Vorsicht Schule. Regine Wagner-Preusse
Читать онлайн книгу.wäre doch etwas. Kinder und Jugendliche sind originell und lebendig. Ich kann Entwicklungen anstoßen und unterschiedlich begabten Kindern helfen, sich zu entfalten.“
„War Staatsschule für dich nicht der blanke Horror? Deshalb hast du doch gekündigt, damals vor 20 zwanzig Jahren.“
„Es hat sich viel verändert. Seit dem Pisa-Schock wurde sehr viel Geld in den Bildungssektor investiert und vor allem sind heute die Lehrer anders. Diese autoritären Lehrer vom alten Schlage, die mir damals das Leben in der Schule schwer machten, die gibt es nicht mehr.“
„Na, denn – vom Geld her wäre es auch nicht schlecht. Du weißt ja, was bei mir los ist. Und der Hungerlohn bei deinem Verein, das ist ein Skandal.“
Die Dorfschule
„16 Uhr 30 am Haupteingang. Ich brauche keine Wegbeschreibung. Ich kenne mich aus im Dorf, eine Freundin meiner Tochter wohnte in der Nähe der Dorfschule.“
Elisabeth ist mit dem Auto unterwegs. 40 vierzig Kilometer nur Landstraße. Hier gibt es keine Autobahn auf Elisabeths neuem Schulweg ab morgen. Sie liebt diese Gegend. Die Straße führt durch ein Tal inmitten von grünen Wiesen, die nach Heu duften. Pferde weiden, Kühe dösen im Schatten eines Baumes, Schafe bilden eine keilförmige Verteidigungsformation, weil ein Hund am Zaun entlang springt. Es geht durch Dörfer mit Fachwerkhäusern, durch schattige Wälder den Berg hinauf.
Die Schule liegt am Rande des Ortes, ein gemütlicher Bau aus den Fünfzigern, umstanden von Bäumen, im Hintergrund Wald. Das spitze rote Giebeldach, der weiße Putz und die langen Fensterreihen mit den grünen Fensterläden aus Holz, das wirkt freundlich und einladend. Elisabeth wartet vor dem verschlossenen Haupteingang. Kein Konrektor in Sicht.
„Sie stehen vor der Grundschule. Die Verwaltung finden Sie dort nicht. Ich hole Sie ab.“
„Beschreiben Sie mir doch einfach den Weg.“
„Zu kompliziert. In zehn Minuten bin ich bei Ihnen.“
Herr Keil führt Elisabeth in den Oberstufenbereich. „Am besten gehen Sie zu Fuß, die Parkplätze oben sind knapp.“ Sie gehen durchs Dorf. Die Oberstufe ist anderswo und sieht anders aus: Klinkerbauten mit Flachdach und betonierte Hofflächen laden nicht zum Spielen ein, und das ist gut so.
Die Schule platzt aus allen Nähten. Die Schulhöfe sind zu klein, deshalb dürfen sich die Schüler in der Pause auf den Fluren in den Gebäuden aufhalten. Ohrenbetäubender Lärm, versiffte Toiletten beherbergen die heimlichen Raucher. Graue Steintreppen, schadhafter grauer PVC-Boden, kahle Wände, zu großeselbst die größten Klassenräume sind für die Riesenklassen immer noch zu klein. Die Ausstattung: hässlich, trostlos, die obligatorische Tafel, verdreckte Bänke und Tische – geputzt wird nur noch einmal die Woche. Sparmaßnahme. Unter der Woche sind die Schüler gefordert. Eine Seite Fensterfront gibt den Blick auf Berge und Wiesen frei. Das Lehrerzimmer fensterlos, fahles Licht von der Decke, permanenter Sauerstoffmangel, Teppichboden, zwei lange Tische, Polsterstühle, jeder hat seinen Platz, sein Fach – auf dem Flur das Gekreische der Kinder in der Pause.
So eine Schule dürfte es nicht geben. 1700 Schüler von Klasse eins1 bis 13dreizehn. Lernfabrik. Die Schüler werden mit Bussen heran- und weggekarrt. Drei Lehrerzimmer für 150 Lehrer. Lehrerzimmer wie die Abflughalle eines Flughafens. An den Wänden Monitore, die über kurzfristig geänderte Vertretungs- und Raumpläne informieren. Alle Lehrer kann man nicht kennen, nur jene, mit denen man etwas zu tun hat, bei Klassenkonferenzen, bei Konfliktgesprächen über schwierige Schüler.
Immer öfter müssen die Schüler hier den ganzen Tag ausharren, von 8 bis 16 Uhr. Damit sie das aushalten, wurde eine Cafeteria gebaut, Glas und Beton, aggressiv -rote Stahlträger, PVC auf dem Boden, was sonst. Mittagstisch, Massenverpflegung: Fahlbraune, fade Schnitzel, abgestandene Kartoffeln, verkochte Nudeln, Altöl-Pommesgeruch. Warteschlangen an der Essensausgabe. Laut, viel zu laut. Das deckt keine Lärmschutzverordnung.
Lehrergrillen
Die Straße schraubt sich den Berg hinauf durch den Wald. Flirrendes Licht fällt durch das Laub der Bäume, deren Schatten Kühle spenden an diesem heißen Sommertag. Hier ist Elisabeth schon oft entlang gefahren. Zusammen mit Lene, als diese noch keinen Führerschein hatte. Zum Reitstall, weil Lene ihr Pferd versorgen musste. Täglich nach der Schule 30 dreißig Kilometer.
Und weil nur der Reitlehrer dort in Frage kam. Später hat Lene bei der Stallarbeit geholfen. Dafür erhielt sie Reitunterricht. Kostenlos. Elisabeth liebte diese Strecke, vor allem an Sonntagen im Sommer, um 4 Uhr morgens, wenn sie Lene zum Turnier fuhr. Nie wieder hat sie solche Sonnenaufgänge gesehen.
An diesem Sommerabend ist sie alleine unterwegs zum Lehrergrillen in einer Grillhütte mitten im Wald, ganz in der Nähe von Lenes ehemaligem Reitstall.
Solche Kontakte müssen sein, sich einlassen, kommunizieren. Das ist Schmierstoff im Schulgetriebe.
Zuerst ein Vortrag in der Grillhütte.
Benni, der Musik- und EDV-Lehrer, lächelt freundlich in Elisabeths Richtung. Da setzt sie sich jetzt mal hin.
Das Thema: Rauchen in der Schule. Ein vergeblicher Kampf. „Be smart, don’t start“, ob dieser Slogan die rauchentschlossenen Jugendlichen beeindruckt? Den rauchfreien Klassen winkt eine Belohnung: Eine Tagesfahrt in die Stadt, in den Zirkus, ins Kino, oder sonst wohin.
Frage: „Wann rauchen Schüler?“ Antwort: „Wenn aus den Schulklokabinen Rauch aufsteigt, haben Schüler darin geraucht.“ Bernd und Karl, der Konrektor, produzieren sich mit Ppower -Ppoint, projizieren einen ausgeklügelten Sanktionsplan an die weiße Leinwand vor der ziegelsteinroten Grillhüttenmauer.
Das sind doch Lehrergrillen! Dass man sich auf diese Art für das Thema engagiert ist vergebliche Liebesmüh. Verbotenes wird erst interessant. Ein Thema, an dem sich die Schüler abarbeiten können. Ein Nebenkriegsschauplatz, der seinen Wert erst durch die Lehrenden erhält.
Anna und Lene haben in ihren Zimmern gekifft. Elisabeth hat Annas CKannabispflanzen toleriert. Besser so, als durch Verbieten den Anschluss zur Drogenszene bahnen, dachte sie sich und hat recht behalten. Das Thema hat sich von selbst erledigt.
Nachdem die Raucherei abgehandelt ist, wird gegrillt. Nicht nur Schnitzel und Würstchen…
Die Lehrer strömen nach draußen in die warme Abendsonne, holen Bier und verteilen sich auf die Bänke vor der Hütte. Sie haben sich viel zu erzählen. Die meisten kennen sich seit Jahren, sehen sich täglich im Lehrerzimmer, aber da ist jeder stets in Eile, nur die wichtigsten Informationen können zwischen zwei Unterrichtsstunden ausgetauscht werden. An diesem Sommerabend im Wald oberhalb des Tals mit dem See ist Zeit für Gespräche ohne Zeitdruck.
Es gibt auch Paella
Zusammen mit ihren neuen Kolleginnen und Kollegen putzt Elisabeth Gemüse und schält Zwiebeln. Dann lässt sie sich treiben durch Bankreihen, besetzt mit schwatzenden Lehrern. Holt sich ein Bier, eins geht, trotz Auto. Das braucht sie jetzt, um locker zu werden. Da sitzt Herr Stein, den sie vertreten wird. Er hat Krebs. Soll sie ihn ansprechen, sich vorstellen? Wirkt das aufdringlich und störend?
„Hallo, ich bin der Carlo, gefällt es dir hier?“ Carlo hält eine Flasche Bier in der Hand. Lächelt freundlich. Elisabeth schätzt ihn auf 45fünfundvierzig. Orangefarbene
Worker-Jeans, ein selbst gebatiktes blaues Shirt. Die langen blonden Haare hat er zusammengebunden. Typ ewiger Junge.
„Ich bin Elisabeth Schmied-Behrendsen, die neue Krankheitsvertretung für Herrn Stein.“
„Ich mache das schon ziemlich lange, na ja. Musik, Sport und Englisch.“ Musik, das ist ein brandaktueller Anhaltspunkt, denn Anna soll auch Musiklehrerin werden.
„Musik – interessant, dann spielst du ja Klavier!“
„Nee, Perkussionsinstrumente. Da braucht man kein