Vorsicht Schule. Regine Wagner-Preusse

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Vorsicht Schule - Regine Wagner-Preusse


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du als Lehrer an einer Staatsschule schickst deine Kinder in eine Privatschule?“

      „Das ging eigentlich von meiner Frau aus. Die hatte ihre vier Kinder schon da, als ich sie kennenlernte. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war.“

      „Meine beiden Töchter waren auch Waldorfschülerinnen. Beide haben dort Abitur gemacht. Bei mir war mein Mann die treibende Kraft. Wir haben vor unserer Entscheidung Seminare in der Waldorfschule besucht. Das hat mich befremdet, diese verblasenen und abgehobenen Theorien. Aber die praktische Arbeit, die hat mich überzeugt. Das Engagement der Lehrer, der nicht nur intellektuell ansprechende Unterricht, die Theateraufführungen, das Schulgebäude, die Gestaltung der Unterrichtsräume. Alles ansprechend, durchdacht und wertig.“

      „Na, hier in der Dorfschule habe ich ja das ultimative Kontrastprogramm zur Schule meiner Kinder.

      Ich bin noch nicht angekommen im Alltag. Wir waren fünf Wochen auf Jamaika – paradiesisch.“

      „Ich wäre auch gerne länger in Spanien geblieben.“ Die leise Stimme gehört zu einer kleinen Frau. Elisabeth hat sie vorher noch nicht bemerkt.

      „Relaxen auf einer Finca, ab und zu baden im Meer. Das könnte ich auch wieder mal gebrauchen.“

      „Ich war in der Nähe von Madrid, habe mir natürlich den Prado angesehen. Übrigens, ich bin Monika Bäker-Schulz. Ich unterrichte Deutsch und Kunst.“

      „Elisabeth Schmied-Behrendsen. Ich bin die Krankheitsvertretung.“

      „Die meiste Zeit habe ich im Escorial verbracht. Die Kunstschätze, die Bibliothek, die Deckengemälde, dafür reicht ein Urlaub nicht.“

      „Ist das nicht die riesige Klosteranlage in der Nähe von Madrid? Sie wurde von Philipp II. erbaut zu Ehren des Heiligen Laurentius. Der Grundriss hat die Form eines Gitters wie der Feuerrost, den der Heilige Laurentius angeblich freudig bestiegen hat, um sich für seinen Glauben grillen zu lassen.“ Komisch, dass Elisabeth das jetzt einfällt. Frau Bäker-Schulz jedenfalls ist Feuer und Flamme für die Kunst.

      Und Carlo? So recht scheint er nicht an diese Schule zu passen. Ob er sich hier wohlfühlt? Ist Carlo gerne Lehrer? Vielleicht ist er auf der Suche nach dem passenden Lebensentwurf in der Schule hängen geblieben. Und hier kann er Musik machen. Sport liegt ihm auch, das geht ohne lange Vorbereitungszeit. Dann die langen Ferien.

      Vorher

      Am Freitag mit dem Auto ins Dorf zur Konferenz, denn am Montag beginnt der Unterricht nach den Sommerferien. Elisabeth ist sehr früh aufgebrochen, möchte nicht zu spät kommen. Jetzt ist sie zu früh. Wahrscheinlich sind alle beschäftigt und haben sich viel zu erzählen nach den Ferien.

      Elisabeth fährt auf den Aldi-Parkplatz. In diesen Ferien hat sie oft an die Schule gedacht. Elisabeth hat sich gut vorbereitet. Am Gartentisch im Schatten eines Baumes hat sie Schulbücher durchgesehen und viel gelesen.

      Interessante Themen finden, überlegen, welcher Stoff zu welcher Jahrgangsgruppe passt und wie man ihn am besten vermittelt, da ist sie in ihrem Element, das gefällt ihr.

      Bernd aus Bebra

      „Du hast jetzt Deutsch in meiner neunten Klasse. Am besten reden wir gleich. Die sind schwierig. Schwierig aber leistungsstark. Nicht einfach im Umgang, sehr unruhig. Ständige Unruhe. Die Jungen sind harmlos, noch sehr kindlich. Einige Mädchen sind tonangebend, wortgewandt, provozierend, die können einem ganz schön zusetzen. Du wirst schnell merken, wen ich meine. Ich habe sie rechts und links vorne plaziert, damit ich sie stets im Auge habe. Die Klasse hatte es in den letzten Jahren nicht leicht, ständiger Lehrerwechsel. Ihre jetzige Deutschlehrerin ist im Mutterschaftsurlaub. Während der Schwangerschaft war sie dauernd krank.“

      Elisabeth wird von Bernd geduzt. Sie fühlt sich nicht mehr so fremd durch das Du. Eine nette Geste.

      Bernd ist schätzungsweise vierzig Jahre alt, mittelgroß, durchtrainiert, hat kurze, dunkelblonde Stoppelhaare, trägt Jeans und Norwegerpullover wie vor einigen Jahren die Olympiamannschaft. Beim Lehrergrillfest hatte er mit pPower -pPoint einen Sanktionskatalog für illegales Rauchen in der Schule präsentiert.

      Bernd steht unter Druck, das ist spürbar. Er hat etwas Ggraues, Ssoldatisch-Ssteifes, Fförmliches.

      Bernd unterrichtet Physik, ein angesehenes Fach, dessen Inhalte sich leichter vermitteln lassen als zum Beispiel Musik, denn die Schüler wissen, dass ihr Schulerfolg auch von einer guten Note in Physik abhängt. Sein zweites Fach ist Sport, sicher heilsam für ihn und seine zappelige Klasse.

      „Ich bin aktiver Handballer in Bebra, da komme ich her.“

      „Das ist weit weg von hier, im ehemaligen Zonenrandgebiet, oder soll ich ehemalige Staatsgrenze zur DDR sagen?“

      „In Bebra habe ich ein Haus. Da sind wir jedes Wochenende, meine Frau und ich. Hier im Dorf haben wir nur eine kleine Wohnung, da sind wir vom Montag bis zum Freitag. Am Freitag nach dem Ende des Unterrichts fahren wir dann nach Bebra. Da treffen wir unsere Freunde und ich fahre mit meiner Mannschaft zu Handballturnieren.“

      Bernd scheint sich hier im Dorf nicht gerade wohlzufühlen. Seit 10 zehn Jahren unterrichtet er in der Dorfschule und ist immer noch ein Fremder. Das Leben ist also anderswo. Nicht im Dorf. Hier wird nur gearbeitet. 5/7 der Lebenszeit. Einhundertzwanzig Wochenstunden. Nur am Samstag und Sonntag, achtundvierzig Stunden in der Woche, wird gelebt. In Bebra.

      Der Unterricht, die Vorbereitungen, immer genug Unterrichtsstoff, den richtigen Stoff parat haben, das ist nicht das Problem, auch nicht in Elisabeths ersten Wochen an der Dorfschule.

      Schon bald, sehr bald, kann sie auf ein solides Polster an Materialien zurückgreifen. Es dauert lange, bis der Unterrichtsstoff vermittelt ist. Länger, als Elisabeth angenommen hatte. Auch bei den Realschülern. Und bei den Hauptschulklassen ist der Weg zu den Lernzielen besonders weit und steinig. Die meisten Schüler sind freundlich. Elisabeth schätzt ihre Lebendigkeit, den jugendlichen Humor.

      Elisabeth trifft Frau Bäker-Schulz auf dem Flur:

      „Nach diesem Schulvormittag geht erst einmal gar nichts mehr. Die ganze Zeit zwei Störer in der Klasse.“

      „Oh je“, Elisabeth nickt mitfühlend.

      „Jetzt nach Hause, nur schlafen, zu mehr bin ich nicht fähig heute Nachmittag.“

      „Ich gehe mit dem Hund hinaus in den Wald. Wenn ich in guter Luft über Waldwege laufe, kann ich Abstand gewinnen und die Ereignisse vom Morgen im Kopf sortieren. –

      Bernd erzählte, ein Vater habe sich beschwert?“

      „Ich hätte die Schüler nicht im Griff. Gestern in der sechsten Stunde sei es in Deutsch zu laut gewesen. Eine Plastikflasche mit Inhalt flog durch die Klasse und ging knapp an meinem Kopf vorbei. Ich habe mich sehr erschrocken. Ungeheuerlich, wenn mich die Flasche getroffen hätte.“

      „Wissen Sie, wer es war?“

      „Ich bekomme das nicht raus. Es passierte wohl, als ich mir die Namen von einigen Störern notierte und damit die Klasse nicht im Blick hatte. Keine direkte Konfrontation, hintenrum, wie ärgerlich. Das macht mich aber auch so ohnmächtig, weil ich nichts dagegen tun kann. Ich bin ja sieben Stunden die Woche in dieser Klasse. Aber die sechste Stunde ist der Horror. Da ist keine Konzentration mehr möglich.“

      „Ich weiß, neunundzwanzig Schüler. Das ist einfach zu viel. Wenn man sie wenigstens in Gruppen auf dem Flur arbeiten lassen könnte. Aber das geht ja nicht wegen der Aufsichtspflicht.“

      „Ich kann ja nicht einmal die Störenfriede vor die Tür schicken.“

      „Ich schicke die schon raus“, schaltet sich Bernd ein, der bei Elisabeth und Monica stehen geblieben ist. „Die müssen dann hinter der Tür stehen bleiben und die Türklinke gedrückt halten. So habe ich sie unter Kontrolle.“

      „Aha.“


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