Irr(e)-Fahrt_nach_Wien_-_Ein_Reisetagebuch_. J. B. Camelon

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Irr(e)-Fahrt_nach_Wien_-_Ein_Reisetagebuch_ - J. B. Camelon


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mit einer Art langen Tülle herumstehen hatte, das Fahrradöl enthielt. Aber nachdem ich überall gesucht hatte – auch im Badezimmer und im Küchenschrank – ohne fündig zu werden, benutzten wir schließlich Salatöl. Das müsste eigentlich den gleichen Effekt haben. Öl ist Öl, oder?

       So extrem war unsere Verspätung dann gar nicht, relativ pünktlich um zehn fuhren wir los!

       In unserem Reiseführer wird Passau als Dreiflüssestadt mit barock-italienisch geprägtem Stadtbild bezeichnet. Interessant. Was ist noch mal „Barock“? Ich glaube, Barock ist immer rund und Gotik ist spitz. Nachdem ich schon ein paar Jahre in dieser Stadt lebe, werde ich mich bei Gelegenheit diesbezüglich mal schlau machen. Ist ja peinlich.

       Das Schöne an Passau ist, dass man fast jeden, den man trifft, schon mal gesehen hat. Die Stadt hat ja nur um die 50.000 Einwohner und ein relativ kleines Zentrum. Wenn man samstags in der Fußgängerzone jemand trifft und sich festratscht, laufen innerhalb der nächsten halben Stunde garantiert zwanzig andere Leute an einem vorbei, die man kennt. Andererseits hat das auch Nachteile: wenn man mal eine schlechte Phase hat (so wie Hannah und ich zur Zeit) und gern für eine Weile niemand treffen will, hat man keine Chance, in irgendeinem anderen Stadtteil unterzutauchen.

       Während man in einer Großstadt auch in anderen Stadtvierteln Kinos, Kneipen, Restaurants, Geschäfte etc. findet und eine Großstadt eigentlich eine Ansammlung aus lauter Kleinstädten ist, hat man in Passau nur die Wahl zwischen ganz zuhause zu bleiben oder die Stadt für eine Weile zu verlassen, wenn man für eine Weile niemandem, den man kennt, begegnen möchte.

       Hannah und ich brauchen einfach mal eine kleine Luftveränderung. 300 Kilometer ist nicht wirklich eine Riesenentfernung, aber da wir ja mehrere Tage unterwegs sein werden, wird es uns viel weiter vorkommen!

       Das erste Problem stellte sich bereits fünf Minuten nach der Abfahrt, da wir uns nicht einigen konnten, in welcher Richtung der Grenzübergang Achleiten liegt, und unsere zahlreichen Karten zu Rate ziehen mussten.

       Hannah:

       Peinlich, peinlich…hoffentlich hat uns keiner beobachtet, der uns kennt! Der Zöllner an der Grenze grinste über das ganze Gesicht, als wir ihm übermütig entgegenschlingerten. Natürlich mussten wir anhalten. Mich wies er freundlicherweise darauf hin, dass mein Ausweis in einem Jahr abläuft, der von Berit sei erst in neun Jahren fällig. Woraufhin ihm Berit versicherte: „Na ja, bis dahin bin ich wieder zurück“!

      Berit:

       Gleich hinter der Grenze fielen und zwei Männer mittleren Alters auf! Ebenfalls auf Rädern. Der eine hatte Radtaschen, der andere hatte eine Sporttasche auf den Gepäckträger geklemmt. Offensichtlich hatten auch sie eine längere Tour vor sich, die sie spontan geplant hatten. Hannah belegte sie sogleich mit dem liebevollen Kosenamen „Schmeißfliegen“ und äußerte die düstere Zukunftsprognose, dass wir sie wohl bis Wien nicht mehr loswürden!

       (Bis hierher – Aschach – hat sich dies bewahrheitet. Wir sitzen gerade in einer Kneipe, während wir dies hier schreiben – hoffentlich kommen die beiden nicht gleich `rein!)

       Hannah:

      Bloß nicht!

       Zunächst rasten wir ganz euphorisch los; das heißt, Berit raste, ich strampelte mühsam hinterher. Kein Wunder, denn sie hatte wesentlich ökonomischer gepackt als ich (= ein Paar Schuhe reicht) und deshalb nur leichtes Gepäck; ich dagegen habe meine Radtaschen total vollgestopft mit allem, was ich in der Eile gefunden habe und meinte, auf der Reise gebrauchen zu können…ich wollte ja pünktlich bei Berit sein, die sich dann schön viel Zeit zum Packen nahm, während ich das Frühstück machte! Das war etwas unfair.

      Berit:

       Gar nicht wahr! Was kann ich dafür? Hannah hätte ja auch schon am Abend vorher in Ruhe packen können, statt in letzter Minute, bevor sie losfuhr zu mir. Hannah – denk dran, dass ich nicht nur was Neues `reinschreibe in dieses Heft, sondern auch das lese, was du geschrieben hast…!

      Meine Packweise erklärt sich daraus, dass erstens meine Taschen kleiner sind und zweitens ich meine Schuhe VERGESSEN habe! Mal sehen, vielleicht lässt sich unterwegs, spätestens in Wien, ein preiswertes Paar auftreiben.

       Nach den ersten fünfundzwanzig Kilometern besichtigten wir das Stift Engelhartszell, ein altes Zisterzienserkloster. Außerdem kauften wir Lebensmittel (10 Schillinge) und ich ging aufs Klo (1 Schilling).

       Wir kamen dann zur Schlögener Schlinge: laut Reiseführer durchquert hier die Donau in einer 180 Gradkehre die Böhmische Masse. Hä? Und was heißt das jetzt? Etwa, dass wir genau in entgegengesetzter Richtung weiterfahren, indem wir uns um 180 Grad drehen? Dann müssten wir in wenigen Stunden wieder in Passau sein. Wieso kann man sich in einem Reiseführer nicht so ausdrücken, dass es jeder versteht?

       Streckenweise hatten wir Gegenwind.

      Hannah:

       Hoho, und was für ein Orkan uns entgegenkam! Berits Kommentar dazu: „Wenn wir jetzt aufhören zu treten, treiben wir nach Passau zurück!“

       Berit:

       Aber größtenteils war die Strecke sehr angenehm, abgesehen von dem Detail, dass plötzlich mein Vorderreifen platt war! Da standen wir nun, umgeben von Bäumen, links die Donau, rechts die Berge, kein Mensch weit und breit, schon gar keine Reparaturwerkstatt. Das war doch nicht zu glauben! Kaum sechs Stunden unterwegs und schon eine Panne! Wenn das Daniel und die anderen wüssten! (Werden wir denen natürlich nicht erzählen. Das behalten wir wohl lieber für uns.) Hannah behauptete hartnäckig: „Das liegt am Ventil!“ Leider entdeckten wir, dass das Ventil nicht austauschbar war….

      Hannah:

       …und dass der Schlauch tatsächlich ein piepsiges Loch hatte! Das heißt: nicht wir entdeckten das, sondern so ein barmherziger Streckengenosse. Während wir ganz „fachmännisch“ (…) mit Schraubenzieher, nassem Taschentuch und Luftpumpe herumhantierten, ertönte plötzlich eine Stimme: “Können wir euch helfen?“ und schon stand der Retter neben uns! Ein absoluter Profi:

       Eins-A-gestylt von der Socke bis zu den Handschuhen, die er auch während seines Einsatzes nicht auszog. Das weibliche Pendant dazu, wohl wie er um die vierzig Jahre alt und vermutlich seine Frau, stand daneben und leistete seelischen Beistand.

       Berit:

       Der Retter heißt übrigens Felix, also „der Glückliche“, aber die Glücklichen waren wohl eher wir! Den besagten Mangel entdeckte er übrigens, indem er den Schlauch mit der Zunge befeuchtete (igitt!!).

      Hannah:

      Er wollte dann wissen: „Habt ihr einen Ersatzschlauch?“ und Berit antwortete: „Nein, aber ein Flickzeug.“ So musste er nun wohl oder übel anfangen, das Loch zu flicken.

      Berit:

       Felix diagnostizierte außerdem, dass ein falscher Schlauch im Vorderreifen war, nämlich einer für ein Rennrad, und dass außerdem das Ventil ein nicht austauschbares Blitzventil war, was wir ja auch schon selbst festgestellt hatten. Ich hatte das Rad vor drei Jahren für 100 DM von einem japanischen Studenten gekauft, der nach Tokio zurückkehren wollte und dort kein Rad brauchte. Er hatte es ein Jahr zuvor von jemandem gekauft, der es auch aus zweiter Hand hatte. Kurz nachdem ich es gekauft hatte, fing die schwarze Farbe an, abzublättern. Darunter war das Rad silberfarben! Auch der Markenname war überpinselt, und der Rückstrahler mit einem anderen Markennamen gehörte gar nicht an das Fahrrad. Jetzt erinnere ich mich plötzlich daran, dass, als vor einigen Monaten auch mal irgendwas kaputt war am Rad, ein Bekannter von mir ausrief:“ Die Teile an deinem Fahrrad stammen ja aus verschiedenen Jahrhunderten!“ Ich hatte mir bei dem Satz gar nichts weiter gedacht. Und nun passten nicht mal Schlauch und Mantel zusammen! Wie soll man überhaupt ein richtiges Ersatzteil beschaffen, wenn man nicht mal weiß, wer der Hersteller des Fahrrades ist?

       Erschwerend kam hinzu, dass Hannah und ich das Ventil bei unseren Reparaturbemühungen total verbogen hatten.

       Ich erkundigte mich bei Felix nach den Vorzügen eines Blitzventils, und er sagte: „Damit kann man in einer affenartigen Geschwindigkeit


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