Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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Bäuchen sahen sie seltsamen, riesigen Vögeln ähnlich. Rechts wurde die schmächtige, schöne Frou-Frou herbeigeführt, die auf ihren elastischen, ziemlich langen Fesseln wie auf Sprungfedern einherschritt. Nicht weit von ihr wurde gerade dem großohrigen Gladiator die Decke abgenommen. Die mächtigen, schönen, völlig regelmäßigen Formen des Hengstes mit dem wundervollen Hinterteil und den ungewöhnlich kurzen, unmittelbar über den Hufen sitzenden Fesseln zogen unwillkürlich Wronskis Aufmerksamkeit auf sich. Er wollte soeben an sein eigenes Pferd herantreten, da hielt ihn wieder ein Bekannter auf.

      »Da ist ja auch Karenin«, sagte der Bekannte, nachdem sie einige Worte gewechselt hatten. »Er sucht seine Frau; sie sitzt aber in der Mitte der Loge. Haben Sie sie nicht gesehen?«

      »Nein, ich habe sie nicht gesehen«, antwortete Wronski und ging zu seinem Pferde, ohne auch nur nach der Stelle hinzusehen, wohin, als nach Annas Platz, der andere gewiesen hatte.

      Kaum hatte Wronski den Sattel besichtigt, über den er noch eine Anordnung geben mußte, als schon die Reiter zur Loge gerufen wurden, um ihre Nummern zu ziehen und zum Start abgefertigt zu werden. Mit ernsten, strengen, zum Teil sogar mit bleichen Gesichtern versammelten sich die Offiziere, siebzehn an der Zahl, bei der Loge und zogen ihre Nummern. Wronski erhielt Nummer sieben. Dann erscholl der Ruf: »Aufsitzen!«

      Wronski war sich bewußt, daß er und die anderen Reiter jetzt den Mittelpunkt bildeten, auf den alle Blicke gerichtet waren, und in einem Zustande seelischer Spannung, in dem er gewöhnlich besonders langsam und ruhig in seinen Bewegungen wurde, trat er an sein Pferd heran. Cord hatte, um den Glanz des Rennens zu erhöhen, seinen Paradeanzug angelegt: schwarzen, zugeknöpften Oberrock, steif gestärkten Kragen, bis an die Backen reichend, runden, schwarzen Hut und Stulpstiefel. Er war wie immer ruhig und würdevoll und hielt selbst das Pferd, davorstehend, an beiden Zügeln. Frou-Frou zitterte immer noch wie im Fieber. Ihr blitzendes Auge schielte nach dem herantretenden Wronski hin. Wronski steckte einen Finger unter den Sattelgurt. Das Pferd schielte noch stärker, entblößte die Zähne und legte das eine Ohr an. Der Engländer verzog seinen Mund, um ein Lächeln darüber zu zeigen, daß eine von ihm ausgeführte Sattelung erst noch nachgesehen werde.

      »Sitzen Sie auf; Sie werden dann weniger aufgeregt sein.«

      Wronski sah sich zum letzten Male nach seinen Gegnern um. Er wußte, daß er sie während des Reitens selbst nicht mehr sehen werde. Zwei von ihnen waren schon zum Startplatz vorausgeritten. Wronskis Freund Galzin, ein gefährlicher Gegner, bewegte sich im Kreise um seinen braunen Hengst herum, der ihn nicht aufsitzen ließ. Dort galoppierte ein kleiner Leibhusar in engen Reithosen, wie eine Katze zusammengekrümmt auf der Kruppe sitzend, die Engländer nachahmend. Fürst Kusowlew saß ganz blaß auf seiner Vollblutstute aus dem Grabower Gestüt, die ein Engländer am Zaume führte. Wronski und alle seine Kameraden kannten Kusowlew und seine Besonderheiten: seine »schwachen Nerven« und seinen ungeheueren Ehrgeiz. Sie wußten, daß er sich vor allem möglichen fürchtete, daß er sich davor fürchtete, ein gewöhnliches Dienstpferd zu reiten; aber jetzt, gerade weil es wirklich gefährlich war, gerade weil sich die Leute dabei die Hälse brachen und bei jedem Hindernisse ein Arzt, ein Krankenwagen mit aufgenähtem Kreuz und eine Barmherzige Schwester standen, jetzt hatte er sich entschlossen, das Rennen mitzureiten. Ihre Blicke trafen sich, und Wronski nickte ihm freundlich und beifällig zu. Nur einen sah er nicht: seinen Hauptgegner Machotin auf dem Gladiator.

      »Überhasten Sie sich nicht beim Reiten«, sagte Cord zu Wronski, »und beobachten Sie eines: Halten Sie sie bei den Hindernissen nicht zurück und treiben Sie sie nicht an; lassen Sie ihr freie Wahl, es zu machen, wie sie will.«

      »Schön, schön«, antwortete Wronski und faßte die Zügel.

      »Wenn es möglich ist, so nehmen Sie die Führung; aber geben Sie bis zum letzten Augenblicke nicht die Hoffnung auf, selbst wenn Sie hinten sein sollten.«

      Das Pferd hatte keine Zeit, sich wegzudrehen, als Wronski schon mit einer gewandten, energischen Bewegung in den stählernen, gezähnten Steigbügel trat und leicht, aber fest seinen kräftigen Körper auf das knarrende Leder des Sattels gleiten ließ. Während er den rechten Fuß in den Steigbügel steckte, ordnete er mit den ihm geläufigen Griffen die doppelten Zügel zwischen den Fingern, und Cord zog die Hände zurück. Als ob sie nicht recht wüßte, mit welchem Fuße sie zuerst auftreten solle, setzte sich Frou-Frou, mit ihrem langen Halse die Zügel ausziehend, wie auf Sprungfedern in Bewegung und schaukelte den Reiter auf ihrem geschmeidigen Rücken. Cord folgte ihnen in beschleunigtem Gange. Das aufgeregte Pferd versuchte bald auf der einen, bald auf der anderen Seite den Reiter zu täuschen und den Zügel noch weiter auszuziehen, und Wronski bemühte sich vergeblich mit Stimme und Hand, es zu beruhigen.

      Sie waren auf ihrem Wege zum Start bereits zu dem aufgestauten Flüßchen gelangt. Einige von den Reitern waren Wronski voraus, die übrigen waren hinter ihm zurück, als er plötzlich hinter sich auf dem schmutzigen Wege das Geräusch eines galoppierenden Pferdes hörte und ihn Machotin auf seinem weißfüßigen, großohrigen Gladiator überholte. Machotin lächelte, so daß seine langen Zähne sichtbar wurden; aber Wronski warf ihm einen grimmigen Blick zu. Er konnte den Menschen überhaupt nicht leiden, hielt ihn jetzt für seinen gefährlichsten Gegner und ärgerte sich über ihn, weil er an ihm vorbeigaloppierte und ihm dadurch seine Frou-Frou in Aufregung versetzte. Diese warf den linken Fuß zum Galopp in die Höhe, machte zwei Sprünge und ging, unwillig über die straff angezogenen Zügel, in einen stoßenden Trab über, der den Reiter fortwährend in die Höhe warf. Auch Cord machte ein finsteres Gesicht und lief fast im Trabe hinter Wronski her.

      25

      Es beteiligten sich an dem Rennen im ganzen siebzehn Offiziere. Das Rennen sollte auf der großen, vier Werst langen, elliptischen Bahn vor der Tribüne vor sich gehen. Auf dieser Bahn waren neun Hindernisse angebracht: das Flüßchen, eine große, anderthalb Meter hohe, feste Hürde unmittelbar vor der Tribüne, ein trockener Graben, ein Wassergraben, ein doppelter Abhang, ein irischer Wall, der eines der schwierigsten Hindernisse war, bestehend aus einem mit Reisig besteckten Walle, hinter dem sich noch ein dem Pferde nicht sichtbarer Graben befand, so daß das Pferd entweder beide Hindernisse überspringen oder stürzen und sich schwer beschädigen mußte; dann noch zwei nasse Gräben und ein trockener. Das Ende der Bahn war der Tribüne gegenüber. Aber das Rennen begann nicht auf der Bahn selbst, sondern ungefähr zweihundert Meter seitwärts davon, und auf dieser Strecke befand sich das erste Hindernis: das aufgestaute Flüßchen in einer Breite von etwas mehr als zwei Metern; dieses konnten die Reiter nach ihrem Belieben entweder überspringen oder in einer Furt durchreiten.

      Dreimal stellten sich die Reiter in gerader Linie auf; aber jedesmal brach das eine oder das andere Pferd vorzeitig vor, und alle mußten wieder zum Ausgangspunkte zurückreiten. Der Oberst Sestrin, ein erfahrener Starter, war schon ganz ärgerlich geworden, als er endlich zum vierten Male »Los!« rief und die Reiter sich ordnungsmäßig in Bewegung setzten.

      Alle Augen, alle Operngläser waren auf das bunte Häuflein der Reiter gerichtet, als diese sich in Linie aufstellten.

      »Sie sind gestartet! Sie laufen!« erscholl es nun nach der erwartungsvollen Stille von allen Seiten.

      Gruppen von Fußgängern, auch einzelne, begannen von einer Stelle zur anderen zu laufen, um besser sehen zu können. Gleich im ersten Augenblick zog sich die geschlossene Reiterschar auseinander, und man konnte sehen, wie sie zu zweien, zu dreien, auch einer hinter dem anderen sich dem Flüßchen näherten. Die Zuschauer hatten den Eindruck gehabt, daß sie alle zugleich davongaloppiert waren; die Reiter aber waren sich des Sekunden betragenden Zeitunterschiedes bewußt, der für sie große Wichtigkeit hatte.

      Die aufgeregte und gar zu nervöse Frou-Frou hatte den ersten Augenblick verpaßt, und mehrere Pferde hatten gleich vom Start an einen Vorsprung vor ihr; aber noch ehe sie das Flüßchen erreicht hatten, überholte Wronski, der mit aller Kraft das sich in die Zügel legende Pferd zurückhielt, mit Leichtigkeit drei seiner Vordermänner, und vor ihm blieb nur noch Machotins Fuchs Gladiator übrig, dessen Hinterteil unmittelbar vor Wronski leicht und gleichmäßig auf und nieder ging, und dann allen voraus die entzückende Diana, die den halb lebenden, halb toten Kusowlew


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