einig.

      Wahnsinn, du siehst aus wie eine tote Prinzessin.

      Vielleicht ein wenig overdressed für eine Party im alten Bunker.

      Aufgedreht zieht der Goth, vor dem Plattenregal, die signierte Single »Creep« hervor.

      Die Sammlung deines Vaters ist der Wahnsinn. Und die Fotos erst! Außer Ozzy Osbourne ist da ja wirklich jeder dabei. Ist dein Vater in der Musikindustrie?

      Nein, aber er steht auf Heavy Metal.

      Und die Harfe, war die von deiner Mutter?

      Man Vater spielt auch Harfe, aber er ist nur selten hier. Er hat viel in den USA zu tun.

      Auf dem Beistelltisch, neben der Couch, steht ein gerahmtes Familienfoto. Lillis Vater, ein gutaussehender Dressman, ihr Bruder, ein Mann dem man die Boshaftigkeit ansieht und Lilli, die sich halb tot lacht, stehen vor einem gestrandeten Schiffswrack. Alle tragen schwarz, nur die Schuhe ihres Bruders ziert ein rotes Nike-Logo. Die freundliche Goth hebt das Foto vom Tisch und dreht es zu Lilli.

      Wart ihr da in einem Vergnügungspark?

      Lilli sieht mit einem winzigen Grinsen auf das Bild.

      Nein, aber es war ein großes Vergnügen.

      Und dein Bruder tritt in die Fußstapfen deines Vaters?

      Nein, aber er ist Mathelehrer geworden.

      Vorsichtig stellt die Goth das Foto zurück und bemerkt dabei das blinkende Licht des Anrufbeantworters.

      Hey Lilli, ich glaube da ist 'ne Nachricht auf dem AB. Wieso habt ihr überhaupt noch 'nen AB?

      Das ist bestimmt von meinem Vater, drück einfach mal auf Play.

      Sie drückt auf die Taste. Das kleine Band spult zurück, stoppt und beginnt sich gemütlich zudrehen. Eine tiefe liebevolle Stimme klingt knacksend aus dem kleinen Mono-Lautsprecher.

      Hey Lillith, Verzeihung, Lilli, ich kriege das bis zum Jüngsten Gericht nicht hin. Ich bin gerade in Texas und es läuft alles wunderbar, ich habe das Gefühl, es wird mit jedem Jahr einfacher. Warte mal kurz. Ey, das ist antik, da muss mehr Spiritus drauf! … Lillith, ich habe auch schon ein Messer für dich, es hat Widerhaken, aber lass dich überraschen. Feier schön wild, ich lass es hier auch krachen. Fackel das Haus nicht ohne mich ab, ich hab dich lieb.

      Das Band stoppt. Die Taste springt klackend hoch.

      Keine weiteren Nachrichten.

      Der dritte Goth wendet sich vom Plattenregal ab und sieht grinsend zu Lilli.

      Dein Vater bringt dir ein Messer mit? Meine Eltern haben mir immer ein T-Shirt oder so ein Nummernschild mit meinem Namen gekauft.

      Ja, ich hab als kleines Mädchen schon immer mit Messern gespielt.

      Deine Eltern haben dich mit Messern spielen lassen?

      Ja, aber sie haben mir das Schwert verboten. Ich schätze ich war eine ziemlich trotzige Siebenjährige.

      24.September

      Ok, setzt dich erst mal hin, ich wollte gerade …

      Das eingefallene Gesicht des Dealers lehnt sich über den Tisch und zieht mit einem eingerollten Zwanziger eine Line Koks von einem kleinen, achteckigen Spiegel. Er wechselt das Nasenloch und zieht eine zweite Line. Mit weit aufgerissenen, blutunterlaufenen Augen sieht er zu seiner neuen Kundin.

      Du kannst froh sein, dass du Salome kennst, normalerweise verkaufe ich nicht an Leute, die ich nicht kenne. Ich hab auch nur wenig Zeit, ich seh' mir gerade eine Dokumentation im Internet an. Hast du dich schon mal gefragt, warum Zigarettenfilter orange sind? Keiner hat mir geglaubt, ich hab's immer gesagt, ich hatte nie Paranoia. Scheiße. Ich seh' klar. Mir kann man nichts vormachen. Weißt du, ich kenne die Leute, ich muss Menschen nur ansehen und weiß direkt was los ist. Ich seh' dich an und weiß direkt, dass du korrekt bist. Ich merk das sofort. Ich brauch noch eine.

      Mit fünf eingefleischten Handbewegungen legt er die nächsten zwei Lines auf den Spiegel, zieht die erste in seinen Schädel und richtet sich kerzengerade auf.

      Ich habe super Zeug da, ich kenn die Typen, die hier in der Gegend das Sagen haben. Was Besseres kriegst du hier nirgendwo und bei mir kriegst du sauberen Stoff. Die Anderen vergiften dich, ich bin sauber, vertrau mir. Ich bin die Adresse. Ich wollte eben noch … Ich komm gleich drauf. Wieviel brauchst du überhaupt? Nur was für dich oder Masse?

      Masse.

      Okay, wieviel Masse denn? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.

      Wieviel für alles?

      Wie alles?

      Lilli nimmt ihre schwarze Sporttasche vom Boden, öffnet den Reißverschluss und legt drei fausthohe Batzen Fünfhunderter auf den Tisch.

      Ach so, alles. Ich … Scheiße, wofür brauchst du denn so viel?

      Sie greift wieder in die Tasche und legt zwei weitere Stapel Geldscheine neben die anderen.

      Reicht das für alles?

      Er starrt auf das Geld, dann auf das Koks auf dem Spiegel und wieder zurück auf das Geld.

      Okay, bleib sitzen! Ich … Aber du verkaufst das doch nicht hier in der Gegend oder?

      Nein, ich werde gar nichts davon verkaufen.

      Der Dealer steht mit rasenden Augen auf.

      Ich geh alles holen. Ich wollte sowieso aufstehen. Bleib einfach sitzen! Ich geh's holen. Ich hab die Übersicht.

      Er schlängelt sich an Sessel und Tisch vorbei und geht in die offene Küche. Er öffnet den ersten Schrank. Doch er ist leer. Der nächste Gedanke ist der Letzte, der ihm als halbwegs geistig gesunder Mensch durch den verwirrten Kopf geht.

      Wo zur Hölle?

      Er dreht sich um. Außer Lilli und einer schwachen Glühbirne, die von einem blanken Kabel von der Decke hängt, ist der Raum vollkommen leer. Die Fenster und Türen sind verschwunden. Der Dealer dreht sich wieder um, doch nicht nur der Messerblock ist nicht mehr an seinem Platz, die ganze Einbauküche ist weg. Als er den Kopf zurück dreht, steht Lilli nur noch einen Schritt von ihm entfernt.

      Fuck! Wer schickt dich? Schickt dich Antons Bruder? Er kann das Geld haben, kein Problem, sobald er aus dem Knast kommt … Ich zahl auch Zinsen, er kann es in Koks haben oder cash, ich kann auch Heroin besorgen. Ich dachte … ich kann ihm ja das Geld nicht im Knast geben.

      Lilli gibt ihm eine schallende Ohrfeige, die den verwirrten Pusher von den Füßen holt.

      Wer mich schickt? Die komplette Einrichtung ist verschwunden, alle Ausgänge sind weg und du fragst, wer mich schickt? Was ist bloß verkehrt mit euch?! Jesus Christus!

      Die Glühbirne erlischt. Durch die Dunkelheit schallt der Schrei des verängstigten Mannes. Als hätte man die Sonne angeknipst, strömt ihr Licht wieder durch die Fenster. Zitternd steht der Dealer in seiner Küche.

      Scheiße, ich weiß wieder was ich wollte.

      Mit dunkelblauen Lippen geht er hastig zum Schreibtisch, öffnet die oberste Schublade und greift nach der mattschwarzen Pistole. Er hält sich den Lauf an den Kopf und entsichert. Seine Augen stehen


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