Stein. Sabine Korsukéwitz

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Stein - Sabine Korsukéwitz


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und ein wenig bedrohlich, je älter sie sind und je weniger wir über die Erbauer wissen. Vollends unheimlich wird es, wenn die Natur selbst solche Formen geschaffen hat. Fingerförmige Felsen haben seit dem Mittelalter oft die Kulisse für Schauergeschichten über Teufel und Hexen abgegeben. So gibt es im Crau, einer steinigen Gegend der Provence, einen einzeln stehenden, steilen Felsen, auf dem nächtlichen Reisenden der Teufel Matagon zu erscheinen pflegte. Er wollte nichts weiter als einen ehrlichen Handel abschließen. Unterschrieb man ein Papier, auf dem man ihn als Fürsten der Welt anerkannte, so wollte er dafür den neuen Untertanen mit Reichtümern überhäufen. Die Sache war durchaus freiwillig, es ist also gar nicht einzusehen, warum dem armen Matagon ein solch übler Ruf anhaftet. Es war doch bloß Wahlkampf.

      In einigen nordischen Kulturen glaubte man, dass die Seelen von Toten gern solche Steine aufsuchten. Angenehmer ist die Vorstellung, dass Elfen in oder unter solchen Steinen wohnen. Das mit den Feen, den Fairies, sidhe (sprich:schii) oder Tuatha Dé Danann stammt von den Kelten. Nachdem sie von den Milesiern, dem fünften Einwanderervolk Irlands besiegt worden waren, gingen die sidhe unter die Erde, wo sie sich wunderbare Reiche mit künstlicher Sonne geschaffen haben. Über der Erde gibt es Orte, die den sidhe heilig sind und die der Mensch besser nicht profaniert, Steinkreise, Dolmen zum Beispiel. Dort können besondere Menschen auch mit ihnen Kontakt knüpfen. Aber Vorsicht: Sie haben ihre Vertreibung durch Menschen weder vergessen noch vergeben und spielen ihnen gern einen Schabernack. Man kann sie mit Musik besänftigen, die sie lieben oder mit einer Schale Milch auf dem Fensterbrett. Auf keinen Fall darf man ihre Wege und Häuser überbauen oder ihre Steingärten zerstören, um Ackerfurchen zu ziehen. Erstaunlicherweise halten sich, wenn auch verschämt, noch heute in England, Schottland, Irland und Island viele, selbst junge Leute an diese alten Regeln. Man weiß ja nie. Island besaß sogar einen staatlich besoldeten Beamten für das Troll- und Feen-Wesen, der in Zweifelsfällen zu Rat gezogen wurde.

      Als die Kelten Frankreich und die britannischen Inseln besiedelten war die Zeit des Megalithikums noch nicht so weit entfernt. Man kann annehmen, dass sie um deren Bedeutung und Verwendung wussten. Die alten Steinsetzungen wurden jungen Religion einverleibt, wie das oft war. Die Kelten verzierten viele Menhire mit ihren Zeichen, mit dem keltischen Kreuz, den verschlungenen Knotenmustern, Göttersymbolen und mythischen Tieren, Ogam- oder Ogham-Inschriften und stellten auch eigene Steinsäulen auf. (Ogam ist eine aus Strichen bestehende Symbolschrift der Kelten gewesen. Nach einer Annahme wurde sie durch lybische Missionare nach Irland gebracht und die keltische Bevölkerung hat sie gelernt, weil die Mönche ihre Bekehrungsbotschaft in dieser Schrift auf die uralten Menhire einritzte. Da wollten die Kelten unbedingt wissen, was das für Zauberzeichen waren...)

      Der bekannteste keltisch-mythische Stein ist der Lia Fál, der irische Königsstein. Diese Steinsäule soll die Eigenschaft haben, laut aufzuschreien, wenn ein rechtmäßiger Herrscher sie berührt. Sie taucht in der Artussaga auf als Prüfstein für die Würdigkeit eines der Teilnehmer an der Tafelrunde.

      Die alten Fingersteine und Skulpturen werden heute noch als Orte voller übernatürlicher Energien empfunden, und tatsächlich, wenn man es fertigbringt, an einem solchen Stein allein oder in der Runde Gleichgesinnte eine Nacht zu verbringen, dann wird man Empfindungen erleben, die sich mit unseren heutigen Vorstellungen und unserem spöttisch-überheblichen Weltbild schwer vertragen. Fühlt man sich beschützt oder bedroht, das hängt wohl vom eigenen Gewissen ab. Die grauen Riesen sind alt und schweigsam, aber sie haben eine unleugbare Präsenz, die eine Auseinandersetzung mit sich selbst herausfordert. Die schweigsamen Steine wurden aufgestellt, um Botschaften zu übermitteln. Stellt man den Lärm der Zivilisation für ein paar Stunden ab, werden sie zu uns sprechen in der universellen Sprache des Instinkts? Die Geschichten über Mutproben, bei denen Menschen für immer verändert wurden, werden ihre Wurzeln schon haben. Oder findet das alles nur in unseren Köpfen statt?

      An der australischen Westküste, im Nirgendwo 245 km nördlich von Perth, gibt es ein einzigartiges Naturschauspiel, für die Aborigines heilig, von den eingewanderten Engländern respektlos ‘pinnacles’, Spitztürmchen, getauft. Man sieht dort auf einer Fläche von mehreren Quadratkilometern 150.000 Kalksteinspitzen aus dem Quarzsand ragen, alles blass gelb, die ganze Szenerie. Die Spitzen sind bizarr gezackt und variieren in der Größe von einigen Zentimetern bis zu vier Metern Höhe. Läuft man zwischen ihnen entlang im weichen Sand, fühlen wir uns wie auf einem futuristischen Planeten. Als die Mannschaft eines holländischen Handelsschiffs an dieser Küste an Land ging vor etwa dreihundert Jahren, da hielten sie die Steinformation für Ruinen einer antiken Stadt. Tatsächlich sind es Wurzelzwischenräume. Auf wesentlich höherem Niveau stand vor etwa 30 000 Jahren ein Wald. Der Wald starb ab, aber die Wurzeln dieses sterbenden Waldes blieben solange im Boden erhalten, dass sich die Erde rundumher zu Kalkstein verfestigte. Dann endlich verrotteten die Wurzeln. Der Humus und die lockeren Böden wurden durch Wind und Wasser abgetragen, bis nur die Zwischenräume zwischen den ehemaligen Wurzeln stehen blieben. Das ist das Geheimnis der pinnacles. Die Ureinwohner dagegen glaubten, dass es sich um versteinerte Krieger aus der Traumzeit handelte, ein Teil ihrer mündlich tradierten Geschichte.

      Man sieht also, dass aufrecht stehende Steine, ob natürlich oder menschengemacht, einen hohen Aufmerksamkeitswert haben.

      Alle Kinder sind von wohl Hünengräbern und Schatzsuchen fasziniert. Auch ein gewisser Johann Joachim Winckelmann aus Stendal ist als kleiner Junge unter den gigantischen Steinen herumgekrochen und hat seine Altersgenossen dazu angestiftet, nach Urnen zu buddeln. Aus ihm wurde dann ein Begründer der modernen Archäologie.

      Nun leiden wir Deutschen ja darunter, dass unsere Vorfahren so wenig vorzeigbar sind. Die Ägypter haben Pyramiden gebaut, die Griechen herrliche Skulpturen aus Marmor geschaffen und die Demokratie erfunden, die Mayas bilderübersäte Observatorien hinterlassen – von unseren germanischen Vorvätern lässt sich leider nur sagen, dass sie großartige Raufbolde und ausdauernde Säufer waren. Alles, was sie uns gegeben haben sind ein paar grobschlächtige Hinkelsteine. Da kann es nicht verwundern, dass die Nationalsozialisten eben die Härte und Anspruchslosigkeit als beste germanische Eigenschaften betonten. Was anderes war ja nicht da.

      Zur Ehrenrettung unserer Ahnen schritt kürzlich der Oberkustos des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin, Dr. Klaus Goldmann. Er stellte die Theorie auf, dass den Germanen in Sachen Nachruhm ihr Reichtum zum Verhängnis wurde, ihr Reichtum an Holz nämlich. Und außerdem scheint sich da schon in römischer Zeit ein Dreckfuhler eingeschlichen zu haben: Ein Übersetzungsfehler machte aus reichem Kulturland einen düsteren Sumpf:

      Germanien – ein unpräziser Begriff, aber Sie wissen, was ungefähr gemeint ist – war noch in römischer Zeit mit einem solchen Waldreichtum gesegnet, dass Reisende aus fernen, bereits abgeholzten Ländern davon schwärmten. Insbesondere werden die hochgewachsenen, geraden Stämme erwähnt. Die bei Ausgrabungen aus Torf und Mooren gefundenen außerordentlich gerade gewachsenen Stämme, oft von exakt gleichem Durchmesser lassen sogar an erfolgreiche Forstwirtschaft denken. Bis ins Mittelalter hinein wurde fast ausschließlich mit Holz gebaut, Gegenstände und Verzierungen in Holz geschnitzt und mit Pflanzenfarben bemalt.

      Vorstellbar ist also, dass, wie Dr. Goldmann schreibt, in Alteuropa durchaus ein geordnetes Staatensystem mit verfeinerter Kultur existiert hat. Nur sind aufgrund der Vergänglichkeit des Materials Holz kaum noch Spuren davon zu finden. Mit den wenigen gehobenen Schätzen scheint man auch unsachgemäß umgesprungen zu sein. Vieles wurde aus Unwissenheit zerstört. So sind aus Mooren bei Nydam, Dänemark, hölzerne Schilde geborgen worden. Da sie schmutzig waren, wurden sie als erstes mit einem Wasserschlauch abgespritzt. Viel zu spät fiel einem Archäologen auf, dass, was da heruntertropfte, nicht nur Schlamm, sondern auch Farben waren. Die prachtvolle Malerei war fortgespült worden. Jetzt weiß man es besser und es sind neue Funde zu erhoffen.

      Weil also unsere Vorfahren kaum Stein genutzt haben, sieht es heute so aus, als seien sie unkultivierte Barbaren gewesen. Dazu kam die Arroganz der römischen Eroberer, die naturgemäß ihre Feinde nicht im besten Licht erscheinen ließen in ihren Berichten. Kolonialherren rechtfertigen ja immer ihr Tun durch kulturelle und nicht durch militärische Überlegenheit. Auch die römischen Missionare ließen es im Nachhinein so aussehen, als habe die Zivilisation erst mit ihrem Kommen angefangen.

      965 n.Chr. bereiste der jüdischer Händler Ibrahim Ibn Jakub im


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