Irr(e)-Fahrt_nach_Wien_-_Ein_Reisetagebuch_. J. B. Camelon

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Irr(e)-Fahrt_nach_Wien_-_Ein_Reisetagebuch_ - J. B. Camelon


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die Leiche zu entsorgen, weil ich es nicht schaffte: Spinnenphobie! Beim Akt des Schuhwurfs liefen mir sogar Tränen übers Gesicht vor Entsetzen.

       Selbst am Auszugstag stand noch einmal mein Stalker vor der Tür und bat um einen Liter Milch, und wenig später kam die Polizei und fragte, ob ich den Mieter So-und-so kenne.

      Ich war so froh, als ich endlich wieder eine Wohnung im Zentrum gefunden hatte! Und nun habe ich dauernd das Theater mit der Ruhestörung: entweder beim Nachbarn auf der anderen Seite der dünnen Wand ist Party, oder auf der anderen Hofseite laufen die Videofilme in voller Laustärke!

       Jedenfalls waren Hannah und ich beide übermüdet, genervt und schlecht gelaunt, zumal in der Kneipe nichts los war und der gelangweilte Wirt immer wieder versuchte, uns in ein Gespräch zu verwickeln.

       Wir sprachen unsere ab morgen geplante Radtour nach Wien nochmal durch.

       Das sind ungefähr 313 Kilometer auf dem Donauradweg, die Angaben hierzu differieren etwas, ich habe auch die Zahl 326 gelesen. Jedenfalls sind es mehr als 300 Kilometer.Insgesamt ist der Donauradweg viel länger, er führt von der Quelle der Donau in Donaueschingen bis zu deren Mündung ins Schwarze Meer und berührt dabei die folgenden Länder: Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien und Rumänien.

      Aber dafür muss man dann schon sehr durchtrainiert sein und vor allem bessere Räder haben!

       Hannah und ich fahren fast täglich mit unseren Fahrrädern, aber die längsten Strecken, die wir in den letzten Jahren zurückgelegt haben, waren Ausflüge vom Passauer Stadtzentrum bis zum oberen Stausee und in den Neuburger Wald, was beides innerhalb von 45 Minuten zu schaffen ist.

       Und wir haben nur ganz normale Sporträder, und zwar nicht gerade neuestes Baujahr!

      Dies wird unsere erste längere Tour!

       Hannah ließ sich nicht von dem Vorhaben abbringen, auch den Rückweg mit dem Rad zurückzulegen. Davon wird in allen Radwanderreiseführern abgeraten: wegen Steigung und Gegenwind! Ostwärts mit der Hauptwindrichtung ist die empfohlene Fahrtrichtung. Auf dem Rückweg führe man also GEGEN die Hauptwindrichtung.

       Hoffentlich kriege ich Hannah noch dazu herum, den Zug zu nehmen! Es sieht aber nicht danach aus. „Du hörst immer auf andere!“ warf sie mir vor. „Ein Reiseführer ist nicht ANDERE! Das sind gesammelte Erfahrungswerte!“ entgegnete ich. „Ach Quatsch!“ Und so gab ein Wort das andere.

       Was ist nur mit ihr los? So ein Dickkopf! Und ich kann einfach keinen plausiblen Grund erkennen, wider alle Vernunft mit den Rädern zurückzufahren! Wie soll das erst werden, wenn wir unterwegs sind, wenn wir jetzt schon streiten!

       Ich bereue diese Schnapsidee schon halb.

       Mir wird auch allmählich klar, dass wir nicht besonders toll vorbereitet sind mit unseren alten Fahrrädern.

       Die Kneipenwirte haben uns heute Abend noch schnell Satteltaschen geliehen, als sie von unserem Vorhaben hörten. Zufällig hatten sie auch gerade eine Radtour gemacht und die Satteltaschen noch in einem Nebenraum der Kneipe herumliegen. Die sind knallbunt - damit leuchten wir dann wohl kilometerweit!

       Wir hatten überlegt, dass es mit Rucksack eigentlich auch gehen müsste: wenn man damit stundenlang laufen kann, müsste man damit auch stundenlang Rad fahren können, oder? Die Wirte schüttelten nur die Köpfe über diese Idee.

       Als Hannah und ich uns gerade so richtig wegen der Rückfahrt in den Haaren hatten, kam Daniel mit zwei Freunden in die Kneipe. Er sah die Radtaschen, hörte von unserem Vorhaben – und lachte schallend! Wie all unsere Freunde und Bekannten auch!

       Keiner traut uns die 300-Kilometer-Tour zu, aber denen werden wir`s schon zeigen!

       Daniel – den ich eigentlich nur oberflächlich von einem gemeinsamen Nebenjob her kenne, woher also will er beurteilen, wie sportlich ich bin? - wies uns freundlicherweise noch darauf hin, dass es laut Wetterbericht ab morgen eine Woche in Strömen regnen soll. Daraufhin schwärmte ich ihm von meinem wasserdichten Schneehemd vor. Genaugenommen ist es nicht meins, sondern gehört meiner ehemaligen Nachbarin Ragna, die so freundlich war, es mir zu leihen. Ein todschickes Teil! Weiß, mit bunten Neonsternen auf einem Ärmel. Ragna war etwas ungehalten, als sie mich dabei erwischte, wie ich an der Innpromenade in ihrem Schneehemd herumspazierte: “Jetzt schon???“ Ich soll es wohl nur für alle Fälle einpacken. „Es darf ruhig regnen - ich habe ein ganz tolles Schneehemd! Es ist semipermeabel!“ sagte ich stolz zu Daniel. „Na super“, meinte er, „dann läuft der Regen ja nur rein und nicht `raus!“ So eine miesmacherische kleine Ratte. Gönnt einem auch nichts. Als er anfing, uns einen Horrorfilm zu erzählen (er kam nämlich gerade aus dem Kino), gingen wir entnervt.

      Hannah ist schon nach Hause gefahren. Und zwar mit dem Fahrrad! Denn das Haus, in dem sie wohnt (und in dem ich auch mal wohnte), liegt ja ziemlich weit weg vom Zentrum, durch den Tunnel auf die andere Seite der Donau, Richtung Ilzstadt, und dann noch einen Berg `rauf.

       Sie fährt die Strecke natürlich mindestens einmal täglich, und deshalb ist sie viel trainierter als ich. Denn ich kann seit dem letzten Umzug überall zu Fuß hingehen. Außer, ich will Hannah besuchen oder zum Stausee.

       Angeblich befahren jährlich ungefähr 300.000 Leute den Donauradweg. Es ist nach dem Bodenseeradweg die zweitmeistbefahrene Radstrecke Europas. 60.000 – 70.000 Leute fahren jährlich die ganze Strecke von Passau nach Wien. Was die können, können wir auch! Ich wüsste nicht, warum nicht!

       Ich denke, ich bin mit den Vorbereitungen für morgen so gut wie fertig. Ich habe alles, was ich morgen mitnehmen will, aus den Schränken genommen und auf dem Fußboden aufgestapelt. Und ich habe sogar noch das Geschirr für morgen früh bereitgestellt und die Kaffeemaschine vorbereitet, damit Hannah und ich bei mir frühstücken können, bevor wir losfahren…man, ich bin richtig aufgeregt!!

       Andere machen jedes Jahr mehrere Urlaube, und zwar viel weiter weg quer über den Erdball – aber wir als arme Studentinnen haben solche Erfahrungen eben nicht zu verbuchen. Für uns ist dies jetzt was Besonderes. Und wir können dann auch endlich mal sagen:“ Wir waren im Urlaub!“

       Spaßeshalber werden wir auch dieses Reisetagebuch einpacken, aber auch Hannah meint: „Da schreiben wir sowieso nichts `rein.“

       Sooo, ich habe das dumpfe Gefühl, dass ich sowieso nicht schlafen kann. Ich glaub`, ich geh nochmal kurz in die Disco, um ein paar Leute zu treffen - aber nicht lang! Ich muss noch die Fahrradtaschen packen, und wir wollen ja morgen um acht Uhr früh aufbrechen!

      Chapter 2 / 1. Tag: Abfahrt / erste Pannen / Bekanntschaft mit Felix und den „Schmeißfliegen“

       Dienstag, 21.September: Passau - Aschach

      Hannah:

       Eigentlich wollte ich schon um acht Uhr bei Berit sein, aber von wegen! Daraus wurde nichts. Erst gegen halb neun stand ich mit schlechtem Gewissen vor dem China-Restaurant, über dem Berit wohnt, und erwartete, dass sie mir wegen der Verspätung Vorwürfe machen würde, denn sie ist ein richtiger Pünktlichkeitsfanatiker!

       Stattdessen meldete sich erst nach dem sechsten Klingeln über die Sprechanlage, und zwar total verpennt: „Was machst du denn hier – jetzt schon???“

       Ich ging die Treppe hoch zu ihr in den dritten Stock (einen Fahrstuhl hat dieses alte Gemäuer leider nicht) und dachte, ich sehe nicht recht: Da stand sie im Bademantel, mit verquollenen Augen, gerade aus dem Bett gepurzelt, und entschuldigte sich wortreich. Während sie duschte, ging ich nochmal los und besorgte Semmeln. Und kochte Kaffee!

       Berit:

       Na ja, es ist gestern doch noch etwas später geworden. Peinlich! So früh loszufahren, war ja eigentlich meine Idee gewesen, glaube ich mich zu erinnern. Während Hannah Kaffee kochte, packte ich meine Radtaschen, dazu war ich letzte Nacht leider nicht mehr gekommen.

       Wie geplant, frühstückten wir gemeinsam. Das Frühstücksgeschirr musste dann stehenbleiben, weil wir uns einbildeten,


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