Uppers End. Birgit Henriette Lutherer

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Uppers End - Birgit Henriette Lutherer


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wenn jemand ohne Schatten auf der Erde leben würde, würde er

      höchstwahrscheinlich von seinen Mitmenschen argwöhnisch betrachtet – kann ich mir vorstellen.“

      „Ach so, Tomasin, du hast also eine Vorstellung davon, wie es einem meiner Forschungs-Reisenden ergehen könnte, wenn sie von dir ohne Schatten losgeschickt werden?“

      „Ja vielleicht, Upper. Ich fabuliere halt wie es sein könnte.“

      „Und warum hast du dann Linda dazu überredet, auf ihren Schatten zu verzichten?“

      „Ich weiß auch nicht, Upper, was mich da geritten hat“, gab Tomasin kleinlaut von sich. „Ich kann mir vorstellen, dass ich dir vielleicht eine neue Erfahrung liefern wollte?“ Tomasin versuchte sich herauszureden. Er wollte unbedingt vermeiden, Uppers Zorn auf sich zu ziehen.

      „Tomasin“, donnerte Upper laut los, „über dein schändliches, unverantwortliches Verhalten, werden wir noch reden – mein Freund!“ Mit dieser dunklen, ahnungsvollen Ankündigung ließ er Tomasin stehen und wendete sich Hannah zu: „Um deine erste Frage zu beantworte, Hannah: Wenn du ohne Schattenanteil zur Erde reist, kann das in der Tat schwerwiegende Auswirkungen haben. Alle Menschen, mit denen du es zu tun haben wirst, werden dich als seltsam empfinden. Du bist anders – und anders sein löst Angst aus bei deinen Mitmenschen.“

      „Aber Upper“, wendete Hannah ein, „der Schattenanteil stellt doch den negativen Aspekt meines Seins dort auf der Erde dar. Dann kann es doch nur gut sein, wenn ich ausschließlich den positiven Archetyp lebe. Oder sehe ich das falsch?“

      „Nun ja, nicht ganz. Schau mal, wenn alle Menschen ihren Schattenanteil haben, mehr oder weniger bewusst, dann sehen sie im Gegenüber etwas Bekanntes, nämlich dass auch er, genau wie sie selbst, einen Schattenanteil in sich trägt. Wenn du jetzt aber als einzige ohne Schattenanteil auf der Erde lebst, bist du automatisch ein Sonderling. Die Menschen sehen dich als zu gut an. Für ihr Verständnis kann das einfach nicht sein. Es ist das schier Unmögliche für sie. Deshalb fangen sie an, den Makel an dir zu suchen, den du natürlich einfach nicht hast. Er fehlt dir schlicht und ergreifend. Die Menschen können den Makel logischerweise nicht an dir entdecken. Die Konsequenz ist, dass jedem, mit dem du länger zu tun hast, immer bewusster auffällt, dass dir dein Schattenanteil fehlt. Dein Gegenüber wird so lange weitersuchen, bis er eine vermeintlich negative Kleinigkeit an dir findet. Erst dann bist du seiner Ansicht nach richtig, also so, wie es sich gehört. Es kann zum Beispiel sein, dass du in seinen Augen zu freundlich oder zu ehrlich bist. Dann wird dieser Jemand dir unter Umständen negative Dinge andichten, um das berühmte Haar in der Suppe zu finden.“

      „Kann man denn zu freundlich oder zu ehrlich sein, Upper?“

      „Hier bei mir, in der Zeit ohne Zeit, gibt es natürlich kein zu freundlich oder zu ehrlich, denn bei uns gibt es weder Archetyp noch Schatten. Bei uns gibt es das pure Sein. Auf der Erde ist das allerdings anders.“

      „Wieso gibt es dann hier im Moment Streit unter den Anwesenden?“, meldete sich Erhard skeptisch zu Wort. „Wenn doch alle hier im `Ich bin` Zustand sind, dann ist jeder Konflikt hinfällig, sogar überflüssig. Oder sehe ich das falsch?“

      „Jain, Erhard. Das ist möglich, weil ihr alle zur Begrüßung Lindas noch einmal in euer Erden-Sein geschlüpft seid. Das ist auch wichtig, denn nur so kann ich Lindas Bericht authentisch in die große Chronik eingeben. Eure Attribute sind im Augenblick von Lindas Ankunft wieder aktiviert worden. Verstehst du?“

      „Okay, ich glaube, ich habe es verstanden. Wir alle hier sind im Augenblick so, wie wir es während unseres Aufenthalts auf der Erde waren. Korrekt?“

      „Ja, in etwa ja.“

      „Also, Upper“, setzte Hannah neu an, „damit ich das richtig verstehe: Wenn ich auf der Welt bin und ich meine Schattenanteile nicht dabei habe, dann kann ich also zu freundlich oder zu ehrlich sein? Ich bin deshalb den anderen suspekt? Sobald ich aber meinen Schattenanteil habe, geht das nicht mehr und bin ihnen nicht mehr suspekt?“

      „Ja genau. Sobald du den Schatten in dir trägst, ist der negative Gegenpol zur Freundlichkeit und Ehrlichkeit hinzugefügt. Deine Mitmenschen sehen dich als „ganz“ an, weil die gewohnte Polarität hergestellt ist. Die Menschen brauchen auf der Erde die Polarität, sonst könnten sie keine Erfahrungen sammeln.“

      „Was sind das denn für Polaritäten“, fragte Max neugierig nach.

      „Da gibt es zum Beispiel Gut und Böse, schwarz und weiß, hell und dunkel,

      Ying und Yang, Tag und Nacht. Ich könnte dir noch viele weitere Beispiele

      nennen. Es geht darum zu jedem Pol einen Gegenpol zu haben.“

      „Wenn ich also auf der Welt bin, muss ich erkennen, was korreliert?“

      „Ja, so ist das, Max.“

      „Puh, da bin ich aber froh, dass ich es mir doch noch anders überlegt hatte und sofort wieder nach Hause gegangen bin. Das wäre mir viel zu kompliziert gewesen. Die Erfahrung, den Weg in die Nisthöhle zu machen, war für mich schon Aufregung genug gewesen. Gut, dass ich wieder hier bin.“

      Upper beruhigte Max. „So anstrengend, wie sich das für dich vielleicht im Moment anhören mag, ist es nun auch wieder nicht. Du musst nicht denken Max, dass die Menschen sich immerzu damit auseinandersetzen müssten. Das wäre auch ihrem Auftrag nicht unbedingt zuträglich. Denn wenn es sich so verhielte, würden die Menschen einen großen Teil ihrer Verweildauer damit verbringen zu erkunden, wer gut von uns komponiert wurde. Das wäre zum einen viel zu aufwendig und zum anderen Quatsch.“

      „Die Menschen auf der Erde sagen oft so treffend: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Wo demgemäß ein Archetyp ist, ist auch ein Schattenanteil?“, fragte Hannah nach.

      „So ist es“, bestätigte Upper.

      „Wieso gibt es dann aber auf der Erde Menschen, die nur ihren Archetyp leben und verehrt werden?“

      „Ja, das ist eine gute Frage. Du hast recht, Hannah, die gibt es. Da gab es zum Beispiel Mutter Theresa, die ihr eigenes Leben ganz beiseite stellte und sich aufopfernd um die Kranken und Armen kümmerte. Oder Buddha zum Beispiel, er setzte sich einige Zeit unter einen Baum und war von da an nur noch gut. Die Menschen nannten ihn den Erleuchteten. Es gibt noch eine ganze Reihe Menschen mehr, die ich nennen könnte. Eins ist allen gemeinsam: Sie reisten mit Archetyp und Schatten zur Erde. Nach einiger Erfahrungszeit auf der Erde, erkannten sie ihren Schatten und legten ihn ab. Ihre Mitmenschen wiederum erkannten dies und bewunderten sie dafür. Alle waren zunächst von ihresgleichen. Wenn du so willst, konnten alle Menschen einen Abgleich zu sich selber machen. Wären Mutter Theresa oder Buddha allerdings gleich ohne ihren Schatten angereist, wären sie mit Sicherheit in ihren Augen nichts als Sonderlinge gewesen.“

      „Gehörte ich zu den sogenannten Sonderlingen“, wollte Linda wissen?

      „Ja, in gewisser Weise schon. Zumindest so lange, bis Kanep dir deinen Schattenanteil überbracht hatte.“

      „Welchen Archetyp hast du mir damals mitgegeben?“

      „Du willst es aber genau wissen, Linda.“

      „Ich glaube, es ist mein verdammtes Recht, die ganze Wahrheit zu erfahren, Upper. Weißt du, ich fühlte mich so manches Mal regelrecht verarscht von euch.“

      „Linda! Wie sprichst du mit uns?!“ Tomasin war entsetzt über Lindas Respektlosigkeit.

      „So, wie ich es schon lange tun wollte, Tomasin! Verflixt noch eins, denkt ihr, ihr könnt alles machen? Denkt ihr, ihr dürft euch alles herausnehmen?“

      „Ja, das können wir!“ Upper dröhnte mit lauter Stimme dazwischen, dass der Boden wieder bebte. Langsam verlor er die Geduld. Er fühlte sich mehr und mehr durch Linda Fragerei in die Enge getrieben.

      „Beruhigt euch alle mal wieder“, versuchte Fridolin zu beschwichtigen „Bedenkt, Linda hat immer noch viel Quod in sich. Außerdem hat die überdurchschnittlich große Menge an Quod bei ihr bewirkt, dass sie die Erinnerung


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