Nostromo. Joseph Conrad

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Nostromo - Joseph Conrad


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Charles Gould sehr zusagten. So behielt die Mine ihre eigene Art, die er ihr schon als Knabe angedichtet hatte; und alles hing von ihm allein ab. Es war eine ernste Sache, und er nahm sie grimmig ernst. »Natürlich«, sagte er zu seiner Frau über diese letzte Unterredung mit dem abgereisten Gast, während er mit ihr langsam den Corrédor auf und ab schritt, von den aufgeregten Blicken des Papageis verfolgt, »natürlich kann ein Mann von solchem Schlage eine Sache aufnehmen oder fallen lassen, wann es ihm beliebt. Er wird durchaus nicht unter dem Gefühl einer Niederlage zu leiden haben. Mag er sich zurückziehen oder vielleicht auch morgen sterben: aber die großen Silber- und Eiseninteressen werden ihn überleben und eines Tages auf Costaguana zugleich mit dem Rest der Welt die Hand legen.«

      Sie waren nahe bei dem Käfig stehengeblieben. Der Papagei schnappte das eine Wort auf, das zu seinem Wortschatz gehörte, und fühlte sich zur Einmengung bewogen. Papageien sind sehr menschlich.

      »Viva Costaguana!« kreischte er mit größtem Selbstbewußtsein, plusterte gleich darauf seine Federn auf und stellte sich hinter den glitzernden Gitterstäben schlafend.

      »Glaubst du das, Charley?« fragte Frau Gould. »Es erscheint mir als der schrecklichste Materialismus, und...«

      »Meine Liebe, es bedeutet mir gar nichts«, unterbrach sie ihr Gatte in ruhigem Ton. »Ich mache Gebrauch von dem, was ich sehe. Was soll es mir ausmachen, ob die Stimme des Schicksals aus ihm spricht oder ob er einfach Blech daherredet? In beiden Amerikas wird ein gut Teil Gerede der einen oder andern Art erzeugt. Die Luft scheint der Gabe der Deklamation günstig. Hast du vergessen, wie der liebe Avellanos durch lange Stunden fortmachen kann...«

      »Oh, aber das ist etwas anderes«, widersprach Frau Gould, beinahe entrüstet. Die Anspielung war nicht am Platze. Don José war ein lieber, guter Mann, der sehr gut sprach und begeistert war für die Größe der San-Toém-Mine. »Wie kannst du sie vergleichen, Charley?« rief sie vorwurfsvoll. »Er hat gelitten – und hofft doch noch.«

      Für Frau Gould war die Arbeitstüchtigkeit der Männer – die sie nie bezweifelte – so auffallend, weil sie sich bei sehr vielen Anlässen so schwachköpfig zeigten.

      Charles Gould versicherte ihr mit müder Ruhe, die ihm unverzüglich die besorgte Anteilnahme seiner Frau sicherte, daß er keine Vergleiche ziehe: er sei letzten Endes selbst Amerikaner und könnte vielleicht beide Arten von Beredsamkeit verstehen, »wenn der Versuch der Mühe wert wäre«, fügte er grimmig hinzu. Doch habe er die Luft Englands länger geatmet als irgendeiner seiner Verwandtschaft durch drei Generationen, und so bitte er, ihn entschuldigen zu wollen. Auch sein armer Vater habe beredt sein können. Und er fragte seine Frau, ob sie sich noch an eine Stelle aus einem der letzten Briefe seines Vaters erinnerte, wo Herr Gould überzeugend ausgesprochen hatte, daß »Gott mit einem bösen Auge auf diese Länder sehe, sonst würde er wohl einen Hoffnungsstrahl durch eine Ritze in dem Vorhang von Lug und Trug, Blutvergießen und Verbrechen senden, der über die Königin unter den Erdteilen gespannt sei.«

      Frau Gould hatte es nicht vergessen. »Du hast es mir vorgelesen, Charley«, murmelte sie. »Es war ein ergreifender Ausspruch. Wie tief dein Vater die furchtbar traurigen Dinge empfunden haben muß!«

      »Er wollte sich nicht berauben lassen. Es brachte ihn zur Verzweiflung«, sagte Charles Gould. »Aber das Bild ist treffend genug. Was wir hier brauchen, ist Gesetz, Treu und Glaube, Ordnung, Sicherheit. Jeder kann über diese Dinge Vorträge halten, aber ich setze meinen Glauben in die materiellen Interessen. Laß die nur einmal festen Fuß fassen, und sie werden sich schon selbst die Lebensbedingungen schaffen, die sie zu ihrem Fortbestehen brauchen. Das ist es, was das Geldmachen hier angesichts der Gesetzlosigkeit und der Unordnung rechtfertigt. Es ist gerechtfertigt, weil die Sicherheit, die es verlangt, auch einem unterdrückten Volk zugute kommt. Eine bessere Gerechtigkeit wird folgen. Da hast du den Hoffnungsstrahl.« Sein Arm drückte ihre schlanke Gestalt einen Augenblick lang an sich. »Und wer weiß, ob in diesem Sinn nicht vielleicht die San-Tomé-Mine der kleine Spalt in der Dunkelheit werden mag, den je zu sehen mein armer Vater bezweifelt hatte?«

      Sie sah bewundernd zu ihm auf. Er war tüchtig; er hatte ihrer unbestimmten, selbstlosen Sehnsucht feste Form gegeben.

      »Charley«, sagte sie, »du bist herrlich ungehorsam.«

      Er verließ sie plötzlich im Corrédor, um seinen Hut zu holen, einen weichen, grauen Sombrero, ein Nationalkleidungsstück, das unerwartet gut zu seiner rein englischen Tracht paßte. Er kam zurück, eine Reitpeitsche unter dem Arm, und knöpfte sich die Hundslederhandschuhe zu. Sein Gesicht spiegelte seine entschlossenen Gedanken wider. Seine Frau hatte ihn an der Treppe erwartet, und bevor er sie zum Abschied küßte, beendigte er das Gespräch:

      »Wir sollten es uns unerbittlich klarmachen«, sagte er, »daß es für uns kein Zurück gibt. Wo könnten wir das Leben neu beginnen? Wir stecken nun auf Gedeih und Verderb hier fest.«

      Er beugte sich sehr zärtlich und ein wenig reuig über ihr emporgewandtes Gesicht. Charles Gould war so tüchtig, weil er sich keiner Selbsttäuschung hingab. Die Gould-Konzession hatte sich ihres Lebens zu wehren, mit all den Waffen, die in dem verrotteten Sumpf gerade zur Hand waren; inmitten einer Bestechlichkeit, die so allgemein war, daß sie fast schon wieder gegenstandslos wurde. Charles Gould war bereit, nach seinen Waffen zu greifen. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, als hätte ihn die Silbermine, die seinen Vater getötet hatte, weiter vorgelockt, als er hätte gehen sollen; und mit der schlüssigen Logik des Gefühls empfand er, daß der Wert seines eigenen Lebens unlösbar mit dem Erfolg verknüpft war. Es gab kein Zurück.

      7

      Frau Gould war zu vernünftig in ihrer Zuneigung, um dieses Gefühl nicht zu teilen. Es gab dem Leben einen prickelnden Reiz, und sie war viel zu sehr Frau, um daran nicht Gefallen zu finden. Aber es erschreckte sie auch ein wenig. Und wenn Don José Avellanos, während er sich im Schaukelstuhl wiegte, sich etwa gelegentlich zu der Behauptung verstieg: »Sogar wenn Sie keinen Erfolg gehabt hätten, mein lieber Carlos; sogar wenn heute noch ein unvorhergesehener Zwischenfall Ihr Werk zerstören würde – was Gott verhüten möge –, so hätten Sie sich doch um Ihr Land verdient gemacht« – dann schickte wohl Frau Gould vom Teetisch her einen tiefen Blick zu ihrem unbewegten Gatten hinüber, der mit dem Löffel in der Tasse rührte, als hätte er nicht ein Wort gehört.

      Nicht als ob Don Jose irgend etwas der Art hätte vorhersagen wollen. Er konnte des lieben Carlos Takt und Mut nicht hoch genug rühmen. Seine englische, felsenstarke Charakteranlage sei sein bester Schutz, versicherte Don José; und dann zu Frau Gould gewandt: »Sie nun, Emilia, meine Seele« – er erlaubte sich die Anrede kraft seiner Jahre und der alten Freundschaft –, »Sie sind eine so echte Patriotin, als wären Sie in unserer Mitte geboren.«

      Dies konnte weniger oder mehr als die Wahrheit sein. Frau Gould hatte, während sie ihren Gatten auf der Suche nach Arbeitskräften durch das ganze Land, durch die ganze Provinz begleitete, das Land mit schärferem Blick erfaßt, als es einer echtbürtigen Costaguanera möglich gewesen wäre. In ihrem von der langen Reise stark mitgenommenen Reitkleid, das Gesicht weiß verstaubt wie eine Gipsmaske und mit noch einer kleinen Seidenmaske davor, zum Schutz gegen die ärgste Tageshitze, ritt sie inmitten einer kleinen Kavalkade ein wohlgeformtes, leichtfüßiges Pony. Zwei Mozos de campo, malerisch in ihren großen Hüten, in weißen, gestickten Calzoneras, Lederjacken und gestreiften Ponchos, Anschnallsporen an den nackten Fersen, ritten voraus, die Karabiner quer über die Schultern gehängt, und federten gleichmäßig im Trab ihrer Pferde. Eine Tropilla von Packmulis bildete die Nachhut unter dem Befehl eines mageren braunen Treibers, der seinem langohrigen Tier weit hinten auf der Kruppe saß, die Beine lang vorgestreckt, den breitrandigen Hut in den Nacken zurückgeschoben, daß ihm die Krempe wie ein Heiligenschein um den Kopf stand. Ein alter Costaguana-Offizier, ein verabschiedeter Major niederer Herkunft, doch von den ersten Familien wegen seiner Treue zur Blancopartei begönnert, war von Don José als Führer und Reisemarschall für das Unternehmen empfohlen worden. Die Spitzen seines grauen Schnurrbarts hingen ihm bis unter das Kinn, und während er an Frau Goulds linker Seite ritt, blickte er mit kindlichen Augen in die Runde, wies auf die Einzelheiten der Landschaft hin, nannte die Namen der kleinen Pueblos, der Güter und der Haziendas,


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